Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
VI.
Beten.
VND wenn du beteſt / ſoltu nicht ſein wie die Heuchler / die da gerne ſtehen vnd beten in den Schulen / vnd an den ecken vnd auff den Gaſſen / Auff das ſie von den Leuten geſehen werden. Warlich ich ſage euch / ſie haben jren lohn da hin. 6 Wenn aber du beteſt / So gehe in dein Kemmerlin / vnd ſchleus die thür zu / vnd bete zu deinem Vater im verborgen / vnd dein Vater / der in das verborgen ſihet / wird dirs vergelten öffentlich. 7 Vnd wenn jr betet / ſolt jr nicht viel plappern / wie die Heiden / Denn ſie meinen / ſie werden erhöret / wenn ſie viel wort machen. 8 Darumb ſolt jr euch jnen nicht gleichen / Ewer Vater weis / was jr bedürffet / ehe denn jr jn bittet. 9 Darumb ſolt jr alſo beten.
Luc. 11.
Matt. 11.
VNſer Vater in dem Himel. Dein Name werde geheiliget. 10 Dein Reich kome. Dein Wille geſchehe / auff Erden / wie im Himel. 11 Vnſer teglich Brot gib vns heute. 12 Vnd vergib vns vnſere Schulde / wie wir vnſern Schüldigern vergeben. 13 Vnd füre vns nicht in verſuchung. Sondern erlöſe vns von dem vbel. Denn dein iſt das Reich / vnd die Krafft / vnd die Herrligkeit in ewigkeit Amen.
DEnn ſo jr den Menſchen jre feile vergebet / So wird euch ewer himliſcher Vater auch vergeben.
WO jr aber den Menſchen jre feile nicht vergebet / So wird euch ewer Vater ewre feile auch nicht vergeben.
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Kürzel | Bezeichnung in Luthers Biblia 1545 | Moderne Bibel | Kürzel |
Marc. | Euangelium S. Marcus.Biblia Vulgata: | Das Evangelium nach Markus Markusevangelium | Mk Mk Mk |
Luce. | Euangelium S. Lucas.Biblia Vulgata: | Das Evangelium nach Lukas Lukasevangelium | Lk Lk Lk |
Erläuterungen siehe Liste der Abkürzungen und Namen biblischer Bücher | |||
Die folgenden Begriffe aus dem Text Mt 6,5-15 werden hier erläutert.
Versnummer: Luthers Wort | |||
5: ſoltu | 5: Heuchler | 6: ſchleus | |
7: Heiden | 9: geheiliget | 12: Schüldigern | |
13: Amen | 14: feile | ||
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Luther-Deutsch | Deutsch | Erläuterungen | ||||||||
ſoltu | sollst du (Verb) 2. Person Singular Indikativ Aktiv von sollen (Verb)
Präsens: ſoltu: sollst du -u: Die Flexion mit dem angehängten »u« ist eine eigentümliche Form, die sonst nur noch aus älteren Texten bekannt ist. Gebildet wurde sie aus der 2. Person, zusammengezogen mit dem Personalpronomen »du«, aus dem das »u« stammt. Diese Form impliziert eine gewisse Dringlichkeit und Direktheit der Ansprache, die unmittelbare Hinwendung zum Gegenüber. So kann es die unzweifelhafte Feststellung des Handelns, die dringliche Ansprache oder die unmittelbare Aufforderung zum Handeln bedeuten (Indikativ in der Aussage), die Erfüllung einfordern, mutmaßen bzw. unterstellen (Konjunktiv), oder zur Antwort und Erklärung auffordern (Verb in der Frage).
Heute ist stattdessen das Verb in seiner gebräuchlichen Flexion verbunden mit »du« zu verwenden. Die Direktheit oder eine Aufforderung kann bestenfalls durch eine Sinn tragende Beifügung umschrieben werden abhängig vom Kontext. Sie kann ggf. durch einen Imperativ herausgestellt werden. ſoltu: du sollst (tunlichst, unbedingt)!
Vnd wenn du beteſt / ſoltu nicht ſein wie die Heuchler ...
a) unterstrichen: Und wenn Du betest, sollst Du tunlichst nicht sein wie die Heuchler ... b) umschrieben: Und wenn Du betest, darfst Du Dich keinesfalls wie die Heuchler verhalten ... c) Imperativ: Und wenn Du betest, sei nicht wie die Anmerkungen zum Text in Mt 6,5:
Die lateinische Biblia Vulgata bietet in Mt 6,5 den Text: et cum oratis non eritis sicut hypocritae
Das entscheidende Wort eritis (von: esse, sein) liegt vor in der 2. Person Plural Futur I Indikativ Aktiv. Die wörtliche Übersetzung hieße:
Und wenn ihr betet, werdet ihr nicht sein wie die Heuchler
1. Luther benutzt als Textglättung den Singular (»du« statt »ihr«), weil der vorangehende Abschnitt vom Almosengeben ( Mt 6,1-4) ebenfalls im Singular verfasst ist und den Einzelnen anspricht.
2. Das lateinische Konstrukt non eritis ist in diesem Zusammenhang nur als Aufforderung für künftiges Verhalten zu verstehen, nicht als Beschreibung eines künftig von allein eintretenden Zustands:
Und wenn ihr betet, seid nicht wie die Heuchler
Luther umschreibt Aufforderungen, göttlichen Geboten zu folgen, regelmäßig mit sollen. Aus dem wörtlich übersetzten »werdet ihr nicht sein« bzw. aus der Anpassung »seid nicht« wird bei ihm folgerichtig ſoltu nicht.
Sechs tage ſoltu erbeiten / vnd alle dein ding beſchicken.
a) umschrieben: Sechs Tage hast du zu arbeiten und deine Aufgaben zu erledigen. b) Imperativ: Arbeite sechs Tage und erledige deine Aufgaben! c) umgangssprachlich: Sechs Tage hast du Zeit, dein Ding zu machen.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Heuchler | Heuchler, der von heucheln, heucheln (Verb)
Jemand, der ständig heuchelt, der etwas Besonderes vorgibt (Blender, Aufschneider), der so tut, als läge ein bestimmter Zustand vor (Simulant).
Heuchler
Auffälig häufig kommt das Wort im Buch Hiob vor (neunmal) und im Evangelium nach Matthäus (sechzehnmal).
Wenn du nu Almoſen gibſt / ſoltu nicht laſſen fur dir poſaunen / wie die Heuchler thun / in den Schulen vnd auff den gaſſen / Auff das ſie von den Leuten gepreiſet werden /
Wenn du nun Almosen gibst, dann sollst Du es keinesfalls vor dir her Posaunen lassen, wie es die Heuchler tun, in den Schulen und auf den Straßen, damit sie von den Leuten gepriesen werden.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
ſchleus | schließe (Verb) | ||||||||
Heiden | Heiden, die
Heide, der Heiden
Im Alten Testament nur im Plural gebräuchlich.
(eigtl. Völker). Im religiösen Sinn sind Heiden Menschen, die nicht an Gott glauben bzw. angehörige fremder Religionen.
Gemeint sind (allumfassend) Völker mit fremden Religionen und fremden Gotteskulten aus der Sicht des Sprechenden in Abgrenzung zum Volk Gottes, die anderen bzw. fremden Völker.
vnd [ſie] ſprachen zu jm [d. i. Samuel] / Sihe / Du biſt alt worden / Vnd deine Söne wandeln nicht in deinen wegen / So ſetze nu einen König vber vns / der vns richte / wie alle Heiden haben.
... und sie sprachen zu Samuel: »Schau, du bist alt geworden und deine Söhne wandeln nicht auf deinen Wegen. Setze daher einen König ein, der über uns Recht spreche, so, wie ihn alle anderen Völker haben!«
Im Neuen Testament verwendet Luther das Wort auch im Singular.
Unsere Übersetzung »Ungläubiger« trifft es nicht ganz: Gemeint ist in den Texten eigentlichen eine Person, die einem anderen Staat angehört und daher eine andere Religion ausübt. Der Begriff »Ausländer« würde allerdings in der heutigen Zeit noch weniger passen.
Höret er die Gemeine nicht / So halt jn als einen Heiden vnd Zölner.
Hört er nicht auf die Gemeinde, dann halte ihn für einen Ungläubigen und Zöllner.
So aber jemand die ſeinen / ſonderlich ſeine Hausgenoſſen / nicht verſorget / der hat den glauben verleugnet / vnd iſt erger denn ein Heide.
Wenn aber jemand die Seinen, insbesondere seine Mitbewohner, nicht versorgt, dann hat er den Glauben verleugnet, und er ist schlimmer als ein Ungläubiger.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
heiligen | heiligen (Verb) 1) allgemein: 1a) als göttlich vollkommen verehren 1b) etwas von Sünde reinigen, befreien 1c) etwas außergewöhlich göttliches würdigen oder für einen außergewöhlich göttlichen Zweck erheben
2) weihen 2a) etwas als Opfer für Gott unwideruflich deklarieren 2b) jemanden zum Dienst für Gott berufen (in unterschiedlichen Ausprägungen) 2c) etwas für eine göttliche Bestimmung erwählen
3) Gott heiligt 3a) jemanden oder etwas aus dem Zustand der Sündhaftigkeit befreien
Ableitung aus dem Adjektiv heilig: (In Abgrenzung zum Irdischen:) göttlich vollkommen und verehrungswürdig.
GOTT heiligt den Sabbat: 1Mos 2,3:
Vnd ſegnete den ſiebenden Tag vnd heiliget jn /
Und [GOTT] segnete den siebenten Tag und heiligte ihn.
Anm: Hier ist segnen mit heiligen gekoppelt.
GOTT heiligt Menschen: Hes 20,12:
[Gott spricht:] Jch gab jnen auch meine Sabbath / zum zeichen zwiſſchen mir vnd jnen / Damit ſie lerneten / das ich der HERR ſey / der ſie heiliget.
Ich gab ihnen auch meinen Sabbat zum Zeichen zwischen mir und ihnen, damit sie lernen mögen, dass ich der HERR bin, der sie heiligt.
Menschen heiligen: 3Mos 11,44:
DEnn ich bin der HERR ewr Gott / Darumb ſolt jr euch heiligen / das jr heilig ſeid / denn ich bin Heilig.
Denn ich bin der HERR, euer GOTT. Darum solt ihr euch heiligen, damit ihr heilig seid, denn ich bin heilig.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Schüldigern
ſchüldigern | Schuldner, die von schüldig, schuldig (Adjektiv)
Menschen, die etwas schulden, die etwas schuldig sind.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Amen | Amen, das Amen
hebräisch: אָמֵן (āmén), griechisch: ἀμήν (amēn) lateinisch: amen
Biblische Beteuerung am Schluss der Gebete. Das hebräische Wort אָמֵן bedeutet »wahrlich!« oder »gewiss!« und wird verwendet als
a) Bestätigung oder Zustimmung nach der Rede eines anderen, b) Bekräftigung des vorgelesenen Bundes oder Eides, c) am Schluss eines Gebets.
Daher ist es Teil der jüdischen und der christlichen Liturgie.
Im Neuen Testament wird die griechische Transkription ἀμήν verwendet. Christus, das Amen der Schöpfung
Offb 3,14 bezeichnet Christus selbst als »Amen«, mit dem Gott alle Verheißungen erfüllt hat:
VND dem Engel der gemeinen zu Laodicea schreibe / Das saget / Amen / Der trewe vnd warhafftiger Zeuge / der anfang der creatur Gottes.
Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Dies sagt, der »Amen« [heißt], der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Feil | Fehl, der Mangel, Gebrechen, Fehler, Irrtum, Versagen
Er wird aber einen Feil geberen.
Er wird aber eine Fehlgeburt haben.
Wo jr aber den Menſchen jre feile nicht vergebet / So wird euch ewer Vater ewre feile auch nicht vergeben
Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler (ihr Fehlverhalten) nicht vergebt, da wird Euch Euer Vater Eure Fehler auch nicht vergeben.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||
Erläuterungen siehe Das große Stilkunst.de–Wörterbuch zur Lutherbibel von 1545 | |||||||||
Der Text aus der Lutherbibel ist auf unseren Seiten in Anlehnung an das Druckbild des Originals von 1545 wiedergegeben.
Den Seitenaufbau, die verwendeten Schriften, die Schreibregeln der Frakturschrift und Luthers Intentionen, mit der Typografie Lesehilfen bereitzustellen, erläutert dem interessierten Leser unser Artikel »Satz und Typografie der Lutherbibel von 1545«.
Beten! – Was riskieren wir schon dabei? Nichts. Was kostet es uns, außer einigen Minuten Zeit, die wir vermutlich anderweitig kaum besser genutzt hätten?
Ein Workshop zum Thema Beten