Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
Eine Bildbesprechung
Dem Buch des Propheten Amos ist im ersten Kapitel ein Bild vorangestellt, das mehrere Szenen aus dem 7. Kapitel zeigt. Der Druckstock ist als Holzschnitt erstellt worden, der die Maße ca. 15 x 11 cm besitzt.
Wir zeigen hier eine aufbereitete Reproduktion des Bildes, das in der Lutherbibel von 1545 unkoloriert abgedruckt wurde.
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Abbildung: »Der Prophet Amos«
Titelbild zum Buch des Propheten Amos in der Lutherbibel von 1545.
Einen großen Raum nehmen die monströsen Gebäude links im Bild ein, vor denen im Vordergrund mehrere Personen stehen. Im rechten Teil sieht man im Hintergrund eine bewaldete Landschaft mit einer Burg auf einem Hügel und einer Stadt. Davor befindet sich ein großes Feld, auf dem Getreide wächst.
Abgebildet sind gleichzeitig mehrere Szenen aus dem siebten Kapitel (Amos 7):
Das Getreidefeld zeigt in der Mitte einen großen kahlen Bereich. Heuschrecken fielen in das Land ein und hatten bereits begonnen, das Getreide auf den Feldern zu fressen.
Auf dem Feld brennt ein Feuer. Dicke Rauchschwaden steigen zum Himmel auf. Feuersbrünste breiteten sich aus und vernichteten große Teile des Landes. Am Rand des Feldes steht Amos, der Gott anfleht, die Feuersbrünste zu beenden.
In der Mitte des Bildes sitzt auf einer hohen Mauer Gott. Er ist durch mehrere Nimbusse (Heiligenscheine), einen Bart, einen kostbaren Mantel und durch eine Krone gekennzeichnet. In der Hand hält er eine Richtschnur, ein Lot, wie es Maurer und Zimmerleute zu Luthers Zeit verwendet hatten. Gott maß das Land und seine Bevölkerung aus und teilte sie. Die Folge waren die Landesteilung, verbunden mit Bruderkriegen.
Amazia, der Priester von Bethel, hatte sich bei König Jerobeam beklagt, dass Amos schlecht über das Land und das Volk weissage und für den König den Tod durch das Schwert im Kampf hervorsage. Daraufhin war Amazia ermächtigt, Amos aus der Stadt zu weisen, denn die Stadt und die Gebäude seinen ein Stift und ein Haus des Königs (Amos 7,12).
Die Gebäude sind deutlich als Kirche und schlossartige Anbauten zu erkennen. Im Vordergrund steht links Amazia, hinter ihm sein Gefolge, angehörige der Priesterschaft und des bürgerlichen Adels, worauf die Kleidung der Personen hinweist.
Rechts steht Amos, bekleidet wie ein Hirte mit einfacher, rauer Kleidung, mit seinem Hirtenbeutel und seinem Hirtenstab, denn er ist kein Priester, sondern ein Hirte (Amos 7,14). Ein Nimbus umgibt seinen Kopf. Seine Hand zeigt auf Amazia. Amos spricht gerade den Fluch gegen Amazia (Amos 7,16-17).
Der Nimbus, der »Heiligenschein«, ist seit der Antike ein Symbol in der Kunst und seit der frühen Ikonographie auch in christlich motivierten Abbildungen zu finden. Als Ring oder Strahlenkranz umgibt er den Kopf einer Person oder schwebt in geringem Abstand darüber.
Der Nimbus ist in der christlichen Religion den Abbildungen von Jesus Christus, von Päpsten, von Engeln und von Heiligen vorbehalten.
Der Nimbus über Amos kennzeichnet ihn als heilige Person.
Zu sehen ist in diesem Bild ein weiterer Nimbus, weitaus strahlender (weil größer und zugleich mehrschichtig) über Gott.
Sinn der Titelbilder in den Büchern der Propheten war es, den jeweiligen Autor kurz vorzustellen, ohne ein einziges Wort dem gedruckten Text hinzufügen zu müssen. Dabei sind die Bilder hochgradig verdichtete Informationsträger und keineswegs nur schmückendes Beiwerk.
Die Bilder zeigen meist mehrere Szenen aus einem Buch gleichzeitig und führen den Leser visuell in Stoff des Buches ein.
Die Künstler, die diese Bilder entworfen hatten, waren Meister der Mediengestaltung. Sie nutzten kleinste Flächen, um ganze Geschichten zu erzählen. Sie schnitten mit einem Stecheisen aus einem kleinen Holzblock derart genau, dass die vielen Details auf dem Zielmedium im Druck trotz dicker Druckerschwärze und faseriger Papiere erkennbar blieben!
Verstand man es, diese Bilder »zu lesen«, konnten daraus wieder die Geschichten entwickelt und nacherzählt werden. Dies war vor allem für jene Betrachter wichtig, die des Lesens unkundig waren oder Hilfen benötigten, um die durchaus schwierigen Texte der Bibel zu verstehen. Die Bilder waren ein wichtiger Anreiz dafür, die Texte zu lesen oder Lesen zu lernen, und trugen so erheblich zur Bildung ganzer Bevölkerungsgruppen bei.
Luther widmet den Prophetenbüchern eine umfangreiche Vorrede. Diese Bücher seien reich an Predigten und Beispielen für christliches Leben, und sie weissagen die Ankunft Christi.