Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
Eine Bildbesprechung
Dem 1. Buch Mose ist im zweiundzwanzigstens Kapitel ein Bild beigefügt, das die Geschichte zeigt, in der Abraham auf einem Berg seinen Sohn Isaak als Brandopfer .
Der Druckstock ist als Holzschnitt erstellt worden, der die Maße ca. 15 x 11 cm besitzt.
Wir zeigen hier eine aufbereitete Reproduktion des Bildes, das in der Lutherbibel von 1545 unkoloriert abgedruckt wurde.
Abbildung: »Abrahams Versuchung«
Bild zum 1. Buch Mose, Kapitel 22, in der Lutherbibel von 1545.
Das Kapitel 22 des 1. Buchs Mose erzählt die Geschichte, in der Gott Abraham auf die Probe stellt: Er solle seinen Sohn Isaak opfern, und zwar nach den Regeln des Brandopfers. Dies soll auf einem heiligen Berg geschehen.
Die Geschichte wird eigeleitet mit dem Auftrag Gottes für Abraham, auf dem Berg Moria seinen Sohn Isaak zu opfern (1Mos 22,1-2).
NAch dieſen Geſchichten / Verſuchte Gott Abraham / vnd ſprach zu jm / Abraham / Vnd er antwortet / Hie bin ich. 2Vnd er ſprach / Nim Iſaac deinen einigen Son / den du lieb haſt / vnd gehe hin in das land a Morija / vnd opffere jn da ſelbs zum Brandopffer auff einem Berge / den ich dir ſagen werde.
Dies erscheint schwer verständlich. Kann der Gott, der den Menschen erschaffen hat, Menschenopfer wollen, wie es in zahlreichen anderen Kulturen und Religionen bekannt ist?
Tatsächlich waren auch in vorderen Orient Menschenopfer in besonderen Situationen üblich, die vor dem Hintergrund großer Not praktiziert wurden. Insbesondere wurden Kinder als Opfer in Ritualen häufig gewählt. Sie stellten neben dem eigenen Leben das größte Opfer dar, das ein Mensch einem Gott geben konnte. In Fruchtbarkeitsritualen wurden dabei bevorzugt Erstgeborene geopfert. Zwar war Isaak nicht der Erstgeborene, sondern der zweite Sohn Abrahams, jedoch der erste und einzige Sohn, den er mit seiner Frau Sarah zeugte.
Die Bibel berichtet mehrfach von Opferritualen in Israel, in denen Kinder geopfert wurden. Sie werden allerdings im Zusammenhang mit Moloch genannt, nicht mit Jahwe (JHWH), wobei heute unklar ist, ob »Moloch« eine Gottheit meinte oder das Opferritual für einen Gott wie Baal oder Milkom bezeichnete.
So beispielsweise in Jeremia 32,30-35:
30DEnn die kinder Iſrael vnd die kinder Juda haben von jrer Jugent auff gethan / Das mir vbel gefellet / vnd die kinder Iſrael haben mich erzürnet / durch jrer hende werck / ſpricht der HERR. 31Denn ſint der zeit dieſe Stad gebawet iſt / bis auff dieſen tag / hat ſie mich zornig vnd grimmig gemacht / das ich ſie mus von meinem Angeſicht wegthun / 32Vmb alle der bosheit willen der kinder Iſrael / vnd der kinder Juda / die ſie gethan haben / das ſie mich erzürneten. Sie / jre Könige / Fürſten / prieſter vnd Propheten / vnd die in Juda vnd Jeruſalem wonen / 33haben mir den rücken vnd nicht das angeſicht zugekeret. Wie wol ich ſie a ſtets leren lies / Aber ſie wolten nicht hören / noch ſich beſſern. 34Da zu haben ſie jre Grewel in das Haus geſetzt / das von mir den Namen hat / das ſie es verunreinigten. 35Vnd haben die Höhen des Baals gebawet jm tal BenHinnom / das ſie jre Söne vnd Töchter dem Moloch verbrenneten / Da von ich jnen nichts befolhen habe / vnd iſt mir nie in ſinn komen / das ſie ſolchen Grewel thun ſolten / damit ſie Juda alſo zu ſunden brechten.
Das in diesem Text genannte Tal BenHinnom ist mit größter Wahrscheinlichkeit das Tal, das westlich und südlich des alten Jerusalems verläuft. Die Moloch-Opfer wurden im Tal vor der westlichen Stadtmauer Jerusalems vollzogen.
In Jer 32,35 erklärt Gott unmißverständlich, dass ihm Menschenopfer ein Gräuel sind. Um so erstaunlicher, dass Gott von Abraham dieses Opfer verlangt hatte. Doch die Geschichte klärt sich schnell auf: Gott hatte Abraham auf die Probe gestellt. Es ging ihm nicht um das Opfer, sondern um die Bereitschaft Abrahams, Gottes Willen zu erfüllen. Es ging ihm um einen Loyalitätsbeweis, der allerdings auf einer außergewöhnlich harten Bedingung fußte.
In dieser Geschichte ist das Motiv wie ein Fruchtbarkeitsritual anzusehen, das zu damaligen Zeiten bekannt war: Für Abraham geht es neben dem Beweis seiner Treue zu Gott letztendlich um eine reichliche, gesegnete Nachkommenschaft. die ihm nach der erfolgreich bestanden Prüfung von Gott auch zugesagt wird.
15VND der Engel des HERRN rieff Abraham abermal vom Himel / 16vnd ſprach / Ich habe bey mir ſelbs geſchworen / ſpricht der HERR / Die weil du ſolchs gethan haſt / vnd haſt deines einigen Sons nicht verſchonet / 17Das ich deinen Samen ſegenen vnd mehren wil / wie die Stern am Himel / vnd wie den Sand am vfer des Meers / Vnd dein Same ſol beſitzen die Thor ſeiner Feinde / 18Vnd durch deinen Samen ſollen alle Völcker auff Erden geſegenet werden / Darumb / das du meiner ſtimme b gehorcht haſt.
Die Abbildung zeigt mehrere Szenen aus dem Text gleichzeitig.
Zu sehen sind:
Die Bilder zeigen meist mehrere Szenen aus einem Buch oder Kapitel gleichzeitig und führen den Leser visuell in Stoff ein.
Die Künstler, die diese Bilder entworfen hatten, waren Meister der Mediengestaltung. Sie nutzten kleinste Flächen, um ganze Geschichten zu erzählen. Sie schnitten mit einem Stecheisen aus einem kleinen Holzblock derart genau, dass die vielen Details auf dem Zielmedium im Druck trotz dicker Druckerschwärze und faseriger Papiere erkennbar blieben!
Verstand man es, diese Bilder »zu lesen«, konnten daraus wieder die Geschichten entwickelt und nacherzählt werden. Dies war vor allem für jene Betrachter wichtig, die des Lesens unkundig waren oder Hilfen benötigten, um die durchaus schwierigen Texte der Bibel zu verstehen. Die Bilder waren ein wichtiger Anreiz dafür, die Texte zu lesen oder Lesen zu lernen, und trugen so erheblich zur Bildung ganzer Bevölkerungsgruppen bei.
Luther erklärt die Bedeutung des Alten Testaments und der Gesetze Mose. Diese Schriften seien für Christen sehr nützlich zu lesen, nicht zuletzt deshalb, weil Jesus, Petrus und Paulus mehrfach daraus zitieren.