Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
Zum Text in neunzehn Kapiteln
Nr. | Überschrift | Link zum Text |
1 | Der Streit darüber, das Buch in den Kanon der Bibel aufzunehmen |
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DIS Buch iſt lange
zeit im zanck geſtanden / Obs vnter die Bücher der heiligen Schrifft des alten Teſtaments zurechen ſein ſolte / oder nicht / Sonderlich weil der Tichter ſich hören leſſt im ix. Cap. als redet in dieſem gantzen Buch der könig Salomon / welcher auch von der Weisheit / im buch der Könige hoch gerhümet wird.
Aber die alten Veter habens ſtracks aus der heiligen Schrifft geſondert / vnd gehalten / Es ſey vnter der Perſon des königes Salomon gemacht / Auff das es vmb ſolches hochberhümbten Königes namen vnd Perſon willen / deſte mehr geacht / vnd gröſſer anſehen hette / bey den Gewaltigen auff Erden / an welche es furnemlich geſchrieben iſt / Vnd vieleicht langeſt vntergangen were / wo es der Meiſter / ſo er geringes anſehens geweſt / vnter ſeinem namen hette laſſen ausgehen.
SIE halten aber / Es ſolle Philo dieſes Buchs Meiſter ſein / welcher on zweiuel der allergelerteſten vnd weiſeſten Jüden einer geweſt iſt / ſo das Jüdiſch volck nach den Propheten gehabt hat / wie er das mit andern Büchern vnd Thaten beweiſet hat. Denn zur zeit des keiſers Caligula / da die Jüden / durch etliche Griechen / als Appion vnd Alexandria / vnd ander mehr / auffs aller ſchendlichſt wurden mit Laſterſchrifften vnd Schmachreden geſchendet / vnd darnach fur dem Keiſer auffs allergifftigſt angegeben / vnd verklagt / Ward genanter Philo vom Jüdiſchen volck / zum Keiſer geſchickt / die Jüden zu verantworten vnd zu entſchüldigen. Als aber der Keiſer ſo gar erbittert war auff die Jüden / das er ſie von ſich weiſet / vnd nicht hören wolt / Da lies ſich Philo / als ein Man vol muts vnd troſts / hören / vnd ſprach zu ſeinen Jüden / Wolan lieben Brüder / erſchreckt des nicht / vnd ſeid getroſt / Weil menſchen hülffe vns abſaget / ſo wird gewiſlich Gottes hülffe bey vns ſein.
Philo dieſes
Buchs Meiſter.
Caligula.
AVS ſolchem grund vnd vrſache / düncket mich / ſey dis Buch gefloſſen / Das Philo / dieweil ſeine / vnd der Jüden ſache vnd recht / nicht hat mügen ſtat finden fur dem Keiſer / wendet er ſich zu Gott / vnd drewet den Gewaltigen / vnd böſen meulern / mit Gottes gericht. Darumb redet er auch ſo hefftig vnd ſcharff / im j. vnd ij. Cap. wider die gifftigen böſen zungen / ſo den Gerechten vnd Vnſchüldgen / vmb der warheit willen / verfolgen vnd vmbbringen. Vnd darnach wider die Gewaltigen einfüret die groſſen Exempel göttliches gerichts / ſo Gott vber den könig Pharao vnd die Egypter / geübt hat / vmb der kinder Iſrael willen. Vnd thuts mit ſo trefflichen hefftigen worten / als wolt er gerne / beide den Keiſer / die Römer / vnd die gifftigen zungen der Griechen / ſo wider die Jüden tobeten / mit eim jglichen wort treffen / vnd durch ſolche mechtige Exempel / abſchrecken / vnd die Jüden tröſten.
Urſach / warumb dies Buch geſchrieben.
ABer hernachmals iſt dis Buch von vielen / fur ein recht buch der heiligen Schrifft gehalten. Sonderlich aber in der Römiſchen Kirchen / alſo hoch vnd ſchon gehalten / das freilich kaum aus einem Buch in der Schrifft / ſo viel Geſanges gemacht iſt als aus dieſem. Vieleicht aus der vrſache / weil in dieſem Buch die Tyrannen ſo hefftig mit worten geſtraffet / vnd angegriffen / Widerumb die Heiligen vnd Marterer / ſo höchlich getröſtet werden / vnd zu Rom die Chriſten mehr denn ſonſt in aller Welt / verfolget vnd gemartert wurden / Haben ſie dis Buch am meiſten getrieben / als das ſich zur ſachen ſo eben reimet / mit drewen wider die Tyrannen / vnd mit tröſten fur die Heiligen. Wiewol ſie viel ſtück darin nicht verſtanden / vnd gar offt bey den haren gezogen haben / Wie denn auch ſonſt der gantzen heiligen Schrifft offt geſchehen iſt / vnd teglich geſchicht.
Viel Kirchen geſangs iſt aus dieſem Buch gemacht.
WIE dem allen / Es iſt viel guts dinges drinnen / vnd wol werd / das mans leſe. Sonderlich aber ſolten es leſen die groſſen Hanſen / ſo wider jre Vnterthanen toben / vnd wider die Vnſchüldigen / vmb Gottes wort willen / wüten. Denn die ſelbigen ſpricht er an im vj. Cap. vnd bekennet / das dis Buch an ſie ſey geſchrieben / da er ſpricht / Euch Tyrannen gelten meine Rede etc. Vnd ſeer fein zeuget er /
[163b | 164a]
Vorrede.
LCXIII.
das die weltlichen Oberherren / jre gewalt von Gott haben / vnd Gottes Amptleute ſeien. Aber drewet jnen / das ſie Tyranniſch ſolchs göttlichen befolhen Ampts brauchen.
DARumb kompt dis Buch nicht vneben zu vnſer zeit / an den tag / dieweil jtzt auch die Tyrannen getroſt jrer Oberkeit misbrauchen / wider den / von dem ſie ſolche Oberkeit haben. Vnd leben doch wol ſo ſchendlich in jrer Abgötterey / vnd vnchriſtlicher heiligkeit / als hie Philo die Römer vnd Heiden / in jrer Abgötterey beſchreibet / Das ſichs allenthalten wol reimet auff vnſer jtzige zeit.
Dis Buch reimet ſich wol auff vnſer zeit.
MAN nennet es aber / die Weisheit Salomonis / darumb / Das (wie geſagt iſt) vnter Salomonis namen vnd Perſon getichtet iſt / vnd die Weisheit gar herrlich rhümet / nemlich / was ſie ſey / was ſie vermag / wo her ſie kome. Vnd gefellet mir das aus der maſſen wol drinnen / das er das wort Gottes ſo hoch rhümet / vnd alles dem wort zuſchreibet / was Gott je Wunders gethan hat / beide an den Feinden / vnd an ſeinen Heiligen.
Titel dieſes Buchs.
Dis Buch rhümet hoch Gottes wort.
Sap. 16.
Matt. 4.
DAraus man klerlich erkennen kan / das er Weisheit hie heiſſt / nicht die kluge / hohe gedancken der heidniſchen Lerer / vnd menſchlicher vernunfft / Sondern das heilige Göttliche wort. Vnd was du hierin lobes vnd preiſes von der Weisheit höreſt / da wiſſe / das es nicht anders / denn von dem wort Gottes geſagt iſt. Denn er auch ſelbs im xvj. Cap. ſpricht / Die kinder Iſrael ſeien nicht durch das Himelbrot erneeret / noch durch die ehrne Schlange geſund worden / ſondern durch Gottes wort. Wie Chriſtus Matth. iiij. auch ſagt / Der Menſch lebt nicht vom Brot allein etc. Darumb leret er / das die Weisheit nirgend her kom / denn von Gott / vnd füret alſo aus der Schrifft / viel Exempel drauff / vnd gibts der Weisheit / das die Schrifft dem wort Gottes gibt.
Weisheit heiſſet in dieſem Buche / Gottes wort.
SOlchs hab ich deſte lieber geredt / das man gemeiniglich das wort / Weisheit / anders vernimpt / denn es die Schrifft braucht / nemlich / wenn mans höret / ſo feret man mit fliegenden gedancken / da hin / vnd meinet / Es ſey nichts denn gedancken / ſo in der weiſen Leute hertzen verborgen ligen / Vnd helt die weil das euſſerliche wort oder Schrifft nicht fur weisheit / So doch aller Menſchen gedancken / on Gottes wort / eitel lügen vnd falſche trewme ſind. Darumb weil dieſes Buchs name heiſſt / die weisheit Salomonis / iſts gleich ſo viel geſagt / als ſpreche ich / Ein buch Salomonis vom wort Gottes. Vnd der Geiſt der Weisheit nicht anders / denn der glaube oder verſtand deſſelbigen worts / welchen doch der heilige Geiſt gibt. Solcher glaube oder geiſt / vermag alles vnd thut / wie dis Buch rhümet im vij. Cap.
Brauch des worts / Weisheit in der Schrifft.
Weisheit Salomonis.
Geiſt der Weisheit.
ZV letzt iſt dis Buch eine rechte auslegunge / vnd Exempel des erſten Gebots / Denn hie ſiheſtu / das er durch vnd durch leret / Gott fürchten vnd trawen / Schreckt die jenigen mit Exempeln göttlichs zorns / ſo ſich nicht fürchten / vnd Gott verachten. Widerumb tröſtet die jenigen mit Exempeln göttlicher gnade / ſo jm gleuben vnd trawen / welchs nichts anders iſt / denn der rechte verſtand des erſten Gebots. Daraus man auch mercken kan / Das aus dem erſten Gebot / als aus dem Heubtborn / alle Weisheit quillet vnd fleuſſet / vnd freilich daſſelbige Gebot / die rechte Sonne iſt / da alle Weiſen bey ſehen / was ſie ſehen. Denn wer Gott fürchtet vnd gleubet / der iſt voller weisheit / aller welt Meiſter / aller wort vnd werck mechtiger / aller lere vnd leben / ſo fur Gott gilt vnd hilfft / Richter. Widerumb / wer das erſte Gebot nicht hat / vnd Gott weder fürcht noch trawet / der iſt voller torheit / kan nichts / vnd iſt nichts.
Dis Buch iſt eine auslegung des erſten gebots.
Vnd das iſt die furnemeſte vrſache / warumb dis
Buch wol zu leſen iſt / Das man Gott fürchten
vnd trawen lerne / Da er vns zu
helffe mit gnaden / Amen.
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*1) Druckfehler: LCXIIII. Korrektur: CLXIIII.
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