Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
Der Text in 21 Kapiteln
Nr. | Textstelle | Abschnitt | Link zum Text |
Kapitel XVIII. | ||
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11,55 - 19,42 |
VIII. DAS LETZTE OSTERFEST
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18,1 - 19,42 |
VIII.5 DER LEIDENSWEG, DAS LEIDEN UND DER TOD JESU
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1 | 18,1-11 | |
2 | 18,12-14 | Jesus vor Hannas und Kaiphas /1 Fortsetzung: → V. 19-24 |
3 | 18,15-18 | Fortsetzung: → V. 25-27 |
4 | 18,19-24 | Jesus vor Hannas und Kaiphas /2 Fortsetzung von: → V. 12-14 |
5 | 18,25-27 | Fortsetzung von: → V. 15-18 |
6 | 18,28-38a | |
7 | 18,38b-40 |
[308b]
18,1 - 19,42
I.
Garte.
Mat. 26.
Mar. 14.
Luc. 22.
DA Jheſus ſolches geredt hatte / gieng er hinaus mit ſeinen Jüngern vber den bach Kidron / da war ein Garte / dar ein gieng Jheſus vnd ſeine Jünger. 2Judas aber der jn verrhiet / wuſte den ort auch / Denn Jheſus verſamlet ſich offte daſelbs mit ſeinen Jüngern. 3Da nu Judas zu ſich hatte genomen die Schar / vnd der Hohenprieſter vnd Phariſeer diener / kompt er da hin / mit fackeln / lampen / vnd mit waffen.
ALS nu Jheſus wuſte / alles was jm begegnen ſolte / gieng er hin aus / vnd ſprach zu jnen / Wen ſuchet jr? 5Sie antworten jm / Jheſum von Nazareth. Jheſus ſpricht zu jnen / Ich bins. Judas aber der jn verrhiet / ſtund auch bey jnen. 6Als nu Jheſus zu jnen ſprach / Ich bins / wichen ſie zu rücke / vnd fielen zu boden. 7Da fraget er ſie abermal / Wen ſuchet jr? Sie aber ſprachen / Jheſum von Nazareth. 8Jheſus antwortet / Ich habs euch geſagt / das ichs ſey / Süchet jr denn mich / ſo laſſet dieſe gehen. 9Auff das das wort erfüllet würde / welchs er ſaget / Ich habe der keinen verloren / die du mir gegeben haſt.
DA hatte Simon Petrus ein Schwert / vnd zoch es aus / vnd ſchlug nach des Hohenprieſters Knechte / vnd hieb jm ſein rechte Ohr ab. Vnd der Knecht hies Malchus. 11Da ſprach Jheſus zu Petro / ſtecke dein Schwert in die ſcheide. Sol ich den Kelch nicht trincken / den mir mein Vater gegeben hat?
DIe Schar aber vnd der Oberheubtman / vnd die Diener der Jüden namen Jheſum / vnd bunden jn / 13vnd füreten jn auffs erſte zu Hannas / der war Caiphas Schweher / welcher des jars Hoherprieſter war. 14Es war aber Caiphas / der den Jüden riet / Es were gut / das ein Menſch würde vmbbracht fur das Volck. a
a
Hie ſolt ſtehen der Vers. Vnd Hannas ſandte jn gebunden zu dem Hohenprieſter Caiphas. Infra. A. Iſt von dem Schreiber verſetzt im vmbwerffen des blats / wie offt geſchicht.
SImon Petrus aber folgete Jheſu nach / vnd ein ander Jünger. Derſelbige Jünger war dem Hohenprieſter bekand / vnd gieng mit Jheſu hin ein in des Hohenprieſters Pallaſt. 16Petrus aber ſtund drauſſen fur der thür. Da gieng der ander Jünger / der dem Hohenprieſter bekand war / hin aus / vnd redet mit der Thurhüterin / vnd füret Petrum hin ein. 17Da ſprach die Magd die Thurhüterin zu Petro / Biſtu nicht auch dieſes menſchen Jünger einer? Er ſprach / Ich bins nicht. 18Es ſtunden aber die Knechte vnd Diener / vnd hatten ein Kol-
[308b | 309a]
S. Johanuis․ C․ XVIII.
CCCIX.
fewer gemacht / denn es war kalt / vnd wermeten ſich. Petrus aber ſtund bey jnen / vnd wermet ſich.
ABer der Hoheprieſter fraget Jheſum vmb ſeine Jünger vnd vmb ſeine Lere. 20Jheſus antwortet jm / Ich habe frey öffentlich geredt fur der welt / Ich habe allezeit geleret in der Schule vnd in dem Tempel / da alle Jüden zuſamen komen / vnd habe nichts im verborgen geredt. 21Was frageſtu mich darumb? Frage die darumb / die gehöret haben / was ich zu jnen geredt habe / Sihe / dieſelbigen wiſſen was ich geſagt habe. 22Als er aber ſolchs redet / gab der Diener einer / die da bey ſtunden / Jheſu einen Backen ſtreich / vnd ſprach / Soltu dem Hohenprieſter alſo antworten? 23Jheſus antwortet / Hab ich vbel geredt / ſo beweiſe es / das böſe ſey / Habe ich aber recht geredt / was ſchlechſtu mich? 24Vnd Hannas ſandte jn gebunden zu dem Hohenprieſter Caiphas.
25SImon Petrus aber ſtund vnd wermet ſich. Da ſprachen ſie zu jm / Biſtu nicht ſeiner Jünger einer? Er verleugnet aber / vnd ſprach / ich bins nicht. 26Spricht des Hohenprieſters Knecht einer / ein gefreundter des / dem Petrus das Ohr abgehawen hatte / Sahe ich dich nicht im Garten bey jm? 27Da verleugnet Petrus abermal / Vnd alſo balde krehet der Han.
III.
Jheſus
fur das Richthaus gefürt etc.
Mat. 27.
Mar. 15.
Luc. 23.
DA füreten ſie Jheſum von Caipha fur das Richthaus. Vnd es war früe / Vnd ſie giengen nicht in das Richthaus / auff das ſie nicht vnrein würden / ſondern Oſtern eſſen möchten. 29Da gieng Pilatus zu jnen heraus / vnd ſprach / Was bringet jr fur Klage wider dieſen Menſchen? 30Sie antworten / vnd ſprachen zu jm / Were dieſer nicht ein Vbeltheter / wir hetten dir jn nicht vberantwortet. 31Da ſprach Pilatus zu jnen / So nemet jr jn hin / vnd richtet jn nach ewrem Geſetz. Da ſprachen die Jüden zu jm / Wir thüren niemand tödten / 32Auff das erfüllet würde das wort Jheſu / welchs er ſaget / da er deutet / welchs Tods er ſterben würde.
(Dieſen)
Es iſt wunder was jr wider ſolchen fromen / berümbten Man / klagen könnet.
33DA gieng Pilatus wider hin ein ins Richthaus / vnd rieff Jheſu / vnd ſprach zu jm / Biſtu der Jüden König? 34Jheſus antwortet / Redeſtu das von dir ſelbs / Oder habens dir andere von mir geſagt? 35Pilatus antwortet / Bin ich ein Jüde? Dein Volck vnd die Hohenprieſter / haben dich mir vberantwortet / Was haſtu gethan? 36Jheſus antwortet / Mein Reich iſt nicht von dieſer welt / Were mein Reich von dieſer welt / meine Diener würden drob kempffen / das ich den Jüden nicht vberantwortet würde. Aber nu iſt mein Reich nicht von dannen. 37Da ſprach Pilatus zu jm / So biſtu dennoch ein König? Jheſus antwortet / Du ſagſts / Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren / vnd in die welt komen / das ich die Warheit zeugen ſol. Wer aus der warheit iſt / der höret meine ſtimme. 38Spricht Pilatus zu jm / * Was ist warheit.
VND da er das geſaget / gieng er wider hin aus zu den Jüden / vnd ſpricht zu jnen / Ich finde keine Schuld an jm. 39Ir habt aber eine gewonheit / das ich euch einen auff Oſtern los gebe / Wolt jr nu / das ich euch der Jüden König los gebe? 40Da ſchrien ſie wider alle ſampt / vnd ſprachen / Nicht dieſen / ſondern Barrabam / Barrabas aber war ein Mörder.
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1) Luthers Anmerkung zu Vers 14
Luther erklärt hier, dass mit Blick auf den Verlauf der Ereignisse an dieser Stelle, nach Vers 14, der Vers 24 einzuordnen sei, der »weiter unten« steht, und zwar im folgenden Abschnitt, der mit »A« beginnt (»Infra. A« für lat. »[vide] infra«, dt.: »[siehe] weiter unten«, bei A).
Diese etwas eigentümliche Beschreibung war so nötig, weil es noch keine Versnummern gab.
Luther vermutet eine fehlerhafte Aberration des Schreibers beim Abschreiben, der die neue Anordnung erstmals so vorgenommen hatte, wie sie nun vorzufinden ist, aufgrund eines Seiten- bzw. Blattwechsels. Solche Fehler seien bekannt und häufig gewesen.
Luther erkannte: In der jetzigen Abfolge wird Jesus durch Kaiphas gar nicht verhört, sondern von ihm direkt zu Pilatus geschickt (Vers 24 → Vers 28).
Logisch erscheint eher, dass Jesus zwar zunächst zu Hannas gebracht wurde, der hohes Ansehen genoss. Er war in der Vergangenheit der Hohepriester in Jerusalem und war bereits vor Jahren von den Römern abgesetzt worden. Hannas fühlte sich aber nicht mehr zuständig, weder von Amtswegen noch inhaltlich. Daher lies er Jesus zu Kaiphas bringen (Vers 24), der das Verhör zu leiten hatte, um mit dem Hohen Rat ein offizielles Urteil zu fällen, bevor Pilatus bemüht werden konnte,
Johannes merkt in seinem Text unmissverständlich an (Vers 13b.14), dass nicht Hannas, sondern Kaiphas der Hohepriester war (Amt), die Fahndung veranlasste und den Juden riet, Jesus zu töten (Anklage, Vorverurteilung und Fahndung). Johannes bezeichnet Hannas nirgends als Hohepriester.
Daran schließt sich Vers 24 inhaltlich nahtlos an und macht so die Erzählung in den Versen 19 bis 23 verständlich: Hier führt (wie es die Vorschriften erforderten) der Hohepriester, also Kaiphas, das Verhör.
Fügt man Vers 24 vor Vers 15 ein, fand die Verleugnung durch Petrus vor dem Haus des Kaiphas statt, nicht im Palast des Hannas. Und nichts anderes schreibt Johannes: Petrus und ein weiterer Jünger, der dem Hohepriester (Kaiphas) bekannt war, gingen in den Palast des Hohepriesters.
So wird die Erzählung der Verleumdung im zweiten Handlungsstrang auch nicht mehr durch einen zwischengeschalteten Ortswechsel im ersten Strang (Verhöre) gestört. Belässt man Vers 24 da, wo er heute steht, stellt sich die Frage: Wieso sollte Petrus im Palast des Hannas verblieben sein, wenn sich inzwischen die Ereignisse längst ins Haus des Kaiphas verlagert hatten? Wieso sollte er zurückgeblieben sein, während eine lärmende Horde Jesus abführte? Derartige Ungereimtheiten erscheinen für den kausal-analytischen Autor Johannes eher untypisch.
Spätere Bibelausgaben berücksichtigen Luthers Anmerkung zu dieser Stelle nicht mehr.
Es mag sein, dass Luthers Argument der Aberration beim »Blattumwurf« auf schwachen Füßen steht. Es fehlen die Textzeugen, Quellen, die eine andere Versabfolge nachweisen. Inhaltlich führt Luthers Überlegung allerdings zu einer integeren und besseren Textgestalt.
Dagegen versuchen Exegeten recht mühsam und fruchtlos zu belegen, warum Hannas gemeint sein müsse, wenn Johannes in den Versen 15 bis 23 vom Hohepriester spricht. Ihr einziges Argument: Vers 24. Doch entzieht man es ihnen, bleiben sämtliche Fragen, die diese kurze Passage V.12-23 aufwirft, unbeantwortet. Der Ansatz, zu erklären, dass der Titel Hohepriester traditionell auch für solche Bestand hatte, die nicht mehr im Amt waren (weil sie in der jüdischen Tradition de facto auf Lebenszeit bestellt wären, unabhängig vom römischen Gebaren), scheitert an V.13b, in dem Johannes klar macht, wen er im Folgenden mit dem Begriff Hohepriester meint. Das ist der Sinn dieses Satzes. Dagegen taucht der Name Hannas in den Versen 15-23 nicht mehr auf. Johannes, der sich nicht scheute, immer dann ein Wort (oder auch viele) mehr zu verlieren, wenn es darauf ankam, eindeutig zu werden, sieht hier offensichtlich keinen weiteren Bedarf an Wörtern und Namen, um die beiden Personen in dieser Handlung zu unterscheiden.
Ein weiteres Argument, das für Hannas sprechen solle, sei, dass dieser Hohepriester kein Urteil fällt. Im Text stünde deshalb davon nichts, weil Hannas kein Urteil fällen durfte. Er hätte bestenfalls eine Empfehlung abgeben dürfen (was er auch tat, indem er Jesus zu Kaiphas bringen lies). Dieses Argument übersieht die Intentionen des Johannes.
Erstens: Auch von Kaiphas wird nicht geschrieben, dass er ein Urteil gefällt hatte. Der Urteilsspruch wird subsumiert und kommt erst im Vers 31 zum Vorschein (»Wir haben nicht das Recht, jemanden hinzurichten.«). Davor liegt das Urteil gar nicht im Fokus von Johannes.
Zweitens: Johannes interessiert sich nicht für die Fragen, Reaktionen und Antworten des Hohepriesters oder des Hohen Rats (von dem wir gar nichts lesen). Anders, als in anderen Dialogen lesen wir von den Obersten keine einzige konkret gestellte und wörtlich formulierte Frage und keine Antwort. Nichts. Wir vernehmen nicht eine Beschuldigung. Wir erhalten keinerlei Einblick in die Sitzung des Hohen Rats.
Johannes interessiert sich vielmehr für die beiden Verteidigungsreden des Jesus. Wir lesen, dass sie unterschiedlich akzentuiert sind:
In der ersten Rede verteidigt er sein Wirken allgemein gegen den Hohepriester und beruft als Zeugen die Menschen, die seine Reden gehört haben. Jesus stellt den Grund, die Rechtsgrundlage seiner Festnahme in Frage.
In der zweiten Rede verteidigt er sich unmittelbar gegen Folter (durch den Diener) und stellt die Beweggründe, die Form und die Rechtsgrundlage eines solchen Verhörs mit Folter in Frage.
Johannes erklärt auf diese Weise seinen Lesern (Christen, die unter Verfolgung leiden), dass grundlose und rechtlich mehr als fragwürdige Verfolgung, Folter und Gerichtsurteile zur Nachfolge Christi gehören. Jesus selbst hatte sie bereits durchlitten. Allerdings sollte sich das Bewusstsein nicht beugen lassen, richtig und aufrichtig gehandelt zu haben – selbst gegenüber ärgsten Vorwürfen und im Angesicht peinlichster und schmerzvollster Maßnahmen. Dafür steht Jesu Standhaftigkeit im Angesicht des (vorbestimmten) Todes.
Das Urteil an sich ist in dieser Szene völlig uninteressant und ein formulierter Spruch ist hier weder von Hannas noch von Kaiphas zu erwarten. Das hätte literarisch einer umfangreicheren Beschreibung der Verhandlung im Ratssaal bedurft und womöglich den Blick weg von der christlichen Nachfolgefrage hin zu einer Schuldfrage des jüdischen Hohen Rats gelenkt. Das ist aber weder die Absicht des Johannes, noch sieht er dafür eine Notwendigkeit. Denn schließlich ist das Urteil jedermann bekannt, insbesondere den Christen, die unter Verfolgung leiden sowie unter Intoleranz und Anfeindung in ihren Dörfern und Städten.
2) Druckfehler in der Seitenüberschrift: S. Johanuis.
Korrektur: S. Johannis.
3) lat.: Ironia eſt.
dt.: »Das ist Ironie.«
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