Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
Eine Betrachtung
Dem Buch des Propheten Maleachi ist im ersten Kapitel ein Bild vorangestellt, das mehrere Szenen zeigt. Der Druckstock ist als Holzschnitt erstellt worden, der die Maße ca. 15 x 11 cm besitzt.
Wir zeigen hier eine aufbereitete Reproduktion des Bildes, das in der Lutherbibel von 1545 unkoloriert abgedruckt wurde.
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Abbildung: »Der Prophet Maleachi«
Titelbild zum Buch des Propheten Maleachi in der Lutherbibel von 1545.
Im Vordergrund steht der Prophet Maleachi. Die Brücke zeigt an, dass das große Tor ein Stadttor ist, in dem sich etliche Stadtbewohner versammelt haben.
Maleachi redet mit erhobenem Zeigefinger. Er predigt gegen die Bevölkerung der Stadt und gegen die Priester.
Rechts hinter Maleachi trägt ein Mann ein Lamm. Er möchte es opfern, doch Maleachi wettert gegen minderwertige Opfer: Es war üblich, nicht die besten Lämmer zu opfern, sondern solche, die krank oder missgebildet waren und sich kaum anderweitig hätten nutzen oder verwerten lassen (Mal 1,6-14: Gegen minderwertige Opfer).
Diese Szene steht stellvertretend für alle Übergriffe, die Maleachi gegen die Priester und die Bevölkerung Israels beklagt.
Der Künstler hat in die Gruppe vor dem Stadttor zwei Männer in die erste Reihe graviert, die Luther und Melanchthon darstellen können – zumindest sind sie ihnen sehr ähnlich.
Konzentriert hört sich Luther die Rede Maleachis an, Melanchthon steht in einer Haltung, die verrät, dass er mit Luther die Rede diskutiert. Dies zeigt u. a., welchen Wert Luther dem Buch Maleachis beimaß. Für ihn zielen die Prophezeiungen Maleachis auf Johannes den Täufer und auf Jesus Christus, die im Hintergrund zu sehen sind. Sie verweisen heilsgeschichtlich auf das Evangelium, auf die christliche Lehre und auf den Tag des Herrn, auf das jüngste Gericht.
Nun ist auch ersichtlich, warum Maleachi auf einer Brücke steht: Der Künstler brauchte einen Fluss. Im Hintergrund links sind Menschen zu sehen, die aus einem Fluss steigen. Darunter auch Frauen in Begleitung ihrer Männer, was auf Maleachis Rede gegen die Untreue und gegen die Geringschätzung der Frau abzielt (Mal 2,13-16: Gegen die Entweihung des Bunds der Ehe und der Geringschätzung der Ehefrau).
In einer christlichen Gemeinde kommt der Ehe große Bedeutung zu. Die Ehefrau ist bereits im alttestamentlichen Verständnis gleichberechtigte Partnerin des Mannes.
Luther erklärt deshalb allen Lesern in seinem Scholion den Vers Mal 2,14, in dem Gott begründet, warum es ihn anwidert, im Gottesdienst mit Speiseopfern und Gaben geehrt zu werden, glasklar und auf Deutsch:
»Weil du dein liebes Weib verachtest, die dir der HERR zu geordnet hat, die deine Partnerin ist und der du dich verpflichtet hast.«
Der Fluss ist der Jordan, auch dann, wenn die Landschaft doch eher auf Mitteldeutschland hinweist. Zu sehen sind Menschen, die sich haben taufen lassen als Symbol für ihren Glauben und ihre Treue zu Gott und als Symbol für ihre Errettung am Tag des Herrn. Aus der ganzen Gegend strömen Menschen zum Fluss, die erkannt haben, dass Maleachis Worte wahr geworden sind.
Eine Person, die noch halb im Wasser steht, trägt einen Heiligenschein. Es ist Johannes der Täufer, der mit ausgestrecktem Arm auf eine weitere Person zeigt, die sich dem Jordan nähert: Jesus Christus.
Luther sieht in Johannes den Täufer den Engel und Elia, wie sie in Mal 3,1-4 (Die Ankündigung des Boten) und Mal 3,23-24 (Die Wiederkehr des Elia vor dem Tag des HERRN) beschrieben sind. Dies notiert er ausdrücklich in seiner Vorrede zum Propheten Maleachi (Vorrede: Maleachi weissagt über Christus und das Evangelium).
Der Nimbus, der »Heiligenschein«, ist seit der Antike ein Symbol in der Kunst und seit der frühen Ikonographie auch in christlich motivierten Abbildungen zu finden. Als Ring oder Strahlenkranz umgibt er den Kopf einer Person oder schwebt in geringem Abstand darüber.
Der Nimbus ist in der christlichen Religion den Abbildungen von Jesus Christus, von Päpsten, von Engeln und von Heiligen vorbehalten.
Der Nimbus über Johannes kennzeichnet ihn als heilige Person.
Zu sehen ist in diesem Bild ein weiterer Nimbus, strahlender (weil größer) über Jesus.
Sinn der Titelbilder in den Büchern der Propheten war es, den jeweiligen Autor kurz vorzustellen, ohne ein einziges Wort dem gedruckten Text hinzufügen zu müssen. Dabei sind die Bilder hochgradig verdichtete Informationsträger und keineswegs nur schmückendes Beiwerk.
Die Bilder zeigen meist mehrere Szenen aus einem Buch gleichzeitig und führen den Leser visuell in Stoff des Buches ein.
Die Künstler, die diese Bilder entworfen hatten, waren Meister der Mediengestaltung. Sie nutzten kleinste Flächen, um ganze Geschichten zu erzählen. Sie schnitten mit einem Stecheisen aus einem kleinen Holzblock derart genau, dass die vielen Details auf dem Zielmedium im Druck trotz dicker Druckerschwärze und faseriger Papiere erkennbar blieben!
Verstand man es, diese Bilder »zu lesen«, konnten daraus wieder die Geschichten entwickelt und nacherzählt werden. Dies war vor allem für jene Betrachter wichtig, die des Lesens unkundig waren oder Hilfen benötigten, um die durchaus schwierigen Texte der Bibel zu verstehen. Die Bilder waren ein wichtiger Anreiz dafür, die Texte zu lesen oder Lesen zu lernen, und trugen so erheblich zur Bildung ganzer Bevölkerungsgruppen bei.
Luther erklärt die Bedeutung des Alten Testaments und der Gesetze Mose. Diese Schriften seien für Christen sehr nützlich zu lesen, nicht zuletzt deshalb, weil Jesus, Petrus und Paulus mehrfach daraus zitieren.