Notker I. Balbulus
(† 6. April 912 in der Fürstabtei St. Gallen)
Gründonnerstag
Der Gründonnerstag in den Jahren 2023 bis 2030
Verweise führen zu den Kalenderblättern des jeweiligen Datums:
Der Gründonnerstag ist kein allgemein gesetzlicher Feiertag. In Baden-Württemberg (BW) haben Schüler per Feiertagsgesetz an diesem Tag schulfrei. Allerdings fällt der Tag regelmäßig in die Osterferien.
Die Feiertagsgesetze der Länder erklären den Gründonnerstag zu einem stillen Tag, an dem besondere Beschränkungen gelten. Die Beschränkungen können in den einzelnen Ländern unterschiedlich festgelegt sein.
So sind am Gründonnerstag in Hessen von 04:00 Uhr (morgens) an für den Rest des Tages öffentliche Tanzveranstaltungen verboten. (Hessisches Feiertagsgesetz, §10).
In unserem Kalender zum evangelischen Kirchenjahr finden Sie einen weiteren Artikel zum Gründonnerstag:
Der Artikel zeigt Spruch, Psalm und Liedauswahl für den Tag sowie die Bibeltexte für Lesungen und Predigten nach der Kirchenordnung.
Seit dem 12. Jahrhundert ist die Bezeichnung »Gründonnerstag« für den Gedenktag der Einsetzung des Abendmahls (de coena domini) bekannt. Woher der Name stammt und welche Bedeutung er besaß, ist bis heute ungeklärt. Alle Versuche, den deutschen Namen zu enträtseln, stützen sich auf vage, unbelegte Ableitungen und befriedigen nicht.
Fest steht aber, dass bereits in der alten Kirche der Donnerstag der Karwoche als Gedenktag der Einsetzung des Abendmahls und als Gedenktag an die Vorgänge des Tages vor der Kreuzigung Jesu gefeiert wurde.
Für den Gründonnerstag gab es zahlreiche Bezeichnungen. Die lateinisch-kirchliche Bezeichnung Feria Quinta in Coena Domini bedeutet »Fünfter Tag, im Gedenken an das Abendmahl des Herrn«.
Feria quinta ist die mittelalterliche Bezeichnung für Donnerstag, den fünften Tag der Woche, wobei der Sonntag (dies dominica) der erste Tag (feria prima) ist.
Der Name lässt sich somit auch lesen als: Fünfter Tag [der Passionswoche], Gedenktag an das Abendmahl des Herrn.
Die lateinische Bezeichnung Dies Coenae Domincae bedeutet »Tag des Abendmahls des Herrn« und meinte »den nächsten donnerstag fur Ostern«, Gründonnerstag. (Sehling, EVKO-08/1, S.308 Sp.2.)
Die lateinische Bezeichnung Coena Domini bedeutet »(Nacht-)Mahl des Herrn«. Sie entspricht unserer Kurzbezeichnung »Abendmahl« – und bedeutet als Kalenderdatum den Tag des Abendmahls, Gründonnerstag.
Der Abend des Gründonnerstags mit der Abendmahlsfeier und als Vorabend des Karfreitags war lange Zeit und ist wieder Teil des Triduum Sacrum. Informationen und Erläuterungen dazu finden sich in diesem Artikel:
Die Begriffe »Triduum Sacrum« und »Triduum Paschale« sind auch in der evangelischen Kirche bekannt. Doch was bedeuten sie? Der Artikel gibt Antworten.
Die alten Namen und Bezeichnungen der Sonntage, Festtage und Feiertage entstammen alten Kirchenordnungen, Perikopenordnungen, Gesangbüchern und insbesondere H.Grotefend, Zeitrechnung.
Am Donnerstag der Karwoche gedenkt die Kirche der Einsetzung des Abendmahls, der Eucharistie. Mit dem letzten Abendmahl endet Christi Wirken auf der Erde. Kurz danach folgen Gefangennahme, Folter und Kreuzigung Jesu. Die eigentliche Passion, das Leiden Christi, beginnt.
Gründonnerstag und Karfreitag sind Höhepunkte der Passionszeit, die sechs Wochen zuvor, am Aschermittwoch, begann.
Seinen Platz im bürgerlichen Kalender findet der Gründonnerstag wegen der Feiertagsgesetze der Länder, in denen der Gründonnerstag als »stiller Tag« ausgewiesen ist. In der bürgerlichen Tradition sind kaum besonderes Brauchtum oder spezielle Feierlichkeiten für den Abend des Gründonnerstags verankert, wohl aber in der christlich-kirchlichen Tradition.
Abbildung: Getsemani
»Lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Doch nicht mein, sondern Dein Wille geschehe.«
Linolschnitt, 11 cm x 22,5 cm, Ausschnitt
Frei nach einem Motiv des Altarbildes der Evangelischen Versöhnungskirche, Rüsselsheim, Deutschland.
Foto: © Sabrina | Reiner | www.stilkunst.de | Geschütztes Bildmaterial
Am Donnerstag vor seiner Kreuzigung
bereitet Jesus das Pascha-Mahl *1) vor:
Es kam der Tag der Ungesäuerten Brote, an dem man das Osterlamm schlachten musste. Da schickte Jesus Petrus und Johannes fort mit dem Auftrag: »Geht los und bereitet für uns das Ostermahl vor, damit wir es essen können.«
Lukas Evangelium 22, 7f.
Am Abend kam Jesus mit den übrigen Aposteln. Jesus sagte zu ihnen:
»Sehnlich hat es mich verlangt, dieses Pascha-Mahl mit euch zu essen, bevor ich leide. Denn ich sage euch, von nun an werde ich es nicht mehr essen, bis es seine Vollendung finden wird im Reiche Gottes .« Und er nahm einen Kelch, sagte Dank und sprach: »Nehmt ihn und teilt ihn unter euch. Denn ich sage euch: Von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt.«
Lukas Evangelium 22,15-18
1 Der Begriff Pascha ist die kirchliche Schreibweise, entstanden aus der frühkirchlichen, latinisierten Transkription für das hebräische Wort Pessach (פֶּסַח). So findet es sich in der Lutherbibel. Doch allgemein wird heutzutage zumeist die Begriffe Pessach oder Pesach verwendet.
Obwohl wir von den Evangelisten fast nichts darüber erfahren, haben Jesus und die Jünger das Pascha-Mahl sicher nach jüdischer Tradition abgehalten. Das Pascha-Mahl gliedert sich nach den vier vorgeschriebenen Weinbechern.
Zu Beginn wurde der Erste Becher mit Wein und Wasser gefüllt. Der Hausvater sprach darüber die zwei vorgeschriebenen Segensformeln: »Gelobt seist du, Jahwe, unser Gott, König der Welt, der du die Frucht der Rebe schaffst.« und »Gelobt seist du, Jahwe, unser Gott, König der Welt, der du deinem Volk Israel Festtage zur Freude und zum Gedächtnis gegeben hast. Gelobt seist du, Jahwe, der du Israel und die Zeichen heiligst.«
Darauf wurden ungesäuerte Brote und grüne Kräuter aufgetragen, die der Hausvater verteilte, nachdem er seine Hände gewaschen, ein Dankgebet gesprochen und gekostet hatte.
Jetzt brachte man das gebratene Osterlamm.
Der Zweite Becher wurde gemischt, und der Hausvater gab eine kurze Erklärung über den Sinn des Festes, die Wohltaten Jahwes an seinem Volke und dessen Befreiung aus Ägypten. Alle Teilnehmer sangen den ersten Teil des Hallel, das aus den Psalmen 113 bis 118 bestand. Nach erneuter Händewaschung und nach dem Lobgebet wurde das Osterlamm gegessen, dazu bittere Kräuter und ungesäuertes Brot.
Der Dritte Becher wurde gemischt, der Segensbecher genannt wurde, weil dabei die Danksagung über das Mahl gebetet wurde.
Schließlich fand das Mahl mit dem Vierten Becher, bei dem der zweite Teil des Hallel gesungen wurde, seinen Abschluss.
In diesem Ritus vollzog sich diesmal aber etwas Besonderes, Neues: Jesus gab zum Gedächtnis seines Todes den Jüngern während des Mahles Brot und Wein als sein Fleisch und Blut.
Zu Beginn und am Ende des Mahls benutzte Jesus zwei Mahlsitten: das Brotbrechen und den Dritten Becher, um daran sein letztes testamentarisches Vermächtnis zu knüpfen.
Mehr noch: Jesus gab diesen jüdischen Mahlbräuchen einen neuen Inhalt. Beim jüdischen Mahl blieben Brot und Wein das, was sie waren: natürliche Genussmittel für das Mahl. Unter den Händen Jesu wurden Brot und Wein zu Trägern eines andersartigen Inhalts:
Und er nahm Brot, sagte Dank, brach es und gab es ihnen mit den Worten: »Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird; tut dies zu meinem Gedächtnis.« Und ebenso nahm er nach dem Mahle auch den Kelch mit den Worten: »Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blute, das für euch vergossen wird.«
Lukas 22,19-20
Beim Pascha-Mahl fand das Brotbrechen nicht zu Beginn des gesamten Mahlvorganges, sondern erst zu Beginn des eigentlichen Hauptmahles statt:
Der Hausvater nahm einen meist tellerförmigen Brotfladen in die Hände. Nachdem er sich auf seinem Liegepolster aufgerichtet hatte, sprach er darüber im Namen aller einen Lobpreis: »Gepriesen seist du, Jahwe, unser Gott, König der Welt, der Brot aus der Erde hervorgehen lässt. Gepriesen seist du, Jahwe, unser Gott, König der Welt, der uns durch seine Gebote geheiligt und ungesäuertes Brot zu essen geboten hat.« Alle antworteten: »Amen.« Danach brach er für jeden Mahlteilnehmer ein Stück Brot ab und teilte aus.
An diesen jüdischen Tischbrauch knüpfte Jesus an: Und er nahm Brot, sagte Dank, brach es und gab es ihnen. Es war nicht Brauch, die Austeilung mit deutenden Begleitworten zu versehen. Jesus aber sprach: »Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.« Diese Handlung wird den Jüngern noch zur Wiederholung anbefohlen: »Tut dies zu meinem Gedächtnis.«
Nach dem Essen des Osterlammes wurde der Dritte Becher getrunken. Der Hausvater nahm den ihm kredenzten Weinbecher sitzend in die Rechte, hielt ihn eine Hand breit über den Tisch und sprach darüber für alle das vorgeschriebene Dankgebet: »Der Barmherzige (Gott), er würdige uns der Tage des Messias und des Lebens der zukünftigen Welt, er stifte Frieden über uns und über ganz Israel. So sprecht: Amen!« Nach der üblichen Sitte trank der Hausvater aus seinem Becher, was für die anderen Tischgenossen das Zeichen war, aus ihrem eigenen Becher zu trinken.
Entgegen dieser Sitte hat nun Jesus beim letzten Abendmahl womöglich seinen Becher allen Tischgenossen dargereicht: »Trinket alle daraus.« (Matthäus 26,27). Der Text lässt vermuten, dass mit der Aufforderung nur der eine Becher gemeint war, den Jesus selbst in den Händen hielt. Jedoch – und das ist mit Blick auf den geübten Pascha-Ritus naheliegender! – kann auch allgemein der Dritte Becher des Rituals gemeint sein, was jeden Becher der anwesenden Mahlteilnehmer einschließt. Denn diese Aufforderung gab es auch im Pascha-Ritual, wenn auch nicht ausgesprochen, sondern angeleitet durch das Trinken des Hausvaters.
Zusätzlich zur gewöhnlichen Sitte sprach Jesus dann noch die Worte: »Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blute, das für euch vergossen wird.«
Verschiedene Interpretationen der Abendmahlszene haben in der Kirchengeschichte zu unterschiedlichen Abläufen in der Feier des kirchlichen Abendmahls geführt. Zusätzlich rankten sich um den »Heiligen Gral«, den Abendmahlsbecher Jesu, Legenden und viele Geschichten.
Die Selbsthingabe, an der Jesus seine Jünger teilnehmen lässt, erhält noch eine beispielhafte Verdeutlichung im Johannes-Evangelium:
Da Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen, und er die Seinen in der Welt liebte, so liebte er sie bis zum Ende. Während des Males [...] steht Jesus [...] vom Mahle auf, legt die Oberkleider ab, nimmt ein Tuch aus Leinen und bindet es sich um. Hierauf gießt er Wasser in das Waschbecken und beginnt, den Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem linnenen Tuch, das er sich umgebunden hatte, abzutrocknen. [...]
Johannes 13,1-20
Nach der Fußwaschung nahm Jesus seinen Platz am Tisch wieder ein. Der Erste Becher wurde getrunken und die Grünkräuter aufgetragen, die in die gemeinsame Schüssel eingetaucht wurden.
Nicht nur die Einsetzung der Eucharistie, sondern auch die Entlarvung des Verräters und die damit verbundenen Tischgespräche prägten das letzte Pascha-Mahl Jesu.
Die geheimnisvolle Andeutung während der Fußwaschung: »Ihr seid rein, aber nicht alle« (Johannes 13,10) lag wie ein Alpdruck auf der Tischgemeinschaft. Doch Jesus kannte keinen Kompromiss: Er war entschlossen, die Entscheidung herbeizuführen.
Nach dem ersten Bissen sprach Jesus: »Einer von euch wird mich verraten.« Dieser Vorwurf traf jeden, und ein unruhiges Fragen begann: »Einer nach dem anderen sagte zu Jesus: Ich bin es doch nicht? - Und ein anderer: Ich doch auch nicht? Jesus antwortete: Der mit mir die Hand in die Schüssel taucht, der wird mich verraten. Da antwortete ihm sein Verräter Judas: Ich bin's doch nicht, Meister?« (Matthäus 26,21-25)
Schon diese Frage lässt die Abgründigkeit des Verrates ahnen. Jesus antwortete: »Du hast es gesagt!« Judas, der inzwischen Gewissheit darüber gewonnen hatte, wo Jesus die Nacht verbringen würde, verließ darauf die Tischgemeinschaft.
Die Evangelisten lassen kaum einen Zweifel offen, dass der Verrat des Judas darin bestand, der jüdischen Behörde den Ort bekanntzugeben, wo Jesus am ehesten ohne Aufsehen und Tumult verhaftet werden konnte.
Dennoch bleibt der Verrat des Apostels voller Rätsel. Es fehlt das entscheidende Motiv. Geldgier allein kann es nicht gewesen sein. War er enttäuscht? Hatte er sich den Messias Israels anders vorgestellt? Wollte er den Konflikt provozieren in der Gewissheit, dass Jesus jede Auseinandersetzung mit den Priestern und Behörden für sich entscheiden würde und dann endlich klar würde, wie diese Bewegung um Jesus herum in die Geschichte des geknechteten Landes eingreifen wird? An dieser Stelle finden sich in der neueren Forschung viele Thesen.
Das Abendmahl nahm seinen Fortgang. Am Ende des Pascha-Mahles war es Sitte, noch einige Zeit bei ernstem Gespräch beisammen zubleiben. Diese Gespräche schildert der Evangelist Lukas (22,24-38) und besonders ausführlich Johannes mit ganzen Abschiedsreden und Predigten, die die messianische Bedeutung Jesu zum Inhalt haben, den Missionsauftrag der Jünger beschreiben, den nahen Tod Jesu und die baldige Wiederkehr nach dem Tod ankündigen, und im hohepriesterlichen Gebet Jesu münden ( Johannes 13,33 - 17,26).
Und nach dem Lobgesang gingen sie hinaus zum Ölberg [...] Und sie kamen zu einem Gehöft namens Getsemani, und er sprach zu seinen Jüngern: »Setzt euch hier nieder, während ich bete.«
Markus 14,26-32
Mit Gründonnerstag verbunden ist auch der Name Getsemani. Das Gehöft oder der Garten, in dem Jesus das geradezu dramatische Gebet sprach, das all seine Todesangst, seinen Zweifel und schließlich sein uneingeschränktes Vertrauen in die richtige Handlungsweise Gottes zum Ausdruck bringt. Getsemani, das ist der Garten, in dem sein Leiden, die Passion, mit der Verhaftung durch die Tempelwache der Priesterschaft seinen Anfang nahm.
Dann ging er ein wenig weiter, warf sich auf sein Angesicht und betete.
Matthäus 26,39
Dann ging er ein wenig weiter, warf sich auf die Erde nieder und betete.
Markus 14,35
Und er trennte sich von ihnen etwa einen Steinwurf weit, kniete nieder und betete.
Lukas 22,41
Eine grandiose und perfekt umgesetzte Interpretation des Gebets Jesu in Getsemani ist Tim Rice (Text) und Andrew Lloyd Webber (Musik) in ihrem Musical Jesus Christ Superstar mit dem Stück Gethsemane gelungen.
Das DVD-Cover zeigt die Version der Produktion mit Glenn Carter, Jerome Pradon, Renee Castle und Rik Mayall in den Hauptrollen. (©Universal Pictures Programming)
Judas wusste, wo Jesus diese Nacht verbringen würde und er kannte diesen Ort genau. Er führte die schwerbewaffnete Tempelwache nach Getsemani. Hier kam alles anders, als die Priester erwartet hatten: Die Verhaftung verlief von einem kleinen Zwischenfall abgesehen ohne Aufsehen.
Judas identifizierte Jesus mit einem Kuss, die Wache umringte ihn und Jesus ließ sich fesseln. Nur Simon Petrus, so berichtet Johannes, zog sein Schwert und hieb einem Wachmann das rechte Ohr ab. Doch Jesus verhinderte umgehend weitere Eskalationen, in dem er Petrus beschwichtigte: »Stecke das Schwert in die Scheide, soll ich den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, nicht trinken?« ( Johannes 18,11).
Jesus versteht seine Verhaftung als Antwort auf sein Gebet und sieht in den nun folgenden Ereignissen den Willen Gottes , dem er sich zu beugen hat. Nur so sind seine beinahe verteidigungslose Zurückhaltung und sein häufiges Schweigen in den folgenden Verhören zu erklären.
Die Ereignisse des Gründonnerstag enden in der Nacht mit dem Verhören bei Hannas und der Verurteilung durch den Hohen Rat.
Jesus wird von Getsemani aus zurück in Stadt in das Haus von Hannas gebracht.
Hannas war der Schwiegervater des amtierenden Hohepriesters Kajafas. Dieses Vorverhör hatte daher weniger rechtlichen, als vielmehr einen familiären, privaten und politischen Charakter: Kajafas wusste, welchen Ehrenrespekt er dem Oberhaupt der hohepriesterlichen Familie zu erweisen hatte.
Die Forschung geht heute sogar davon aus, dass Hannas Einfluss auf die Entscheidungen Kajafas und der Priester sehr groß war und er als der eigentliche Gegenspieler Jesu im Hintergrund agierte. Seine Ziele galten gerade unter dem Eindruck der römischen Besatzung der politischen Festigung der jüdischen Priesterklasse im Ansehen des Volkes und er konnte keinerlei Unterwanderungen der religiösen Vorschriften, des Brauchtums und des Respekts gegenüber der Priesterschaft dulden. Dem stand Jesus mit seinen beinahe aufklärerischen Auslegungen der Schriften und mit seinem bisher unausgesprochenen, aber zelebrierten Messiasanspruch entgegen.
Während des Verhörs kam es zu einer kurzen, aber harten Auseinandersetzung, in der sich Jesus mehrfach auf sein Wirken und Reden in aller Öffentlichkeit und auf die Zeugen berief, die ihn erlebt haben. Hannas konnte in diesem Verhör keine Beweise anführen, aber er unterstrich öffentlich die besondere Bedeutung der Anklage durch Misshandlungen. Ein Paragraph der jüdischen Prozessordnung lautet: Gegen einen Verführer und Pseudopropheten entfallen die sonst geltenden humanen Bestimmungen.
Damit war allen Anwesenden das Urteil angekündigt, das längst in geheimen Sitzungen der Priester vorweggenommen war. Nun galt es nur noch, eine unanfechtbare, rechtskräftige Verurteilung zu erzielen und die Todesstrafe auf politisch korrekten Grundlagen zu erwirken.
Nach diesem kurzen Verhör, das nur der Demonstration des unbedingten Willens zur Verurteilung diente, wurde Jesus gefesselt zu Kajafas gebracht.
Trotz der späten Nachtstunde hatten sich die Mitglieder des Hohen Rates bei Kajafas eingefunden, denn nach den Bestimmungen der Mischna konnte ein falscher Prophet nur durch das Große Synedrium verurteilt werden. Vor diesem höchsten Gerichtshof begann nun der eigentliche religionsgesetzliche Prozess.
Nach den Angaben des Josephus bestand der Hohe Rat der Juden aus drei Personengruppen: den Hohepriestern, den Ältesten und den Schriftgelehrten. Es sind genau die drei, die uns der Evangelist Markus aufzählt:
Nun führten Sie Jesus ab zum Hohepriester, bei dem sich alle Hohepriester, die Ältesten und die Schriftgelehrten versammelten.
Markus 14,53
Das Hohe Kollegium zählte 71 Personen, und auffälligerweise fand die Sitzung nicht im offiziellen Amtsgebäude auf dem Tempelberg statt, sondern im Privathaus des Kajafas.
Kajafas war der amtierende Hohepriester und zugleich der Gerichtspräsident. Er hieß Josef und trug den Beinamen Kajafas (was in etwa mit »Seher« oder »Inquisitor« zu übersetzen wäre). Er begann seine Karriere mit der Einheirat in die Hohepriesterdynastie der Hannas. Im Jahre 18 n. Chr. wurde er von den Römern als Hohepriester eingesetzt und hatte es fertiggebracht, insgesamt 19 Jahre an der Macht zu bleiben, eine Rekordzeit, die in diesem Jahrhundert kein anderer Hohepriester auch nur annähernd erreichte.
Kajafas wusste um die Gunst, die ihm die römischen Besatzer zuteilwerden ließen, und er wusste, dass er klug und diplomatisch agieren musste, um dieser Gunst gerecht zu werden: Er lebte und agierte von Roms Gnaden, und Rom - das war in Jerusalem Pontius Pilatus.
Das ganze Synedrium suchte Zeugnis gegen Jesus, um ihn zu töten.
Markus 14,55
So begann man die Beweisaufnahme mit der Zeugenvernehmung. Das Ergebnis war jedoch nicht nur mager, es war geradezu unbrauchbar. Nicht eine Zeugenaussage stimmte mit der anderen überein. Nach der jüdischen Prozessordnung gehörte zu einem rechtskräftigen Zeugnis die Aussage von zwei Zeugen. Markus berichtet weiter:
Zwar legten viele falsches Zeugnis wider ihn ab, aber ihre Aussagen stimmten nicht überein. Da traten einige auf und legten dieses falsche Zeugnis gegen ihn ab: »Wir haben ihn sagen hören: Ich werde diesen Tempel niederreißen, der mit Händen errichtet ist, und in drei Tagen einen anderen aufbauen, der nicht mit Händen gemacht ist.« Aber auch dabei stimmte ihr Zeugnis nicht überein.
Markus 14,56-59
Der Prozess hatte einen toten Punkt erreicht. Wieder stand der Prophet aus Nazareth unangreifbar da. Nun übernahm Kajafas persönlich die Vernehmung.
Markus schildert uns diese Szene in dramatischer Kürze: Der Angeklagte stand, der Hohepriester saß auf seinem erhöhten Platz. Plötzlich erhob sich Kajafas, und wie auf ein Kommando standen auch die übrigen Ratsherren auf. So verlangte es das Zeremoniell. Ein Paragraph der Prozessordnung gegen einen Pseudopropheten erlaubte es dem Untersuchungsrichter, den Angeklagten einzuschüchtern. So näherte sich Kajafas dem Angeklagten, trat ganz dicht an ihn heran, und brüllte plötzlich den Gefesselten an:
»Antwortest du nichts? Was sagen diese gegen dich aus?«
Markus 14,60
Jesus aber ließ sich nicht einschüchtern. Er wusste ebenso gut wie Kajafas, dass die Zeugenaussagen wertlos waren.
Er schwieg und antwortete nichts.
Markus 14,61
So stieß auch der raffiniert berechnete Angriff des Untersuchungsrichters im Schweigen Jesu ins Leere. Der Prozess blieb festgefahren.
Der Hohepriester sah sich gezwungen, um jeden Preis eine Entscheidung herbeizuführen. Er stellte seine letzte Frage:
»Bist Du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?«
Markus 14,61
Es muss Totenstille geherrscht haben nach dieser provokanten Frage des Hohepriesters. Die zu erwartenden Antworten würden entweder einer Selbstanklage oder einer Selbstaufgabe gleichkommen. Alle hörten dann die Stimme Jesu:
»Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn sehen, sitzend zur Rechten der Kraft und kommend mit den Wolken des Himmels.«
Markus 14,62
Jesus begnügte sich nicht mit der bloßen Feststellung »Ich bin es«. Er wollte den Hohepriester in keiner Weise darüber im unklaren lassen, dass er der wahre Messias sei. So ergänzte er seine Aussage durch die Prophezeiung, dass seine Ankläger ihn dereinst als verherrlichten Menschensohn in himmlischer Majestät zur Rechten Gottes sitzen und als Richter auf den Wolken des Himmels würden kommen sehen. Das heißt: Seine Wiederkunft wird die Offenbarung seiner Messiaswürde sein, die jeden Widerspruch, auch den des Kajafas, ausschließen wird.
Für den Hohepriester hatte Jesus mit diesem Bekenntnis eine Gotteslästerung ausgesprochen. Nach der jüdischen Überlieferung war jeder Jude beim Hören des Gottesnamens verpflichtet, seine Kleider zu zerreißen. So zerriss Kajafas sein Obergewand, und alle Ratsherren folgten dem Beispiel ihres Gerichtspräsidenten.
Kajafas hatte sein Ziel erreicht. Lakonisch bemerkte er:
»Was brauchen wir noch Zeugen? Ihr habt die Lästerung gehört!«
Er forderte er die Ratsherren zur Urteilsabgabe auf:
»Was ist eure Meinung?«
Markus 14,63f.
Der Paragraph der jüdischen Strafgesetze lautete: »Wer sich göttliche Ehren anmaßt, ist ein Gotteslästerer. Er muss mit dem Tode bestraft werden.«
Markus schließt den Bericht über die Gerichtsverhandlung mit den Worten:
Sie aber alle sprachen ihn des Todes schuldig.
Markus 14,64
Nach jüdischem Recht hätte die Todesstrafe an Jesus umgehend durch die Steinigung mit nachfolgendem Aufhängen am Holz vollzogen werden müssen. Dass dies nicht geschah, lag an den politischen Verhältnissen: Ein Todesurteil konnten nur die römischen Statthalter aussprechen und vollziehen lassen.
Und sogleich am frühen Morgen fassten die Hohepriester mit den Ältesten und Schriftgelehrten und dem ganzen Hohen Rat einen Beschluss, ließen Jesus fesseln, abführen und dem Pilatus übergeben.
Markus 15,1
Der Rat beugte sich der römischen Obrigkeit und überstellte Jesus dem Statthalter Roms: Pontius Pilatus. Nun lag Jesu Schicksal in den Händen des Statthalters von Jerusalem. Pilatus hatte seine eigene Meinung über die ideologischen und religiösen Machtkämpfe des Synedriums. Er konnte den Verurteilten rehabilitieren. Dies wussten die Hohepriester und sorgten dafür, dieses Risiko zu minimieren.
Doch damit beginnen die Ereignisse der Passion, derer die christlichen Kirchen am Karfreitag gedenken.
Die beweglichen Feiertage im Jahreslauf hängen ab vom Osterdatum. Der Artikel erläutert, wie sich das Osterdatum berechnet und nennt die aktuellen Daten der Feiertage.
Diese kleine Abhandlung führt zurück in die Zeit Jesu. Sie beleuchtet die historischen Hintergründe unseres Osterfests und unseres christlichen Abendmahls.