»Der Evangelist Johannes«

Das Titelbild zum 1. Brief des Johannes

Symbol Biblia 1545

Die Lutherbibel von 1545

 

Die Bilder der Lutherbibel von 1545

Bildbesprechung

Biblia
 

Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545

Die Briefe der Apostel

 

Holzschnitt, Bild zu: Der 1. Brief des Johannes, Kapitel 1, Der Evangelist Johannes

 

»Der Evangelist Johannes«

Der 1. Brief des Johannes, Titelbild

 

Eine Bildbesprechung

 

Der Evangelist
Johannes

Das Titelbild zu den Briefen des Johannes

→1Joh 1

Eine Betrachtung

 
Info

Das selbe Bild leitet das Evangelium nach Johannes ein.

 

Der Holzschnitt

Dem ersten Brief des Johannes ist im ersten Kapitel ein Bild vorangestellt, das den Evangelisten Johannes zeigen soll. Der Druckstock ist als Holzschnitt erstellt wor­den, der die Maße ca. 15 x 11 cm besitzt.

In der Lutherbibel von 1545 kam der selbe Holzschnitt zum Einsatz, der bereits in früheren Auflagen verwendet wurde, so auch in der ersten Gesamtausgabe von 1534.

Am Brückentor (links im Bild), oberhalb des Durchgangs, hatte der Künstler mit seinen Initialen »MS« den Druckstock signiert. Bis heute ist unklar, wer dieser Künstler war, der mit »MS« signierte, und der maßgeblich an der grafischen Gestaltung der Lutherbibeln beteiligt war.

In der Ausgabe von 1534 wurde der Druck nachträglich von Hand aufwendig koloriert. Dadurch treten die Feinheiten des detailreichen Bildes deutlich hervor. Gleichzeitig vermittelt das kolorierte Bild einen bemerkenswerten Eindruck der Stadtansicht, die dem Künstler als Vorlage für sein Motiv diente. Es ist ein Blick in die Zeit Luthers.

Der selbe Druckstock wurde ein zweites Mal verwendet. Das Bild leitet das Johannesevangelium ein und befindet sich dort am Anfang des ersten Kapitels.

 

Unsere Abbildungen

Wir zeigen hier zum Vergleich beide Bilder aus dem ersten Brief des Johannes, Kapitel 1, den Schwarzdruck aus der Ausgabe von 1545, und den nachträglich kolorierten Druck aus der Ausgabe von 1534.

Klicken Sie auf das jeweilige Bild, um eine vergrößerte Ansicht zu erhalten

 

Der Holzschnitt in der Ausgabe von 1545

Holzschnitt, Bild zu: Der 1. Brief des Johannes, Kapitel 1, Der Evangelist Johannes

Abbildung: »Der Evangelist Johannes«
Titelbild zum Evangelium nach Johannes in der Lutherbibel von 1545.

 

Der Holzschnitt in der Ausgabe von 1534

Kolorierter Holzschnitt aus der Lutherbibel von 1534, Titelbild zum ersten Brief des Johannes

Abbildung: »Der Evangelist Johannes«
Titelbild zum Evangelium nach Johannes in der Lutherbibel von 1534.

Die Bildinhalte

Die Szene: Was das Bild zeigt

Das Bild zeigt eine hügelige, bewaldete Landschaft. Einen großen Raum in der Mitte nimmt eine Stadt ein, deren Gebäude, Brücken und Wehranlagen typisch sind für ein mittelalterliches Stadtbild zur Zeit Luthers. Im Vordergrund, auf einem Hügel oberhalb der Stadt sitzt eine Person, die durch den Nimbus, den Heiligenschein, besonders ausgezeichnet ist. Vor der Person steht am Boden mit ausgebreiteten Schwingen ein großer Vogel, dessen Krallen und Schnabel ihn als Raubvogel ausmachen. Auch über dem Vogel schwebt ein Nimbus. Am Himmel haben sich die Wolken aufgetan. Eine Person mit Umhang und merkwürdig fleckigem Oberkörper befindet sich mitten in einem großen Strahlenkreis, einem übergroßen Nimbus.

Die Person: Der Evangelist Johannes

Zu sehen ist der Evangelist Johannes, sitzend in lauschender Pose über einem Buch, an dem er gerade schreibt, und das offensichtlich auf besondere Weise von Jesus Christus handelt. Es scheint, als würden dem Schreiber die Geschichten, die er zu schreiben hat, diktiert, oder als würde er sich an einem bestimmten Christusbild orientieren, um seine Erzählungen zu gestalten.

Das Evangelistensymbol: Der Adler

Im Vordergrund links ist das Evangelistensymbol des Johannes gezeigt: Der Adler. Mit weit gespreizten Schwingen steht er am Abhang, mit einer Gebärde, die erkennen lässt, dass er gerade ruft. Sein Schrei hallt über das Land. Er verkündet, was er sieht: die Person in den Wolken, umgeben von hellem Licht.

Zur Zeit Luthers wusste jeder religiös gebildete Betrachter, warum sich hier so nah bei einem Menschen ein Adler befindet. Um jedes Missverständnis auszuschließen, ließ der Künstler auch über dem Adler einen Nimbus leuchten, der jedoch im Schwarzdruck der Lutherbibel von 1545 nur schwerlich auszumachen ist. Hier zeigt sich einmal mehr der Vorteil der kolorierten Drucke. Doch damit ist die Verbindung zur Person eindeutig hergestellt: Es ist der Evangelist Johannes!

Exkurs: Die Evangelistensymbole

 

Der Adler ist bereits seit dem 2. Jahrhundert ein Symbol für das Johannesevangelium bzw. für Johannes selbst.

Irenäus von Lyon (ca. 135 bis 200 n. Chr.) ordnete erstmals die vier Symbole, die in →Offb 4,7 und →Hes 1,10 genannt wer­den (Mensch, Löwe, Stier, Adler), den vier Evangelien zu. Im 4. Jahrhundert war es schließlich Hieronymus, der die Symbole der Evangelisten so bestimmte, wie wir sie auch in den Bildern der Lutherbibeln wiederfinden.

Der Künstler stützt sich bei der Symbolik in seiner Bildkomposition auf Hieronymus und eine lange Kirchentradition, die zu Luthers Zeit noch im Allgemeinwissen verankert war.

Diese Symbolik war bereits lange vor Luther gebräuchlich und wurde von seinen Lesern entweder auf Anhieb verstanden oder auf diese Weise, durch die bildliche Darstellung, in den Gemeinden, Haus­halten und Schulen neu gelehrt und erlernt.

Die nebenstehende Abbildung zeigt die vier Evangelistensymbole vereint in einem Bild.

Christus und die Evangelisten Creative Commons Attribution-ShareAlike

Abbildung: Die Evangelistensymbole auf einem Bild, das in einem Evangeliar aus der Zeit um 1000 enthalten ist.
.
Das handgemalte Bild zeigt Jesus Christus, umringt von den vier Evangelisten, die durch ihre Symbole vertreten wer­den: Mensch, Löwe, Stier, Adler. Die Figuren sind geflügelte Wesen. Sie tragen den Nimbus und hal­ten das jeweilige Evangelium als Buch.

Hier sind zusätzlich vier Propheten zugeordnet: Daniel (oben links), Hesekiel (oben rechts), Jesaja (unten links) und Jeremia (unten rechts).

Credits:
Foto: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart.
Lizenz: CC BY-SA
Quelle des Fotos: →Werk in der Digitalen Bibliothek
Adaptiert für Stilkunst.de

Der Nimbus

Der Nimbus, der »Heiligenschein«, ist seit der Antike ein Symbol in der Kunst und seit der frühen Ikonographie auch in christlich motivierten Abbildungen zu finden. Als Ring oder Strahlenkranz umgibt er den Kopf einer Person oder schwebt in geringem Abstand da­r­ü­ber.

Der Nimbus ist in der christlichen Religion den Abbildungen von Jesus Christus, von Päpsten, von Engeln und von Heiligen vorbehalten.

Der Nimbus über der sitzenden Person kennzeichnet sie in diesem Fall als Heiligen. Zu ihnen zählen auch die Evangelisten.

Zu sehen ist in diesem Bild ein weiterer Nimbus, weitaus strahlender (weil größer im Verhältnis zum Kopf!) über dem gekreuzigten Jesus.

Doch auch über dem Kopf des Adlers im Vordergrund leuchtet ein Strahlenkranz. Dennoch: Die christliche Religion kennt keine heiligen Tiere. Wenn eines auftritt, ausgestattet mit dem Nimbus, dann kann es sich nur ein Symbol handeln, um das Symbol eines Evangelisten.

Das aufgeschlagene Buch

Das aufgeschlagene Buch wird nicht gelesen, es wird gerade geschrieben. Dieses Buch kann in diesem Zusammenhang nur als das Evangelium des Johannes interpretiert wer­den.

Der erhabene Christus

Am Himmel haben sich die Wolken aufgetan. Durch den übergroßen Nimbus ist diese Person eindeutig als göttliche Person gekennzeichnet. Sie trägt einen Umhang, einen Mantel. In der kolorierten Version ist zu erkennen, wie sich der Künstler den Mantel farblich gedacht hat. Der Mantel ist rot, genauer: er ist purpurfarben.

Der sonst nackte Oberkörper der Person zeigt neben Linien, die im Holzschnitt nötig sind, um einen Körper zu stilisieren, merkwürdige Flecken. Bei genauer Betrachtung erkennt man an der rechten Seite eine längere Linie, die in der kolorierten Version grell rot gemalt ist. Es sind die Spuren der Geißelung und die Wunde des Lanzenstichs gezeichnet.

Die göttliche Person in den Wolken ist somit eindeutig Jesus Christus, dessen erhobene rechte Hand andeutet, dass er gerade et­was Bedeutsames spricht, was mit dieser nachdrücklichen Geste unterstrichen wird.

In dieser Darstellung finden sich die Inhalte von mindestens drei Geschichten aus dem Johannesevangelium zusammengeführt.

Den roten Mantel finden wir in der Erzählung von der →Die Geißelung und Verspottung Jesu (Joh 19,1-5). Er ist das Symbol für die königliche Herrschaft, für den König selbst.

Die Geschichte vom →Lanzenstich (Joh 19,31-37), der eine Wunde erzeugt, aus der Blut und Wasser austritt, ist Sondergut des Johannes. Sie kommt so nur im Johannesevangelium vor und ist von keinem der drei anderen Evangelisten bezeugt. Die Wunde wird zum Symbol für den gekreuzigten Christus. Jesus selbst macht sie zum untrüglichen Kennzeichen seiner Person. Davon berichtet die Geschichte vom ungläubigen →Thomas (Joh 20,24-29).

Im christlichen Verständnis geht das soweit, dass die Wunde, aus der Blut und Wasser drang, als Quelle des Blutes Christi für das heilige Sakrament der Eucharistie, als Quelle für das Blut Christi im Abendmahlskelch verstanden wurde.

Die erhobene Hand Christi weist auf den Sendungsbefehl hin. Hier bekommt Johannes die Anweisung, die gute Nachricht zu verkündigen, und zwar auf ganz besondere Weise: Er soll die Geschichten niederschreiben, das jr gleubet / Jhe­ſus ſey Chriſt / der Son Got­tes / Vnd das jr durch den glauben das Leben habet / in ſei­nem Namen. (→Abschlussnotiz: Der Zweck dieses Buchs; Joh 20,31).

Das Bild des Christus zeigt ihn durch den übergroßen Nimbus, der die gesamte Szene überstrahlt, als »Licht der Welt« (siehe →Das Zeugnis Jesu über sich selbst: Das Licht der Welt; Joh 8,12-20), das von Anfang an war und welchs alle Men­ſchen erleuchtet / die in die­ſe Welt komen. (Joh 1,9). Als Symbol für die Welt zeichnet der Künstler in diesem Bild umfänglich die Stadt und die weit in die Landschaft hinein verstreuten Häuser und Siedlungen. Er, Jesus, ist der gekreuzigte Menschensohn (Mantel und Wunden), der zum Va­ter aufgefahren ist (im Himmel thront), von wo er wieder kommen wird als der erwartete Christus.

Reformationstag | Martin Luther und Jan Hus reichen das Abendmahl | Links: Martin Luther und Kurfürst Johann von Sachsen, rechts: Jan Hus und Kurfürst Friedrich der Weise | Quelle: Ausschnitt nach einem Holzschnitt von Lucas Cranach d. Ä., um 1550. Germanisches Nationalmuseum.

Luther und Hus reichen das Abendmahl an Johann den Beständigen (Kurfürst von Sachsen 1525-1532) und Friedrich den Weisen (Kurfürst von Sachsen 1486-1525) in Gegenwart der Familie von Johann Friedrich I. (Kurfürst und Herzog von Sachsen 1532-1547)

Quelle: Holzschnitt, unbekannter Meister, etwa Mitte des 16. Jahrhunderts, British Museum, London.
© Gemeinfrei. Aus der Vorlage korrigiert und adaptiert für Stilkunst.de by Sabrina.

Das Bild zeigt in der Mitte oben den gekreuzigten Christus, aus dessen Wunden Blut fließt und sich in Schüsseln sammelt, die von einem Weinstock getragen wer­den. Die Säfte dieses ganz besonderen Weinstocks wer­den durch die Gegenwart Christi zu seinem Blut.

Die Stadtansicht im Hintergrund

Die Stadtansicht zeigt eine typische, mittelalterliche Stadt in Deutschland inmitten einer hügeligen Landschaft, in der in der Ferne weitere Gebäude zu erkennen sind.

Vergleiche mit alten Stichen und Gemälden von Stadtansichten solcher Städte wie Worms, Fulda, Magdeburg und Wittenberg zeigen ganz ähnliche Anlagen, Bauwerke und Strukturen.

Um welche Stadt es sich genau handeln mag, war für uns nicht eindeutig auszumachen. Vielleicht finden sich Leser, die diese Frage beantworten können.

Beispielhaft zeigen wir hier Ansichten von Magdeburg und Fulda, gestochen von Matthäus Merian, allerdings gut 100 Jahre nach dem Erscheinen der Lutherbibeln von 1534 und 1545.

Fulda

Das Bild des Johannesevangeliums zeigt gewisse Ähnlichkeiten mit dem Stich von Fulda. Es fallen auf: der gewundene Zufahrtsweg zum Stadttor, der Kirchturm mit seiner markanten Spitze, der sich ebenfalls links vom Tor befindet, die Anordnung der Gebäude, die Ausführung der Stadtmauer mit dem eigentümlichen Tor und den Zinnen am Kopf der Mauer, die der Stadtmauer vorgelagerten Stadtteile, und schließlich die Hügellandschaft im Hintergrund, in der weit in der Ferne auch hier weitere Gebäude auszumachen sind.

Wie im Johannesevangelium befindet sich der Zeichner nahezu in der gleichen Position oberhalb der Stadt auf einem Hügel.

Stadtansicht von Fulda, Stich von Matthäus Merian, 1655

Abbildung: Stadtansicht von Fulda
Autor: Matthäus Merian, 1655.
Quelle: Scan aus Topographia Hassiae, Published @Wikipedia.de, ©Public Domain

Allerdings fehlen hier der Fluss, das Brückentor diesseits des Flusses und die Brücke. Die wiederum finden sich in einer alten Stadtansicht von Magdeburg.

Magdeburg

Magdeburg ist sehr ähnlich angelegt. Denken wir uns den vorderen Teil des Bildes weg mit den vorgelagerten Wehranlagen bis hin zum Brückentor in der Mitte des Bildes. Die Stadtmauer befindet sich am Flussufer. Brücke und Brückentor sind ähnlich gezeichnet wie im Bild des Johannesevangeliums.

Stadtansicht von Magdeburg, Stich von Matthäus Merian, 1645

Abbildung: Stadtansicht von Magdeburg
Autor: Matthäus Merian, 1640.
Quelle: Scan aus Merians »Topographia Germaniae«, Bd.14: »Topographia Saxoniae Inferioris« (Niedersachsen), Frankfurt am Main 1653, Published @Zeno.org, ©Public Domain

 

 

Abschlussbemerkung

Sinn der Titelbilder in den Evangelien und Briefen war es, den jeweiligen Autor umfänglich vorzustellen, ohne ein einziges Wort dem gedruckten Text hinzufügen zu müssen.

Wie die übrigen Abbildungen in den Lutherbibeln jener Zeit ist auch dieses Bild vollgestopft mit Informationen, die im Wesentlichen über Symbolik transportiert wer­den. Die Bilder sind hochgradig verdichtete Informationsträger und keineswegs nur schmückendes Beiwerk.

Die Künstler, die diese Bilder entworfen hatten, waren Meister der Mediengestaltung. Sie nutzten kleinste Flächen, um ganze Geschichten zu erzählen. Sie schnitten mit einem Stecheisen aus einem kleinen Holzblock derart genau, dass die vielen Details auf dem Zielmedium im Druck trotz dicker Druckerschwärze und faseriger Papiere erkennbar blieben!

Verstand man es, diese Bilder »zu lesen«, konnten daraus wieder die Geschichten entwickelt und nacherzählt wer­den. Dies war vor allem für jene Betrachter wichtig, die des Lesens unkundig waren oder Hilfen benötigten, um die durchaus schwierigen Texte der Bibel zu verstehen. Die Bilder waren ein wichtiger Anreiz dafür, die Texte zu lesen oder Lesen zu lernen, und trugen so erheblich zur Bildung ganzer Bevölkerungsgruppen bei.

 

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Sabrina

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©by Reiner Makohl | Stilkunst.de

SK Version 15.11.2024