Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
Zum Text in 66 Kapiteln
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VORRAUSSETZUNGEN FÜR DAS VERSTÄNDNIS | |
1 | Die Bedeutung des Buchanfangs und der historischen Gegegebenheiten |
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[365b]
WEr den heiligen
Propheten Jeſaiam wil nützlich leſen / vnd deſte bas verſtehen / Der laſſe jm (ſo ers nicht beſſer hat oder weis) dieſen meinen rat vnd anzeigung nicht veracht ſein. Zum erſten / Das er den Titel oder anfang dieſes buchs nicht vberhüpffe / ſondern auffs aller beſte lerne verſtehen. Auff das er ſich nicht düncke / er verſtehe Jeſaiam faſt wol / vnd müſſe darnach leiden / das man ſage / Er habe den Titel vnd erſte zeile noch nie verſtanden / ſchweige denn / den gantzen Propheten. Denn derſelbige Titel iſt faſt fur eine gloſe vnd liecht zu halten vber das gantze Buch / Vnd Jeſaias auch ſelbs gleich mit fingern ſeine Leſer dahin weiſet / als zu einer anleitunge / vnd grund ſeines Buchs. Wer aber den Titel veracht / oder nicht verſtehet / dem ſage ich / das er den Propheten Jeſaiam mit frieden laſſe / oder je nicht gründlich verſtehen werde / Denn es vnmüglich iſt / des Propheten wort vnd meinung richtiglich vnd klerlich zuuernemen oder zu mercken / on ſolches des Titels gründlich erkentnis.
DEn Titel aber meine vnd heiſſe ich nicht alleine / das du dieſe wort / Vſia / Jotham / Ahas / Jeheſkia / der könige Juda etc. leſeſt oder verſteheſt. Sondern fur dich nemeſt das letzte Buch von den Königen / vnd das letzte Buch der Chronica / dieſelbigen wol einnemeſt / Sonderlich die Geſchicht / rede / vnd zufelle / ſo ſich begeben haben vnter den Königen / die im Titel genennet ſind / bis zu ende der ſelbigen Bücher / Denn es iſt von nöten / ſo man die Weiſſagung verſtehen wil / das man wiſſe wie es im Lande geſtanden / die Sachen drinnen gelegen ſind geweſen. Wes die Leute geſinnet geweſt / oder fur anſchlege gehabt haben / mit oder gegen jre Nachbar / Freunde vnd Feinde. Vnd ſonderlich wie ſie ſich in jrem Lande gegen Gott / vnd gegen den Propheten in ſeinem wort vnd Gottesdienſt oder Abgötterey gehalten haben.
Lender vmb Jeruſalem vnd Juda gelegen.
ZV dem were auch wol gut / das man wüſte / wie die Lender aneinander gelegen ſind / Damit die auslendiſchen / vnbekandten wort vnd namen / nicht vnluſt zu leſen / vnd finſternis oder hindernis im verſtand macheten. Vnd auff das ich meinen einfeltigen Deudſchen einen Dienſt dazu thu / wil ich kürtzlich anzeigen die Landſchafft vmb Jeruſalem oder Juda gelegen / darin Jeſaia gelebt vnd geprediget hat / Damit ſie deſte bas ſehen / wo ſich der Prophet hin keret / wenn er weiſſagt / gegen Mittage / oder Mitternacht etc.
GEgen Morgen hat Jeruſalem oder Juda / am neheſten das Todtemeer / da vor zeiten Sodom vnd Gomorra geſtanden iſt. Jenſeid dem Todtenmeer ligt das land Moab / vnd der kinder Ammon. Darnach weiter hinüber ligt Babylon oder Chaldea / vnd noch weiter der Perſer Land / Dauon Jeſaia viel redet.
GEgen Mitternacht ligt der Berg Libanon / vnd hinüber bas Damaſcus vnd Syria / Aber weiter enhindern zu Morgen werds / ligt Aſſyria / Dauon auch Jeſaia viel handelt.
GEgen Abend ligen die Philiſter am groſſen Meer / die ergeſten Feinde der Jüden / vnd daſſelbige Meer hinab zur Mitternacht zu / ligt Zidon / vnd Tyrus / welche grentzen mit Galilea.
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Vórrede áuf den Própheten
Gegen Mittage hats viel lender / als Egypten / Morenland / Arabiam / das Rotemeer / Edom vnd Midian / Alſo das Egypten gegen Abend im mittag ligt.
DIS ſind faſt die Lender vnd namen / da Jeſaia von weiſſagt / als von den Nachbarn / Feinden / vnd Freunden / ſo vmbs Land Juda her ligen / wie die Wolff vmb einen Schaff ſtal. Mit welcher etlichen ſie zu weilen Bund vnd wider bund machten / vnd halff ſie doch nichts.
Wo von der Prophet Jeſaia handelt.
DArnach muſtu den Propheten Jeſaiam in drey teil teilen / Im erſten handelt er / gleich wie die andern Propheten / zwey ſtück / Eines / Das er ſeinem Volck viel prediget / vnd ſtrafft jr mancherley ſünde / Fürnemlich aber die manchfeltige Abgötterey / ſo im Volck vberhand hatte genomen (Wie auch jtzt vnd alle zeit frome Prediger bey jrem Volck thun / vnd thun müſſen) Vnd behelt ſie in der zucht mit drewen der ſtraff / vnd verheiſſen des guten.
Jeſaia
handelt drey
ſtücke / Im erſten ſtraffet er / der Jüden mancherley ſunde etc.
DAs ander / das er ſie ſchicket vnd bereitet / auff das zukünfftige reich Chriſti zu warten / von welchem er ſo klerlich vnd manchfeltiglich weiſſagt / als ſonſt kein Prophet thut / Das er auch die Mutter Chriſti / die Jungfraw Maria beſchreibt wie ſie jn empfangen vnd geberen ſolt / mit vnuerſerter Jungfrawſchafft Cap. vij. Vnd ſein Leiden im liij. Cap. ſampt ſeiner aufferſtehung von Todten / vnd ſein Reich gewaltiglich vnd dürre eraus verkündigt / als were es dazu mal geſchehen / Das gar ein trefflicher / hocherleuchter Prophet mus geweſen ſein. Denn alſo thun alle Propheten / das ſie das gegenwertige Volck leren vnd ſtraffen / Da neben Chriſtus zukunfft vnd Reich verkündigen / vnd das Volck drauff richten vnd weiſen / als auff den gemeinen Heiland / beide der vorigen vnd zukünfftigen. Doch einer mehr denn der ander / einer reichlicher denn der ander / Jeſaias aber vber ſie alle am meiſten vnd reichlichſten.
Danach / bereitet er ſie auff das zukünfftige Reich Chriſti.
Was alle Propheten thun vnd leren.
IM andern hat er ein ſonderlichs zuthun / mit dem Keiſerthum zu Aſſyrien / vnd mit dem keiſer Sanherib / Da weiſſagt er auch mehr vnd weiter von / denn kein ander Prophet. Nemlich / wie der ſelbige Keiſer alle vmbligende Lender würde gewinnen / auch das königreich Iſrael / Dazu viel vnglücks anlegen dem Königreich Juda. Aber da helt er als ein Fels mit ſeiner verheiſſung / wie Jeruſalem ſolle verteidingt / vnd von jm erlöſet werden. Welchs Wunder wol der gröſſeſten eines iſt / ſo in der Schrifft erfunden wird / Nicht allein der Geſchicht halben / das ſolcher mechtiger Keiſer / ſolte fur Jeruſalem geſchlagen werden / Sondern auch des glaubens halben / das mans hat gegleubt. Wunder iſts / ſage ich / das jm ein Menſch zu Jeruſalem hat können gleuben / in ſolchem vnmüglichem ſtücke. Er wird on zweiuel offt haben müſſen viel böſer wort der Vngleubigen hören. Noch hat ers gethan / den Keiſer hat er geſchlagen / vnd die Stad verteidigt. Darumb mus er mit Gott wol dran / vnd ein thewrer Man fur jm geacht ſein geweſt.
Weiſſagung Jeſaia wider das Keiſerthum zu Aſſyrien.
Groſſe wunder ſo zu Jeſaia zeiten geſchehen.
IM dritten ſtücke / Hat er mit dem Keiſerthum zu Babel zuthun / Da weiſſagt er von dem Babyloniſchen gefengnis / damit das Volck ſolt geſtrafft / vnd Jeruſalem verſtöret werden / durch den Keiſer zu Babel. Aber hie iſt ſeine gröſſeſte erbeit / wie er ſein zukünfftig Volck / in ſolcher zukünfftiger Verſtörunge vnd Gefengnis / tröſte vnd erhalte / das ſie ja nicht verzweiueln / als ſey es mit jnen aus vnd Chriſtus Reich würde nicht komen / vnd alle Weiſſagung falſch vnd verloren ſein
Jeſaia Weiſſagung von der Babyloniſchen gefengnis.
WIe gar reiche vnd volle predigt thut er da / das Babel ſolle widerumb verſtöret / vnd die Jüden los werden / vnd wider gen Jeruſalem komen. Das er auch anzeiget mit hohmütigem trotz wider Babel / die namen der Könige / welche Babel ſollen verſtören / nemlich / die Meder vnd Elamiter oder Perſer. Sonderlich aber den König / der die Jüden ſolt los machen / vnd gen Jeruſalem wider helffen / nemlich / Cores / den er nennet den Geſalbeten Gottes / ſo lange zuuor / ehe denn ein Konigreich in Perſen war. Denn es iſt jm alles vmb den Chriſtum zu thun / Das deſſelbigen Zukunfft / vnd das verheiſſen Reich der gnaden vnd ſeligkeit / nicht veracht / oder durch vnglauben vnd fur groſſem vnglück vnd vngedult / bey ſeinem Volck verloren / vnd vmb ſonſt ſein muſte / wo ſie des nicht wolten warten / vnd gewiſlich zukunfftig gleuben. Dis ſind die drey ſtücke / damit Jeſaias vmbgehet.
Verſtörung Babel vnd der Jüden erlöſung.
Cores.
Was fur Ordnung der Prophet halte.
[4b | 5a]
Jeſáiam.
V.
ABer die Ordenung helt er nicht / das er ein jglichs an ſeinem ort / vnd mit eigenen Capiteln vnd blettern faſſete / Sondern iſt faſt gemenget vnternander / das er viel des erſten ſtücks / vnter das ander / vnd dritte mit einfüret / vnd wol das dritte ſtück etwa ehe handelt / denn das ander. Ob aber das geſchehen ſey / durch den / ſo ſolche ſeine Weiſſagung zuſamen geleſen vnd geſchrieben hat / (Als man im Pſalter auch achtet geſchehen ſein) oder ob ers ſelbs ſo geſtellet hat / darnach ſich zeit / vrſachen vnd Perſon / zugetragen haben / von eim jglichen ſtücke zu reden / welche zeit vnd vrſachen nicht gleich ſein / noch ordnung haben mügen / das weis ich nicht.
SO viel Ordnung helt er / Das er das erſte / als das furnemeſte ſtücke / zeucht vnd treibt von anfang / bis ans ende beide durchs ander vnd dritte ſtücke. Gleich wie auch vns gebürt in vnſern Predigten zuthun / das vnſer furnemeſt ſtücke / die Leute zu ſtraffen / vnd von Chriſto zu predigen / jmer mit vnterlauffe / Ob wir gleich etwas anders zu weilen zufelliglich furhaben zu predigen / als vom Türcken oder vom Keiſer etc.
HIeraus kan nu ein jglicher den Propheten leichtlich faſſen / vnd ſich drein ſchicken / Das jn die Ordnung (als bey den vngewoneten ſcheinet) nicht jrre noch vberdrüſſig mache. Wir zwar haben müglichen vleis gethan / das Jeſaias gut / klar deudſch redet / wiewol er ſich ſchweer dazu gemacht / vnd faſt gewehret hat. Wie das wol ſehen werden / ſo Deudſch vnd Ebreiſch wol können. Allermeiſt aber / die Dünckelmeiſter / die ſich düncken laſſen / ſie könnens alles. Denn er iſt im Ebreiſchen faſt wol beredt geweſt / das jn die vngelencke Deudſche zunge ſawr ankomen iſt.
WAS fur nutz aber haben müge / wer Jeſaiam lieſet / das wil ich den Leſer lieber ſelbs erfaren laſſen / denn erzelen. Vnd wer es nicht erferet noch erfaren wil / dem iſt auch nicht nütze viel dauon zu rhümen. Er iſt fur war voller lebendiger / tröſtlicher / hertzlicher Sprüche / fur alle arme Gewiſſen / vnd elende betrübte Hertzen. So iſt auch der Drewſprüche vnd ſchrecken wider die verſtockten / hoffertigen harten köpffe der Gottloſen / gnug drinnen / wo es helffen ſolt.
DV ſolt aber Jeſaiam bey dem Jüdiſchen volck nicht anders anſehen / denn als einen verachteten Man / Ja wie einen Narren vnd Vnſinnigen. Denn wie wir jn jtzt halten / ſo haben ſie jn nicht gehalten / Sondern wie er ſelbs zeuget / Cap. lviij. haben ſie die Zungen gegen jm her aus gereckt / vnd mit Fingern auff jn geweiſet / vnd alle ſeine Predigt / fur Narrheit gehalten. On gar ein wenig fromer Gottes kinder im hauffen / als der König Ezechias etc. Denn es war die gewonheit bey dem Volck / die Propheten zu ſpotten / vnd fur Vnſinnig zu halten iiij. Reg. ix. Wie denn allen Gottes Dienern vnd Predigern alle zeit geſchehen iſt / teglich geſchicht / vnd fort hin geſchehen wird.
Das kan man auch da bey mercken / Das er das Volck am meiſten ſtrafft / vmb die Abgötterey / Die andern Laſter / als prangen / ſauſſen / geitzen / rütet er kaum drey mal. Aber die vermeſſenheit auff jr erwelete Götzendienſt vnd eigen werck / oder troſt
auff Könige vnd Verbündnis / ſtraffet er durch vnd
durch / Welchs dem Volck vnleidlich war / denn ſie
wolten recht darin ſein. Derhalben er auch zu letzt
durch König Manaſſe / als ein Ketzer vnd
Verfürer / ſol getodtet vnd (als die Jüden
ſagen) mit einer Seghe von einander
geſchnitten ſein.
Jeſaia iſt bey den Jüden veracht geweſt.
Wie die Welt Gottes Diener helt vnd ehret.
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Luther widmet den Prophetenbüchern eine umfangreiche Vorrede. Diese Bücher seien reich an Predigten und Beispielen für christliches Leben, und sie weissagen die Ankunft Christi.