Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
Abschnitt | Überschrift | Link zum Text |
I. |
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1 | Von den Schwierigkeiten, die Visionen Hesekiels zu verstehen |
2 | Hesekiels Visionen im ersten Teil sind Offenbarungen des Reichs Christi |
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6 | Die Rückkehr der Juden in ihr Land ist mit dem Ende der babylonischen Gefangenschaft erfüllt |
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12 | Conclusio: Hesekiel weissagt über das neue Israel und das Reich Christi |
II. |
Vnterrichtung: Wie das Gebew Heſekielis in den letzten Capit. von dem XL. an / bis ans ende des Propheten / zu verſtehen ſey.
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13 | Von der Schwierigkeit, die Beschreibungen der Gebäude zu verstehen |
14 | Warum Hesekiel nicht ein wiederzuerrichtendes Jerusalem mit dem Tempel darin beschreibt |
15 | Die Beschreibung des Tempels ist ein Sinnbild für die Christenheit |
16 | Die Errichtung dieses Tempels ist begonnen, aber noch nicht abgeschlossen |
17 | Interpretationen der Beschreibungen Hesekiels müssen unter christlichen Aspekten erfolgen |
[71a | 71b]
SHieronymus vnd andere
mehr ſchreiben / Das bey den Jüden verboten geweſt / vnd noch ſey / das forderſt vnd hinderſt teil im Propheten Heſekiel zu leſen / ehe denn ein Man dreiſſig jar alt werde / Alſo auch das erſte Capitel Moſi im erſten Buch.
ZWar es dürffte bey den Jüden ſolchs verbots nicht / Denn Jeſa. xxix. weiſſagt / Das die gantze heilige Schrifft den vngleubigen Jüden verſiegelt vnd verſchloſſen ſey. wie S. Paulus ij. Corin. iij. auch ſagt / das die decke Moſi / vber der Schrifft bleibe / ſo lang ſie nicht an Chriſtum gleuben.
DAs beweiſet auch das werck / Denn ſie zureiſſen vnd zumartern die Schrifft in jren auslegungen / wie die vnfletigen Sew einen Luſtgarten zuwülen vnd vmbkeren. Das zu wündſchen were / ſie blieben mit der Schrifft vnuerworren. Wiewol auch viel der vnſern / ſo feſt an den Rabinen hangen / vnd jnen trawen / das ſie mehr Jüdentzen / denn die alten Jüden ſelbs gethan haben.
DIS Geſicht aber Heſekiels im erſten teil / iſt nichts anders / meins verſtands (ein ander mache es beſſer) denn eine Offenbarung des reichs Chriſti / im Glauben hie auff Erden / in allen vier Orten der gantzen Welt. Pſal. xix. In omnem terram. Denn es kan kein Prophet ſein (wie S. Petrus zeuget) er habe denn den geiſt Chriſti. Aber alle ſtücke zu deuten / iſt zu lang in eine Vorrede. Kurtz zu ſagen / dis Geſicht iſt der Geiſtliche wagen Chriſti / darauff er feret hie in der Welt / das iſt ſeine gantze heilige Chriſtenheit.
Heſekiels geſicht.
DA ſind vier Thiere / die er Cap. x. Cherubim nennet (Denn auff Cherubim ſitzt / reitet vnd feret er / wie die Schrifft offt meldet) Ein jglichs hat vier Angeſichte / vnd ſtehen / wie vier Roſſe im geuierde / doch inwendig vnd zwiſchen den Redern. Denn da ſind auch vier geuierdte Reder vmb die Thiere her / bey jglichem Thier ein Rad / alſo geſtellet / das ſie können gegen die vier ort der Welt / das iſt / fur ſich / hinderſich / vnd zu beiden ſeiten gehen / vnd ſich doch nicht lencken dürffen.
DES gleichen die Thiere auch auff runden Füſſen / gegen die vier ort der Welt gehen / vnd ſich nicht lencken dürffen. Hie iſt kein achſe / deiſtel / geſtell / lonſen / leiter / woge / ſeele / noch ſtrenge / Sondern der Geiſt inwendig treibets alles gewis. Oben vber iſt der Himel / wie ein Rosdecke / vnd ein ſtuel drinnen zum Satel / darauff Gott / das iſt / Chriſtus ſitzt.
ALſo gehen die vier Reder gleich mit einander / Denn alle Kirchen in den vier orten der Welt / das iſt / in der gantzen welt / haben gleichen / einerley / eintrechtigen gang / im Glauben / Hoffnung / Liebe / Creutz / vnd allem geiſtlichen weſen. Vnd werden nicht von auſſen / durch Menſchen lere / Sondern inwendig durch einerley Geiſt getrieben Rom. viij. j. Corinth. xij. Ephe. iiij.
VND die vier Thiere gehen auch mit den Redern / oder viel mehr dir Reder mit jnen / fur ſich / hinderſich / vber ſich / vnd zu beiden ſeiten. Denn die Apoſtel oder das Predigampt / das wort Gottes / die Tauffe / Sacrament / Schlüſſel / vnd was zum geiſtlichen regiment der Kirchen gehört / iſt auch einerley / gleich / vnd eintrechtig in aller Welt. Alſo halten ſich die Thiere / vnd die Reder / feſt vnd gewis zuſamen / das es ein Wagen iſt / on alles euſſerlich binden / hefften oder ſpannen. Alſo / das alles eitel viere iſt / vier Thiere / vier Angeſichte eines Thiers / vier Füſſe eines Thiers / vier Hende eines Thiers / vier Flügel eines Thiers / vier Reder / vier Felgen an einem Rade. Bedeutet / wie geſagt / Das die Chriſtenheit oder das reich Chriſti im Glauben / ſolle in den vier orten / das iſt / in die gantzen Welt / faren.
ES hat aber ſolch Geſichte bedeutet (wie Heſekiel ſelbs hie zeigt viij. ix.) das ende vnd zerſtörung der Synagoga / oder des Jüdenthums / das iſt / des Prieſterthums / Gottesdienſts / vnd Kirchen ordnung / durch Moſe jnen gegeben vnd geſtifftet. Welches alles iſt nicht weiter / denn auff Chriſtus zukunfft geſtifftet / Wie S. Paulus Rom. viij. ij. Corinth. iij. Vnd Matth. xj. Chriſtus ſelbs ſagt / vnd die Epiſtel an die Ebreer reichlich handelt / Daran ſich die Jüden grewlich geergert vnd geſtoſſen haben / bis auff dieſen tag.
Bedeutung des geſichts Hesekielis.
[71b | 72a]
Vorrede.
LXXII.
Vnd iſt das ſonderlich zu wiſſen / wider die blindheit der Jüden / Das alle Weiſſagung / ſo da ſaget / das Iſrael vnd Juda ſollen wider in jr Land komen / auch leiblich das ſelb vnd ewig beſitzen / iſt lengeſt erfullet / Das der Jüden hoffnung gantz vnd gar vmb ſonſt vnd verlorn iſt / Denn dieſelbige Weiſſagung hat zwey ſtück.
Weiſſagung von der widerkunft Iſrael vnd Juda in jr Land etc.
DAS erſt / Das Iſrael vnd Juda ſollen wider ins Land komen / nach jrem Gefengnis. Das iſt geſchehen durch den könig Cyrum vnd die Perſen / fur Chriſtus geburt / Da aus allen Landen die Jüden wider ins Land vnd gen Jeruſalem ſind komen / auch aus frembden Landen / da ſie doch wonend blieben / jerlich auff die Feſte gen Jeruſalem kamen / vnd viel Heiden mit ſich vnd an ſich zogen.
DAs aber die Jüden hoffen / Es ſolle noch ein ander leibliche Widerkunfft geſchehen / da ſie alle ſampt wider ins Land komen / vnd Moſen mit dem alten weſen wider auffrichten. Das ertreumen ſie ſelbs / vnd iſt kein Buchſtabe dauon in den Propheten noch in der Schrifft geſagt oder bedeutet. Es ſtehet wol geſchrieben / Das ſie aus allen Landen / dahin ſie verſtoſſen ſind / ſollen widerkomen / Aber nicht alle / Sondern etliche aus allen Landen. Es iſt gar ein groſſer vnterſcheid / Alle Jüden widerkomen / vnd aus allen Landen widerkomen. Aus allen Landen widerkomen / das iſt erfüllet / Aber alle Jüden widerkomen / das iſt niemals geweiſſagt / ſondern das widerſpiel. Gleich wie auch zu Jeruſalem / da es noch ſtund / beide / vor vnd nach der Gefengnis / nicht alle Gottes volck / ſondern das mehrer teil des Teuffels volck / Abgöttiſche mörder / vnd das ergeſte volck auff Erden waren.
Trewme der Jüden von der widerkunfft in jr Land.
DAS ander ſtücke / vnd allerbeſtes (Das die Jüden nicht ſehen noch achten wollen) in der ſelbigen Weiſſagung iſt / Das Gott verheiſſt / er wölle ein Newes ſchaffen im Lande / vnd einen newen Bund machen / Nicht wie der alte Bund Moſe (da ſie von treumen) Wie da klerlich Jerem. xxxj. ſtehet / vnd an viel Orten mehr / Das ſie nicht mehr zwey Königreich / ſondern ein Königreich ſein ſollen / vnter jrem künfftigen könige Dauid / vnd ſol ein ewig Königreich ſein / auch in dem ſelben leiblichen Lande.
Newe
Bund.
DIS ſtück iſt auch erfüllet / Denn da Chriſtus kam / vnd fand das Volck / beide / aus Iſrael vnd Juda / aus allen Landen wider verſamlet / vnd des das land vol / Fieng er das New an / vnd ſtifftet den verheiſſen newen Bund. Vnd thet das nicht an einem geiſtlichen / oder anderm leiblichen ort / Sondern eben in dem ſelbigen leiblichen lande Canaan / vnd in dem ſelbigen leiblichen Jeruſalem / wie es verheiſſen war. Da hin ſie aus allen Landen widerbracht waren.
Verheiſſen newer Bund von Chriſto geſtifftet etc.
VNd da ſie den ſelben Bund nicht wolten / oder je nicht jr viel wolten annemen / iſt er gleichwol ein ewiger Bund blieben / Nicht allein zu Jeruſalem / vnd in dem ſelben Lande / Sondern auch von dannen ausbrochen in alle vier Ort der Welt / Vnd bleibt auch heutiges tages / beide / zu Jeruſalem vnd allenthalben. Denn die ſtet Jeruſalem iſt noch da / vnd iſt Chriſtus Herr vnd König daſelbs / wie in aller Welt / hilfft vnd erhöret alle die da ſelbs ſind / oder dahin komen / wie in aller Welt / Leſſt dieweil den Mahometh mit ſeiner Tyranney / vnd den Bapſt mit ſeiner Geuckeley machen / was ſie machen / Er iſt vnd bleibt HErr vber alles.
DAS die Jüden nu ſo feſt ſtehen auff dem namen Iſrael / vnd rhümen / wie ſie allein Iſrael / wir aber Heiden ſind / Das iſt war / nach dem erſten ſtück vnd nach dem alten bund Moſe / der nu lengeſt erfüllet iſt. Aber nach dem andern ſtück / vnd newen Bund / ſind ſie nicht mehr Iſrael / Denn es ſol alles New ſein / vnd Iſrael hat müſſen auch new werden. Vnd ſind allein die der rechte Iſrael / die den newen Bund (zu Jeruſalem geſtifftet vnd angefangen) angenomen haben.
Rhum der Jüden wider vns Chriſten.
DEnn nach dem alten Bunde bin ich kein Iſrael noch Jüde / Aber nu rhüme ich mich / das ich S. Paulus ſon bin / vnd ein Iſrael oder BenJamin / Denn er iſt mein Vater / Nicht der alte Paulus / ſondern der new Pau. der doch der ſelbe alte Paulus iſt / Aber aus dem alten Paulo ein newer Paulus worden in Chriſto / vnd hat mich gezeuget in Chriſto durchs Euangeli. das ich jm ehnlich bin nach dem newen Bund. Alſo ſind alle Heiden / ſo Chriſten ſind / die rechten Iſraeliten vnd newe Jüden / aus Chriſto dem edleſten Jüden geborn. Darumb ligts alles an dem newen Bund / den der Meſſias ſtifften / vnd alles new machen ſolt / wie er gethan hat.
Rechte
Iſraeliter.
VND iſt dieſe Regel wol zu mercken / Denn wo die Propheten reden von Iſrael das er gantz ſolle widerkomen oder verſamlet werden / Als Mich. ij. Ezech. xx. vnd der gleichen / Das iſt gewislich vom newen Bund vnd vom newen Iſrael geredt / da nicht einer wird auſſen bleiben / vom ewigen reich Chriſti. Aber vom alten
Regel
wol zu mercken.
New vnd alt Iſrael.
[72a | 72b]
Vorrede.
Iſrael iſts nicht möglich zu verſtehen / Denn es iſt der mehrer teil in Aſſyrien vnd Babylonien blieben / beide / tod vnd lebendig / vnd gar wenig widerkomen / wie Eſra die ſelben alle zelet.
ABer die Jüden wollen den Meſſiam haben nach dem alten Bund / vnd dieſes newen Bunds nicht achten. So feilen ſie alles beides / ſchweben zwiſchen Himel vnd Erden. Den newen wollen ſie nicht / den alten können ſie nicht haben / Darumb iſt auch die Schrifft jnen verſiegelt / Jeſa. xxix. vnd verſtehen keinen Propheten. Vnd ſitzen ſo / on Regiment / beide leiblich vnd geiſtlich. Das leiblich vnd jrdiſche haben ſie nicht (denn ſie haben keinen König noch Herrn / noch Königreich oder Fürſtenthum) Das geiſtlich haben ſie auch nicht / Denn ſie wollen den newen Bund nicht annemen / vnd müſſen alſo on Prieſterthum bleiben. Summa ſie verachteten dieſen newen Bund nicht allein / ſondern verfolgeten / vnd wolten jn vertilgen vnd nicht leiden / vnd ſind mit jrem Bund drüber zu nicht worden.
Die Jüden wollen den newen Bund nicht annemen / den alten können ſie nicht haben.
VND wenn gleich Jeruſalem ſampt dem gantzen alten Weſen hette mügen bleiben / ſo hette doch der newe Bund müſſen komen / vnd alles new machen / die Schrifft zu erfüllen. Wie es itzt in der Chriſtenheit ſtehet / nemlich / das zu Jeruſalem hette müſſen ein Apoſtel / Biſſchoff / oder Predeger ſein / wie Chriſtus ſelbs angefangen / der daſelbs die kirche Chriſti hette müſſen regiern / Euangelium predigen / teuffen / Sacrament reichen / abſoluiren / binden etc. Hette es nicht wöllen thun der Hohepriſter Caiphas oder ein ander / So hette es müſſen ein Apoſtel oder der Apoſtel Nachkomen einer thun / Wie es denn bis daher geſchehen iſt / vnd geſchehen mus / Vnd alſo doch das ewige reich Chriſti auch in dem alten Jeruſalem regiern / ſo wol als in aller Welt / wie die Weiſſagung verheiſſen hatte vnd haben wil / Vnd were alſo das alte reich Moſe da blieben / als ein weltlich Regiment.
GLeich wie in aller Welt / das alte weltliche zeitliche Regiment bleibet / vnd nichts hindert / das darunter vnd darinnen das newe / geiſtliche / ewige Regiment vnd reich Chriſti auff Erden geſtifftet iſt / vnd ſein eigen weſen hat / wie wir fur augen ſehen. Sonderlich / wo frome Könige vnd Fürſten ſind / die ſolch new / ewig reich Chriſti in jrem altem Regiment leiden / oder ſelbs auch annemen / fordern vnd drinnen ſein wollen / als Chriſten. Sonſt iſt das mehrer teil Könige / Fürſten vnd Herrn des alten Regiments / dem newen Bund vnd Reich Chriſti / eben ſo gifftig / bitter feind / vnd verfolgens / vnd wollens vertilgen / als die Jüden zu Jeruſalem / Gehen auch weidlich / wie jene / drüber zu boden / wie Rom geſchehen iſt / vnd andern auch geſchehen wird. Denn Chriſtus new Reich mus bleiben / weil es ein ewig Reich verheiſſen iſt / vnd das alte Reich mus zu letzt vntergehen.
VND iſt gut zu rechen / Weil Gott ſelbs ſolch Reich ein new Reich heiſſt / ſo mus es gar viel ein herrlicher Reich ſein / weder das alte geweſt oder noch iſt vnd hat Gott willen gehabt / gar viel ein beſſers zu machen / weder das alte iſt / Vnd wenn ſchon kein ander Herrligkeit hie were / ſo iſt das allein vber alle maſſe herrlich gnug / das es ein ewig Reich ſol ſein / das nicht auffhöre / wie das alte oder weltliche Reich.
Heiligkeit des newen Reichs iſt weit höher / denn des alten.
NV ſind darüber dieſe vnmesliche herrliche Güter drinnen / Vergebung der ſünden / Friede mit Gott / Sicherheit vom ewigen Tode / vnd allem vbel / Gemeinſchafft göltlicher Maieſtet / aller Engel vnd Heiligen / Freude vnd Luſt an allen Creaturn / auch nach dem Leibe / Denn der ſelbige Leib / der jtzt der alte Leib iſt / ſol auch new werden ſampt allen Creaturn / wie die Seele new zu werden angefangen hat im Glauben.
Güter des newen Reichs.
DArumb thun die Jüden auch jnen ſelbs vnrecht vnd ſchaden / das ſie begern durch Meſſia / nicht dis newe Reich / Sondern eben das vorige alte / vergengliche Reich / darin ſilber / gold / güter / gewalt / ehre / luſt vnd freud nach dem ſterblichen Fleiſch beſeſſen wird / welche fur Gott gar geringe / ja gar nichts geſchetzt ſind. Denn wo er ſolch Reich hette wollen verheiſſen / würde ers nicht ein new / anders vnd beſſers Reich nennen.
VND vber dieſer Welt güter kan ja nichts anders / newes / beſſers heiſſen / on allein die geiſtlichen / ewigen / ſeligen güter im Himel / da kein böſes noch vbel vnter ſein kan. Aber vnter den jrdiſchen / alten / zeitlichen gütern / wenn ſie gleich ſo herrlich weren / als die Jüden von jrem Meſſia treumen / ſo mus doch viel böſes vnd viel vbels drunter sein vnd bleiben / Zum allerwenigſten der tod vnd ende ſolcher güter.
SOlche zwey ſtück leret vns auch Heſekiel. Das er von der Widerkunfft aus Babylon das Volck tröſtet / Aber viel mehr von dem newen Iſrael vnd reich Chriſti weiſſagt. Das iſt ſein Geſicht vom Wagen / vnd faſt auch ſein Tempel am letzten teil ſeines Buchs.
[72b | 73a]
Heſekielis in den letzten Capit. von dem XL. an / bis ans ende des Propheten / zu verſtehen ſey.
LXXXIIII.
WER dis gebew des Tempels / Altars / Stad vnd Landes / ſo Heſekiel hie beſchreibt / verſtehen wil / der mus Lyram fur ſich nemen / mit ſeinen Figuren vnd Gloſen / Sonſt wird er ſich vergeblich drinnen mühen vnd erbeiten. Vnd weil wir die Figur nicht haben wiſſen auffs Papir beſſer zu geben / Haben wir ſie laſſen anſtehen / vnd zum Lyra den Leſer geweiſet / Denn auch nicht müglich iſt / ein Gebew auffs Papir zu entwerffen / Sondern müſte ein geſchnitzt Muſter machen.
WAs es aber bedeutet / haben die Lerer einer ſonſt / der ander ſo gedacht. Aber fur allen / iſt der Jüden vnd jrer gleichen verſtand zuuerwerffen / die da meinen / Es ſolle ſein der dritte Tempel / der durch jren künfftigen Meſſia gebawet werden müſſe / vnd rhümen viel vnd groſſe herrligkeit dauon / in jrer nerrichten vergeblichen Hoffnung. Vnd ſehen nicht die blinden vnd groben Leute / Das der Text ſolche jre Trewme nicht leiden kan / wie es Lyra auch gewaltiglich vberweiſet. Denn Heſekiel nicht ſagt / Das dieſe Stad ſolle Jeruſalem heiſſen / auch nicht an dem Ort ſtehen / da Jeruſalem gelegen iſt / welche gegen Mitternacht / am Berge hanget / vnd der Tempel mitten drinnen auff dem hügel Morija ſtund vnd das ſchlos Zion zu öberſt gegen Mittage.
Gedanken der Jüden vom Gebew Heſekiels etc.
Alte Jeruſalem.
ABer dieſe ſtad Heſekielis ſol gegen Mittage ligen / vnd ſpricht / Sie ſolle heiſſen / Dominus ibi. Da Gott / oder / Gott da / das iſt / Da Gott ſelbs iſt. Vnd der Tempel ſol nicht drinnen ſein / Sondern wie die rechnung gibt / wol ſieben guter / groſſer / deudſcher Meilewegs von der Stad gegen mitternacht. Vnd die Stad auffm hohen Berge ſol haben bey neun / guter / groſſer deudſcher meilen / beide in die lenge vnd breite / das die Ringmaur begreiffe vmb vnd vmb xxxvj. deudſcher meile / Das mag ein Stedlin heiſſen / vnd ein Berglin / darauff sie ligt.
Stad / ſo Heſekiel bawet / heiſſt nicht Jeruſalem / ſondern Dominus ibi etc.
Tempel des newen Jeruſalem.
Lenge vnd weite der Stad Heſekielis etc.
Wenn nu ein Bürger am ende der Stad gegen Mittag wonend / zur Kirchen oder Tempel gehen wolt / der muſte ſechzehen meil weges gehen / als neun durch die Stad / vnd darnach ſieben bis zum Tempel. Solch vngereimbt ding ſehen die blinden Jüden nicht / das es nicht kan ein leiblich Gebew ſein / viel weniger an dem Ort / da Jeruſalem gelegen iſt / wie ſie doch felſchlich hoffen.
AVch ſol ein gros Waſſer inwendig aus dem Tempel flieſſen ins Todemeer (welchs die Papiſten von jrem Weihwaſſer ſingen / als die Narren) Das ſich in keinem weg reimet / mit der landſchafft Iſrael.
DAzu werden die Stemme vnd das land Iſrael auch viel anders vnd weiter geteilet / vnd geordent. Alſo / das die Stad vnd der Tempel in keinem ſtam Iſrael ligen ſol / So doch zuuor Jeruſalem im ſtam BenJamin gelegen iſt / wie das alles vnd viel mehr der Text klerlich gibt.
DER Altar ſol auch xj. ellen hoch vnd oben xiiij. ellen breit ſein / Das ein Prieſter / wenn er ſchon die Treppen hinauff ſteiget / dennoch mus er einen Arm haben ſieben ellen lang / das er mitten auff den Altar reichen / vnd die Opffer zurichten könne. Das müſte ja auch ein eben Prieſterlin ſein / der funffzehen oder ſechzehen guter groſſer ellen gros oder lang were.
Altar j1. ellen hoch
14. ellen breit.
DARumb iſt dis Gebew Heſekielis nicht von einem new leiblichen Gebew zu verſtehen. Sondern wie der Wagen im anfang / Alſo auch das Gebew am ende nichts anders iſt / denn das reich Chriſti / die heilige Kirche / oder Chriſtenheit hie auff Erden / bis an den Jüngſten tag.
Rechter Verſtand dis Gebews etc.
WIE aber alle ſtücke zu deuten vnd zuſetzen ſind eigentlich / Das wollen wir ſparen bis in jenes Leben / wenn wir den gantzen Baw / als denn allerding bereit vnd fertig ſehen werden. Itzt weil es noch im bawen gehet / vnd viel Stein vnd Holtz / hie zugehörig / noch nicht geborn ſind / ſchweige gezimmert / können wirs nicht alles ſehen / Iſt gnug / das wir wiſſen / Es ſey Gottes Haus / vnd ſein eigen Gebew / darin wir alle ſind.
WER müſſig vnd luſtig iſt / der kan wol viel drinnen ſehen vnd forſchen / wenn er Gottes wort vnd die Sacrament / mit jren krefften vnd wirckungen / ſo der heilig Geiſt dadurch wirckt in der Chriſtenheit / fur ſich nemen vnd reimen wil / Vnd die offenbarung Johannis kan auch dazu helffen.
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Allgemeine Anmerkung zur neuen Vorrede
Luther bezieht in dieser Vorrede eine sehr scharfe Position gegen den jüdischen Glauben. Sicherlich zählt diese »neue Vorrede« zu den antijudaistischen, wenn nicht gar zu den antisemitischen Schriften eines alternden Luthers.
Grundlage für ihn ist eine tiefgreifende christliche Exegese der Buchs Hesekiel. D. h., Luther unterwirft die Inhalte des Buchs der christlichen Lehre und dem Neuen Testament. Hesekiels Visionen interpretiert er als Prophezeihungen zum endzeitlichen Reich Gottes, in dem die Christenheit, nicht Israel, das Volk Gottes sei.
Wir geben hier Luthers Vorrede als Zeitzeugnis der vollständigen Bibelausgabe von 1545 wieder und fügen Zwischenüberschriften ein, die Luthers Haltung umreissen und den Inhalt der Sinnabschnitte wie üblich aufzeigen
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass wir Luthers antisemitische Haltung und seine antijüdischen Formulierungen nicht tragen, sondern verurteilen und ablehnen.
Anmerkungen zum
ersten Teil der neuen Vorrede
1) Römische Zifferfolge in Frakturschreibweise: xxjx, das ist die Zahl 29.
Das Fraktur-Zeichen »x« ist der kleine Buchstabe »x«, nicht der Buchstabe »r«!
2) ij. Corin. iij.: 2. Corin[ther] 3. mit den römische Ziffernfolgen in Frakturschreibweise
3) Römische Zifferfolge in Frakturschreibweise: xjx, das ist die Zahl 19.
4) Lat: In omnem terram; dt.: »In/auf der ganzen Welt«
5) Rom. viij. j. Corinth. xij. Ephe. iiij.: Rom 8, 1Kor 12, Eph 4.
6) (wie Heſekiel ſelbs hie zeigt viij. ix.): Hes 8, Hes 9
7) Rom. viij. ij. Corinth. iij. Matth. xj.: Rom 8; 2.Kor 3; Mt 11
8) Jerem. xxxj.: Jer 31 (Verse 31-34)
9) Mich. ij. Ezech. xx.: Mi 2 (Verse 12-13); Hes 20 (Vers 42)
10) Jeſa. xxix.: , sie oben: Jes. 29 (Verse 9-12)
Anmerkungen zum
Abschnitt der Unterrichtung über das Gebäude Hesekiels
G1) Druckfehler in der Blattzählung: LXXIIII. (74);
Korrektur: LXXIII. (73)
G2) Lyram - Figuren vnd Gloſen
Mit Lyram und Lyra ist gemeint:
Nikolaus von Lyra (* um 1270 in Lyra (Lyre, heute: La Neuve-Lyre) bei Évreux in der Normandie; † 1349 in Paris)
Nikolaus von Lyra war Theologe und Autor umfangreicher Kommentare zu den Büchern der Bibel. In seinem Kommentar zum Buch des Propheten Ezechiel (Hesekiel) ist er bemüht, die Angaben in Hes 40 - 48 zu interpretieren. Dies resultiert neben einer Beschreibung in mehreren Zeichnungen zum Text.
Luthers Verweis auf Nikolaus von Lyras Kommentar belegt, dass dieser Teil der Vorrede sich speziell an theologisch gebildete Leser richtete, die auch Zugang zu theologischen Fachbüchern hatten.
Luthers Ausdruck Figuren vnd Gloſen meint »Zeichnungen und Anmerkungen«.
Interessant ist, dass Luther offensichtlich auch mit den planen Zeichnungen des Nikolaus von Lyra nicht gut zurechtgekommen ist. Er wünschte sich ein 3D-Model, das viel aussagekräftiger wäre (»Sondern müſte ein geſchnitzt Muſter machen«).
G3) Lat: dominus ibi; dt.: »Der Herr [ist] da«
Luther gibt selbst die Übersetzung an (Da Gott / oder / Gott da / ) und erklärt, das iſt / Da Gott ſelbs iſt.
Als Bezeichnung für eine Stadt ließe sich das auch als »Gottesstadt« oder »Stadt Gottes« lesen.
Wichtig ist für ihn an dieser Stelle: Hesekiel nennt die Stadt ganz bewußt und eindeutig nicht Jerusalem.
G4) Luthers deudſcher Meilewegs:
Gemäß zahlreicher Quellen entsprach zu Luthers Zeit eine deutsche (Land-)Meile 10.000 Schritt zu je etwa 75,3 cm. Die deutsche Meile war 7.532 Meter lang. Allerdings schwanken die tatsächlichen Längenangaben aufgrund unterschiedlicher Meßmethoden wie auch regional stark, i. d. R. zwischen 7,5 und 11 Kilometer.
Der Wort Meilewegs ist ein Ausdruck aus dem Stadtrecht und war ebenso für Reisende jeder Art interessant. Er gibt an, dass die Entfernung entlang eines begeh- oder befahrbaren Weges zu messen ist, nicht als direkte Entfernung (Luftlinie). Die Angabe half u. a. dabei, ungefähre Reisezeiten zu berechnen: Zu Fuß benötigte man für eine Meile Meilenwegs ca. zwei Stunden.
Wir als heutige Leser dürfen uns darauf beschränken, zu erfahren, dass Luther den Tempel wol ſieben guter / groſſer / deudſcher Meilewegs von der Stad gegen mitternacht annahm, also mindestens 50 Kilometer nördlich der Stadt gelegen.
G5) Römische Zifferfolge in Frakturschreibweise: xxxvj, das ist die Zahl 36.
G6) Luther: Das mag ein Stedlin heiſſen / vnd ein Berglin / darauff sie ligt.
Luther nimmt die Stadtmauer mit einer Länge von 36 deutschen Meilen an und denkt sie sich für die weitere Rechnung quadratisch, wobei das Quadrat eine Seitenlänge von 9 Meilen besitzt.
Diese Fläche entspräche laut seiner Angabe einer kleinen Stadt, die auf einem Hügel liegt. Doch dies ist eine ironische Notiz gegen jene Interpreten, die in den Angaben eine wirkliche Stadt auf einem Hügel erkennen wollen.
Luther war wohl bewusst, dass weder eine Stadt noch ein Berg eine Fläche von 36 Quadratmeilen (mehr als 4.500 Quadratkilometer) belegt. Das entspräche einem riesigen Metropolverbund von der Größe des Rhein-Main-Gebiets einschließlich der Städte Wiesbaden, Mainz, Frankfurt, Darmstadt und Worms.
Luther führt seine Berechnungen mit einem Beispiel fort, das aufzeigt, dass Hesekiels Angaben keine realen Orte beschreiben können:. Ein Fußgänger, der vom Südende der Stadt zum Tempel laufen wolle (beispielsweise um sein Tagesgebet zu verrichten), müsste, ohne Umwege einzurechnen, mindestens 16 Meilen zurücklegen (ca. 120 Kilometer). Er wäre somit ungefähr 32 Stunden unterwegs. Wanderte er täglich 8 bis 10 Stunden, würde er erst am vierten Tag nach seinem Aufbruch am Tempel ankommen, und könnte frühestens nach einer Woche wieder den Ausgangsort erreichen.
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Nikolaus von Lyra (* um 1270 in Lyra (Lyre, heute: La Neuve-Lyre) bei Évreux in der Normandie; † 1349 in Paris) war Theologe und Autor umfangreicher Kommentare zu den Büchern der Bibel.
In seinem Kommentar zum Buch des Propheten Ezechiel (Hesekiel) ist er bemüht, die Angaben zu den Gebäuden in Hesekiel 40 - 48 zu interpretieren. Dies resultiert neben einer Beschreibung in mehreren Zeichnungen zu den einzelnen Textabschnitten.
Die folgende Abbildung zeigt eine der Zeichnungen, den Grundriss der Tempelanlage.
Abbildung:
Nikolaus von Lyra:
Der neue Tempel in Jerusalem nach der Vision Hesekiels (Hes 40 - 48).
Grafik aus: Nikolaus von Lyra, Kommentar zur Bibel, Französische Handschrift aus dem späten 14. Jahrhundert.
Credits: Wikimedia Commons, Lizenz: Public Domain
Die obige Zeichnung stammt aus einer handschriftlichen Kopie des Kommentars, die lange nach dem Tod des Nikolaus von Lyra angefertigt wurde.
Eine detailiertere Zeichnung findet sich in:
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 108
Nikolaus de Lyra
Postilla in Vetus Testamentum (Bar, Historia Susannae = Dn 13–14, Ez, Dn 1–12, Duodecim Prophetas) — Deutschland (?), 14. Jh., nach 1332
Ort des Bildes: Universitätssbibliothek Heidelberg, Heidelberger historische Bestände – digital
Die digitalisierte Ausgabe ist jedoch durch die Vatikanische Apostolische Bibliothek rechtlich geschützt, weshalb wir das Blatt an dieser Stelle leider nicht direkt zeigen können.
Der Text aus der Lutherbibel ist auf unseren Seiten in Anlehnung an das Druckbild des Originals von 1545 wiedergegeben.
Den Seitenaufbau, die verwendeten Schriften, die Schreibregeln der Frakturschrift und Luthers Intentionen, mit der Typografie Lesehilfen bereitzustellen, erläutert dem interessierten Leser unser Artikel »Satz und Typografie der Lutherbibel von 1545«.
Luther widmet den Prophetenbüchern eine umfangreiche Vorrede. Diese Bücher seien reich an Predigten und Beispielen für christliches Leben, und sie weissagen die Ankunft Christi.