Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
mit Worterklärungen
Luther-Deudſch | Deutsch
Der Text in 42 Kapiteln
Nr. | Textstelle | Abschnitt | Link zum Text |
Kapitel VIII. | ||
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3 - 14 |
II. DER DIALOG: ERSTER GESPRÄCHSGANG
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8,1-22 |
II.4 Erste Rede des Bildad
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1 | 8,1-22 |
Im folgenden Text ist der bezeichnete Vers hervorgehoben.
[276b]
8,1-22
DA antwortet Bildad von Suah / vnd ſprach / 2Wie lange wiltu ſolchs reden? vnd die rede deines mundes ſo einen ſtoltzen mut haben? 3Meinſtu das Gott vnrecht richte / oder der Allmechtige das Recht verkere? 4Haben deine Söne fur jm geſündiget / ſo hat er ſie verſtoſſen vmb jrer miſſethat willen. 5So du aber dich bey zeit zu Gott thuſt / vnd dem Allmechtigen fleheſt. 6Vnd ſo du rein vnd from biſt / So wird er auffwachen zu dir / vnd wird wider auffrichten die Wonung
BILDAD.
[276b | 277a]
Hiob. C. VIII. IX.
Bildad.
CCLXXVII.
vmb deiner gerechtigkeit willen. 7Vnd was du zu erſt wenig gehabt haſt / wird hernach faſt zunemen. 8Denn frage die vorigen Geſchlechte / vnd nim dir fur zu forſchen jre Veter. 9Denn wir ſind von geſtern her vnd wiſſen nichts / Vnſer Leben iſt ein ſchatten auff Erden. 10Sie werden dichs leren vnd dir ſagen / vnd jre rede aus jrem hertzen erfur bringen.
11KAn auch die a Schilff auffwachſen / wo ſie nicht feucht ſtehet? Oder Gras wachſen on waſſer? 12Sonſt wens noch in der blüt iſt / ehe es abgehawen wird verdorret es / ehe man denn hew macht. 13So gehet es allen denen / die Gottes vergeſſen / vnd die hoffnung der Heuchler wird verloren ſein. 14Denn ſeine zuuerſicht vergehet / vnd ſeine hoffnung iſt eine Spinneweb. 15Er verleſſet ſich auff ſein Haus / vnd wird doch nicht beſtehen / Er wird ſich dran halten / Aber doch nicht ſtehen bleiben. 16Es hat wol Früchte ehe denn die Sonne kompt / vnd Reiſer wachſen erfur in ſeinem garten. 17Seine ſaat ſtehet dicke bey den quellen / vnd ſein Haus auff ſteinen. 18Wenn er jn aber verſchlinget von ſeinem ort / wird er ſich gegen jm ſtellen / Als kennet er jn nicht. 19Sihe / das iſt die freude ſeines weſens / vnd werden ander aus dem ſtaube wachſen. 20Darumb ſihe / das Gott nicht verwirfft die Fromen / vnd erhelt nicht die hand der Boshafftigen. 21Bis das dein mund vol lachens werde / vnd deine lippen vol jauchzens. 22Die dich aber haſſen / werden zu ſchanden werden / vnd der Gottloſen hütte wird nicht beſtehen.
Id eſt / Pintzen.
✽
1) lat.: Id eſt
dt.: Das ist
Id est: Pintzen. | »Das ist: Binsen«
Luther erklärt seinen Lesern den Begriff Schilf. Bekannter waren ihnen wohl Binsen, eine Gräserart, die in Feuchtgebieten und überfluteten Standorten wuchs. Binsen oder deren Blütenstände wurden für unterschiedliche Polster- und Isolierarbeiten verwendet.
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Kürzel | Bezeichnung in Luthers Biblia 1545 | Moderne Bibel | Kürzel |
Hiob | Das Buch Hiob.Biblia Vulgata: | Das Buch Hiob (Ijob) Das Buch Ijob | Hiob Ijob Hiob |
Erläuterungen siehe Liste der Abkürzungen und Namen biblischer Bücher | |||
Die folgenden Begriffe aus dem Text Hiob 8 werden hier erläutert.
Versnummer: Luthers Wort | |||
2: wiltu | 3: meinſtu | 3: Allmechtige | |
4: Söne | 4: geſündiget | 6: from | |
7: faſt | 8: fur | 10: erfur | |
11: Pintzen | 11: on | 12: hew | |
14: zuuerſicht | 22: Gottloſen | ||
Klick auf ein Wort führt zum Eintrag mit den Erklärungen. Das vollständige Verzeichnis findet sich hier: Das große Stilkunst.de–Wörterbuch zur Lutherbibel von 1545 |
Luther-Deutsch | Deutsch | Erläuterungen | ||||||||
wiltu | willst du (Verb) 2. Person Singular Indikativ Aktiv von wollen (Verb)
Präsens: wiltu: willst du -u: Die Flexion mit dem angehängten »u« ist eine eigentümliche Form, die sonst nur noch aus älteren Texten bekannt ist. Gebildet wurde sie aus der 2. Person, zusammengezogen mit dem Personalpronomen »du«, aus dem das »u« stammt. Diese Form impliziert eine gewisse Dringlichkeit und Direktheit der Ansprache, die unmittelbare Hinwendung zum Gegenüber. So kann es die unzweifelhafte Feststellung des Handelns, die dringliche Ansprache oder die unmittelbare Aufforderung zum Handeln bedeuten (Indikativ in der Aussage), die Erfüllung einfordern, mutmaßen bzw. unterstellen (Konjunktiv), oder zur Antwort und Erklärung auffordern (Verb in der Frage).
Heute ist stattdessen das Verb in seiner gebräuchlichen Flexion verbunden mit »du« zu verwenden. Die Direktheit oder eine Aufforderung kann bestenfalls durch eine Sinn tragende Beifügung umschrieben werden abhängig vom Kontext. Sie kann ggf. durch einen Imperativ herausgestellt werden. wiltu: willst du (ganz bestimmt, ohne Zweifel)!
wie lang wiltu mein ſo gar vergeſſen?
Wie lange willst du mich noch so ganz vergessen?!
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
meinſtu
meineſtu | meinst du (Verb) 2. Person Singular Aktiv von meinen (Verb)
Präsens Indikativ: meinſtu, du meinst Präsens Konjunktiv: meineſtu, du meinest -u: Die Flexion mit dem angehängten »u« ist eine eigentümliche Form, die sonst nur noch aus älteren Texten bekannt ist. Gebildet wurde sie aus der 2. Person, zusammengezogen mit dem Personalpronomen »du«, aus dem das »u« stammt. Diese Form impliziert eine gewisse Dringlichkeit und Direktheit der Ansprache, die unmittelbare Hinwendung zum Gegenüber. So kann es die unzweifelhafte Feststellung des Handelns, die dringliche Ansprache oder die unmittelbare Aufforderung zum Handeln bedeuten (Indikativ in der Aussage), die Erfüllung einfordern, mutmaßen bzw. unterstellen (Konjunktiv), oder zur Antwort und Erklärung auffordern (Verb in der Frage).
Heute ist stattdessen das Verb in seiner gebräuchlichen Flexion verbunden mit »du« zu verwenden. Die Direktheit oder eine Aufforderung kann bestenfalls durch eine Sinn tragende Beifügung umschrieben werden abhängig vom Kontext. Sie kann ggf. durch einen Imperativ herausgestellt werden.
Meinſtu das ich Ochſſenfleiſch eſſen wölle / Oder Bockſblut trincken?
(Was denkst Du nur?!) Meinst du etwa, das ich Ochsenfleisch essen wolle oder Bockblut trinken?!
Das thuſtu / vnd ich ſchweige / Da meineſtu / Jch werde ſein gleich wie du /
(Ich weiß,) das tust du! Und ich schweige. Und deswegen meinest du (womöglich), ich bin wie du?!
meineſtu nicht / das ſeine Vorhaut werde fur eine Beſchneitung gerechnet?
meinest du nicht auch, dass seine Vorhaut als Beschnitten gilt?!
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Allmechtige | Allmächtige, der Substantivierung von: allmächtig (Adverb; von/mit umfassender, gewaltiger Macht)
Als Rangbezeichnung und Ehrenbezeichnung besonders für Gott gebraucht.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Son
ſon | Sohn, der männliches Kind männlicher Nachkomme
Zu Luthers Zeit gab es im geschriebenen Wort noch kein »h«, dennoch ist das »o« sicher lang ausgesprochen worden.
Vnd da geſchach eine ſtimme vom Himel / Du biſt mein lieber Son / An dem ich wolgefallen habe.
a) Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. b) Plötzlich war eine Stimme zu hören, die vom Himmel kam: Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
AH mein Auſſerwelter / Ah du ſon meins Leibs / Ah mein gewündſchter Son.
a) O du, mein Auserwählter! O du, Sohn meines Leibes! Oh du, mein gewünschter Sohn!
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
ſündigen
ſundigen | sündigen (Verb) eine religiöse Verfehlung (Sünde) begehen
Zu Luthers Zeiten wurde der Begriff ausschließlich im religiösen und im kirchlichen Kontext verwendet. Durch die Vielzahl religiöser und kirchlicher Vorschriften war der Begriff Sünde inhaltlich eindeutig geprägt. Die Ermahnung, nicht zu sündigen, beeinflusste viele alltägliche Verhaltensweisen.
Zürnet jr / ſo ſündiget nicht / Redet mit ewrem hertzen auff ewrem Lager / vnd harret Luther (zu »sündiget«): Bewegt euch etwas zu vnluſt.
Psalm 4,5 bezieht sich auf die Geschichte von Kain und Abel (1Mos 4,7), in der sich der erzürnte Kain von der Sünde überwältigen lässt, anstatt abzuwarten, um sie in Ruhe zu beherrschen.
welche die Leute ſundigen machen durchs predigen /
... welche die Leute durch das Predigen verführen zu sündigen.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
from
frum | fromm (Adjektiv) a) brav, tüchtig, tapfer b) nützlich, gut c) ordentlich, ehrlich d) unschuldig, unsträflich e) gewissenhaft, liebevoll, pflichtgetreu (gegenüber Gott) f) fromm, verehrend
Eine anhaltende (tüchtige), die Göttlichkeit pflichtgetreu verehrende Eigenschaft, die von Tapferkeit gegen alle Anfechtungen getragen wird.
from: Psalm 94,15
DEnn Recht mus doch recht bleiben / Vnd dem werden alle frome Hertzen zufallen.
Denn Recht muss doch Recht bleiben. Und dem werden alle frommen Herzen zufallen.
frum: Lk 18,9
ER ſaget aber zu etlichen / die ſich ſelbs vermaſſen / das ſie frum weren /
Er sagte zu etlichen, die von sich selbst überzeugt waren, dass sie fromm wären ...
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
faſt | fast (Adjektiv) Bedeutung 1:
im alt- und mittelhochdeutschen meint faſt soviel wie
a) fest, dauerhaft b) sehr
jeweils als Verstärkung des zugehörigen Verbs
lateinisch: valde, firmiter, stabiliter (faſt gleuben: firmiter credere, fest glauben)
In der Luther-1545 hast faſt stets diese erste Bedeutung. Bedeutung 2:
beinahe
lateinisch: ferme, fere (fast glauben: fere credere, beinahe glauben)
Vnd wil dich faſt ſeer fruchtbar machen
Und will dich sehr, sehr fruchtbar machen
Meine Seele helt deine Zeugnis / Vnd liebet ſie faſt.
Meine Seele hält deine Zeugnisse und liebt sie sehr!
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
fur | a) vor (Präposition)
b) für (Präposition)
c) fuhr (Verb)
Die Präpositionen vor und für
Die beiden heutigen Wörter vor und für gehen sprachlich auf das selbe Wort zurück, was in der Lutherbibel noch gut verfolgt werden kann.
Überwiegend tritt fur in der Bedeutung vor auf und ist gleichbedeutend mit Luthers Schreibweise vor.
Die konkrete Bedeutung erschließt sich aus dem Textzusammenhang.
Das Verb fuhr
Das Wort fur kann auch das Verb fahren (Luther-Deutsch: faren) in der 3. Person Singular Präteritum meinen.
fur in der Bedeutung »vor«: Psalm 3,1
Ein Pſalm Dauids / Da er floh fur ſeinem ſon Abſalom.
Ein Psalm Davids, [gesungen,] als er vor seinem Sohn Aschalom floh.
fur in der Bedeutung »für«: Psalm 40,18
Denn ich bin Arm vnd Elend / Der HERR aber ſorget fur mich
Denn ich bin arm und elend. Der HERR sorgt aber für mich.
fur in der Bedeutung »fuhr«: Psalm 18,10
Er neigete den Himel vnd fur herab
Er neigte den Himmel und fuhr herab.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
erfur | hervor (Adverb) | ||||||||
Pintzen | Binsen, die eine zu den Süßgrasartigen der Gattung Binsengewächse zählende Pflanze. Wissenschaftlicher Name: Juncus.
Binsen benötigen feuchte Standorte und wachsen an Gewässern, in Mooren, Feuchtwiesen und in Sümpfen. Sie waren in ganz Deutschland weit verbreitet.
Halme und Blütenstände wurden für unterschiedliche Zwecke in Haushalt und Handwerk genutzt, beispielsweise für Isolierarbeiten und Kissenfüllungen.
Der Begriff Pintzen kommt in der Lutherbibel von 1545 nur einmal vor. Luther benutzt ihn in seiner Anmerkung zu Hiob 8,11.
KAn auch die Schilff auffwachſen / wo ſie nicht feucht ſtehet?
Dazu findet sich in der Marginalspalte:
Jd eſt / Pintzen.
Luther erklärt seinen Lesern den Bergriff Schilf: Das seien Binsen. Daraus lässt sich ableiten, dass Binsen bei den deutschen Lesern weit aus bekannter waren als Schilf.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
on | ohne (Präposition) Wegfall einer Sache oder eines Grundes
Psalm 18,32 on der HERR: ohne dem HERRN
Psalm 27,12 on ſchew: ohne Scheu
Psalm 35,15 on meine ſchuld: ohne meine Schuld
Psalm 18,32 on vnſer Gott: ohne unserem Gott
Röm 1,9 on vnterlas: ohne Unterlass
Psalm 7,5 on vrſach: ohne Ursache, ohne Grund, grundlos
Psalm 15,2 on wandel: ohne Makel, makellos, unverändert
Psalm 105,34 on zahl: ohne Zahl, zahllos, unzählig
Röm 4,6 on zuthun: ohne Zutun
Röm 4,9 on zweiuel: ohne Zweifel, zweifelsohne, zweifellos
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Hew | Heu, das abgemähter, geernteter und zum Trocknen gelagerter Wiesenbewuchs aus Gras, Kräutern und weiteren Weidepflanzen
Sonſt wens noch in der blüt iſt / ehe es abgehawen wird verdorret es / ehe man denn hew macht.
Sonst, wenn es noch in der Blüte ist, bevor es gemäht wird und bevor man es zu Heu machen kann, verdorrt es.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Zuuerſicht
zuuerſicht | Zuversicht, die ursprünglich: das Voraussehen auf etwas oder eine Person
1) die Erwartung des Künftigen 2) die Erwartung dessen, was man wünscht, die Hoffnung 3) das Vertrauen auf Gott und das, was er gewährleistet 4) die feste, untrügliche Annahme der Erwartung 5) das Vertrauen, das man auf sich und seine Fähigkeiten hat
Zuuerſicht
Das Wort zuuersicht kommt besonders oft im Psalter vor (sechszehn Fundstellen).
Mein Gott iſt der Hort meiner zuuerſicht.
HERR / zu dir ſchrey ich / vnd ſage / Du biſt meine Zuuerſicht /
Herr, zu dir schreie ich und sage: Du bist meine Zuversicht!
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Gottloſe
Gotloſe | Gottlose, der Substantivierung von: gottlos (Adjektiv)
Religiöser Begriff, der die Existenz Gottes voraussetzt:
1) Zustand: los von Gott; von Gott los [sein]; von Gott verlassen; ohne Gott. 2) religiöse Grundhaltung: Gott nicht dienend; die Ehre, den Willen, die Gebote Gottes missachtend
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Erläuterungen siehe Das große Stilkunst.de–Wörterbuch zur Lutherbibel von 1545 | |||||||||
Der Text aus der Lutherbibel ist auf unseren Seiten in Anlehnung an das Druckbild des Originals von 1545 wiedergegeben.
Den Seitenaufbau, die verwendeten Schriften, die Schreibregeln der Frakturschrift und Luthers Intentionen, mit der Typografie Lesehilfen bereitzustellen, erläutert dem interessierten Leser unser Artikel »Satz und Typografie der Lutherbibel von 1545«.
Luthers sieht als Thema des Buches Hiob das Gottesbild unter dem Eindruck von Leid, Schmerz und Trauer. Sind Zweifel an Gott, sind Unmut und Zorn gerechtfertigt?
Luther erklärt die Bedeutung des Alten Testaments und der Gesetze Mose. Diese Schriften seien für Christen sehr nützlich zu lesen, nicht zuletzt deshalb, weil Jesus, Petrus und Paulus mehrfach daraus zitieren.