Die gantze Heilige Schrifft Deudsch
D. Martin Luther, Wittenberg 1545
150 Psalmen, aufgeteilt in fünf Büchern
1Ein Lied im höhern Chor.
ICh hebe meine augen auff zu dir / Der du im Himel ſitzeſt.
2Sihe / Wie die augen der Knechte / Auff die hende jrer Herrn ſehen.
Wie die augen der Magd / Auff die hende jrer Frawen.
Alſo ſehen vnſer augen auff den HERRN vnſern Gott / Bis er vns gnedig werde.
3Sey vns gnedig HERR / ſey vns gnedig / Denn wir ſind ſeer vol verachtung.
4Seer vol iſt vnſer ſeele / der Stoltzen ſpott / Vnd der Hoffertigen verachtung.
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Die folgenden Begriffe aus dem Text Ps 123 werden hier erläutert.
Versnummer: Luthers Wort | |||
2: Knechte | 2: hende | 2: Herrn | |
2: Magd | 2: Frawen | 2: HERRN | |
3: Sey | 4: ſeele | 4: ſpott | |
4: Hoffertigen | |||
Klick auf ein Wort führt zum Eintrag mit den Erklärungen. Das vollständige Verzeichnis findet sich hier: Das große Stilkunst.de–Wörterbuch zur Lutherbibel von 1545 |
Luther-Deutsch | Deutsch | Erläuterungen | ||||||||||||||||
Knecht | Knecht, der Das Wort meint im eigentlichen Sinn einen Menschen männlichen Geschlechts unabhängig vom Alter. Davon haben sich verschiedene Bedeutungen abgeleitet:
a) Mann b) Jüngling c) Junggeselle, unverheirateter (junger) Mann b) braver Mann, Ehrenmann e) lernender oder dienender Jüngling; Knappe; Lehrling; Geselle f) Kriegsknecht (Soldat, der das Kriegshandwerk zum Beruf gemacht hat) g) Landsknechte (im edlen Ansinnen) h) allg. Dienender (in Anstellung eines Herrn) i) Gottes Knecht (von Gott dienenden Menschen, so auch von Christen allgemein, unabhängig vom Geschlecht)
Sie haben die Leichnam deiner Knechte den Vogeln vnter dem Himel zu freſſen gegeben
Sie haben die Leichen deiner Knechte den Vögeln unter dem Himmel zu fressen gegeben.
Knechte meint hier die (treuen) Diener Gottes, die Angehörigen des Volkes Israel.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||||||||||
Hand
Hende | Hand, die
Hände, die
Mein Gebet müſſe fur dir tügen / wie ein Reuchopffer / Meine hende auffheben / wie ein Abendopffer.
Mein Gebet soll dir erscheinen wie ein Rauchopfer, das Erheben meiner Hände wie ein Abendopfer.
Nimm mein Gebet als Rauchopfer und das Erheben meiner Hände als Abendopfer.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||||||||||
Herr | Herr, der Herr oder herr
In der Lutherbibel bezeichnet diese Schreibweise einen Menschen, einen Mann, meist in gehobener oder angesehener Position.
Wichtig:
Davon zu unterscheiden sind die Schreibweisen »HERR« (in Großbuchstaben) und »HErr« (zwei Großbuchstaben, gefolgt von zwei Kleinbuchstaben)
Lieben Herrn / wie lang ſol meine Ehre geſchendet werden?
Liebe Herren, wie lange soll meine Ehre [noch] geschändet werden?
Luther erklärt im Scholion, wen er hier mit »Herrn« meint. Nun ist verständlich, warum der erste Buchstabe, das große »H«, in Antiquaschrift gesetzt ist (siehe unsere Erläuterungen zur Typografie).
Luther: (Herrn) Das iſt / Jr groſſen Hanſen vnd was etwas gelten wil.
SK Version 21.11.2024 ● | ||||||||||||||||
Magd | Magd, die a) eine erwachsene, noch unverheiratete Frau b) eine unverheiratete, junge Frau, ein Mädchen b) eine Frau in dienender Anstellung (Mann: Knecht), Ersatz für Dienerin
Die Senger gehen vorher / Darnach die Spielleute vnter den Megden die da paucken.
Die Sänger gehen voran. Es folgten die Spielleute inmitten Tamburin schlagender Mädchen.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||||||||||
Fraw
fraw | Frau, die mhd: frouwe erwachsener weiblicher Mensch
Das Wort besitzt ein großes Umfeld. Die genaue Bedeutung kann oft erst aus dem Textzusammenhang erschlossen werden. Die Frau als Herrin und Gebieterin
Wie die augen der Magd / Auff die hende jrer Frawen. Alſo ſehen vnſer augen auff den HERRN vnſern Gott /
a) Wie die Augen der Dienerin auf die Hände ihrer Frauen, genauso sehen unsere Augen auf den HERRN, unseren Gott. b) Wie die Augen der Sklavinnen auf die Hände ihrer Herrinnen, genauso sehen unsere Augen auf den HERRN, unseren Gott.
Anmerkung zu Psalm 123,2
In diesem Psalm steht das Wort Fraw dem Wort Magd wie eine Standesbezeichnung gegenüber. Es steht für die vornehme, edle, reiche Frau als Gebieterin über Sklavinnen.
Luthers Wort Magd ist die Übersetzung des hebräischen Wortes שִׁפְחָה (šipəḥͻh), das »Sklavin, Dienerin« bedeutet. Speziell die Frauen reicher oder gehobener Familien besaßen eigene Sklavinnen.
Luther übersetzt das hebräische Wort גְּבֶרֶת (gĕḇärät), das »Herrin, Gebieterin« bedeutet mit Frau.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||||||||||
HERR | HERR, JHWH, Jahwe Aussehen in unseren Frakturschriften: HERR oder HERR
HERR im Alten Testament
hebräisch: יהוה (jhwh, das Tetragrammaton JHWH) lateinisch (Biblia Sacra Vulgata): Dominus, Herr
Luthers Schreibweise HERR in Versalien (Großbuchstaben) folgt einer festen Regel. Sie weist darauf hin, dass im hebräischen Text an dieser Stelle das Tetragrammaton (das Vierfachzeichen) »JHWH« (hebr.: יהוה) steht. Es ist der unaussprechliche Name Gottes.
Satztechnisch bedingte Varianten
Um beim Satz der Lettern Platz in einer Zeile zu sparen, wodurch übermäßiger Sperrdruck oder ungünstige Wortumbrüche vermieden werden, sind in der Lutherbibel von 1545 häufig auch die Varianten HERr oder HERRn oder HERrn zu finden. Dabei sind mindestens die ersten drei Zeichen in Versalien gesetzt, womit sie hinreichend von HErr unterscheidbar sind.
An wenigen Stellen im Text wurde eine für uns unübliche Trennung im Wort vorgenommen, um einen Zeilenumbruch zu realisieren, hier beispielhaft gezeigt:
[ ...] fur den HER- RN bringen [...]
HERR HErr
Der Ausdruck HERR HErr steht dann, wenn im hebräischen Text »JHWH Adonaj« zu lesen ist. (Siehe dazu auch den Artikel HErr.)
Auch die umgekehrte Reihenfolge HErr HERR ist möglich (»Adonaj JHWH«).
4bSo ſpricht der HErr HERR / 5aſie gehorchen oder laſſens /
Die neuen Lutherbibeln übersetzen diesen Ausdruck stets mit »Gott der HERR«.
Die Aussprache des Namens Gottes
Das Wissen um die Aussprache der vier Zeichen, die den Gottesnamen ausmachen, ist schon früh in der Geschichte verloren gegangen. Sie werden heute oft mit »Jahwe« (vokalisiert geschrieben יְהוָה nach der Aussprache des hebräischen Adonaj, Herr) oder »Jehova« (יְהוָֹה ebenfalls nach dem hebräischen Adonaj, Herr, jedoch unter Berücksichtigung aller Vokale) transkribiert, aber auch mit »Jewah« (ebenfalls יְהוָה aber nach dem hebräischen Schema, der Name, zu lesen) oder »Jehowih« (יְהוִה nach dem hebräischen Elohim, Gott / Götter).
Luthers Namensersatz
Luther kannte die vokalisierten Varianten und die transkribierten Formen und war wohl besonders dem Wort »Jehova« zugeneigt. Es bezieht alle drei Vokale aus dem Wort Adonaj, das »Herr« bedeutet. Dennoch hatte er es vermieden, in seiner Übersetzung »Jehova« zu verwenden. Stattdessen nutzte er wie die lateinischen Bibeln einen Wortersatz. Er setzte das deutsche Wort ein, das gemäß der jüdischen Tradition zu lesen sei, wenn im Text das Vierfachzeichen erscheint, machte es aber durch die besondere Satzweise in Großbuchstaben kenntlich: HERR.
Luthers Schreibweise hat sich bis heute in etlichen Bibelausgaben gehalten.
HERR im Neuen Testament
Im neuen Testament verwendet Luther die Schreibweise HERR in Versalien (Großbuchstaben) für Gott, den Vater, an Stellen, wo sich Zitate aus dem Alten Testament auf »JHWH« beziehen.
Wichtig: Davon zu unterscheiden sind die Schreibweisen
SK Version 21.11.2024 ● | ||||||||||||||||
ſey | er/sie/es sei (Verb) von: sein (Verb) Das »ei« am Wortende wird nach den Regeln des Luther-Deutsch zu »ey«.
Es werde eine Feſte zwiſchen den Waſſern / vnd die ſey ein Vnterſcheid zwiſchen den Waſſern.
Es werde ein Himmelsgewölbe zwischen den Gewässern, und das sei die Trennung zwischen den Gewässern.
SK Version 21.11.2024 ● | ||||||||||||||||
Seele
ſeele | Seele, die Seele
hebräisch: נֶ֫פֶשׁ (nεfεš), eigtl.: Hauch, Atem 1) was ein Wesen lebendig macht: Seele 2) Sitze der Empfindungen: Gemüt, Herz 3) lebendiges Wesen (worin Leben ist), Lebender, Person griechisch: ψυχή (psyche), eigtl.: das (irdische) Leben 1) die Seele 2) das Leben 3) lebendiges Wesen (worin Leben ist), Lebender, Person, lebender Mensch lateinisch: anima Atem, Hauch, Seele, Gemüt, Leben, Lebenskraft Der Begriff Seele erstreckt sich über ein weites Feld von Bedeutungen, die alle im individuellen Sein eines lebendigen Wesens, speziell eines Menschen angesiedelt sind. Es reicht vom belebenden Atem über den Sitz der Emotionen, über Emotionen selbst, über Gemütszustände bis hin zu Lebenskraft und zu Leben an sich.
Seele grenzt immer lebende und empfindende Wesen von Gegenständen, toten Körpern und Verstorbenen ab, die alle diese Eigenschaften, also die Seele, entweder nicht besitzen oder verloren haben. Das heutige Verständnis
Der Begriff der Seele ist religionsgeschichtlich in allen Kulturen vorhanden, aber mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen verbunden. Heute gibt es viele Interpretationsversuche, die oft zur Erklärung und Abgrenzung verschiedene Seelen-Typen beschreiben, wie die Körper-Seele, die Frei-Seele, die Schatten-Seele u.a.
Allen gemein scheint nur zu sein, dass mit Seele eine individuelle »Lebenskraft« gemeint ist, die jedoch nicht näher greifbar ist. Sie belebt den Körper, wenn der Mensch aktiv und bewusst ist (Körper-Seele). Sie existiert vom Bewusstsein aber auch unabhängig, beispielsweise, wenn der Mensch schläft oder bewusstlos ist (Frei-Seele). Sie beinhaltet die Gedanken und Gefühle (Ich-Seele). Die Hauch-Seele ist eine Art ätherisches Fluidum, und eine spezielle Gabe des Höchstens Wesens (ein Beispiel ist der Odem, den Adam eingeblasen bekommt). Die Schatten-Seele ermöglicht es, im Schlaf in den Träumen zu reisen, ohne den schlafenden Körper mitzunehmen, usw.
Im christlichen Abendland ist die Idee einer Seele zwar selbstverständlich, der Gebrauch des Begriffs aber längst nicht einheitlich. Bis heute steht der Begriff Seele im Zentrum theologischer Untersuchungen und Diskussionen. So ist das hebräische Wort נֶ֫פֶשׁ (nεfεš; Seele) eines der am meisten untersuchten Wörter im Alten Testament, nicht zuletzt, um die Grundlagen zu schaffen für ein christlich religiöses Verständnis.
Die Frei-Seele entspricht in etwa dem christlichen Verständnis: Sie ist von Körper und Geist unabhängig (frei). Die Frei-Seele vertritt den ganzen Menschen mit all seinen persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten, Gedanken und Erinnerungen. Sie kann in Träumen, Trancen oder in Bewusstlosigkeit den Kör0per vorübergehend verlassen und eigenständig existieren (frei). Kehrt sie nicht zurück, stirbt der Mensch, doch die Frei-Seele überlebt, womit die Persönlichkeit des Menschen nach seinem Tod erhalten bleibt.
Damit grenzt sich der Begriff Seele von der Bedeutung Lebenskraft oder von Leben eindeutig ab. Während die Lebenskraft und das Leben mit dem Tod verloren gehen, existiert die Seele weiter. Um eine »lebendige Seele« zu werden (1Mos 2,7), braucht es einen Körper (Materie), einen Geist (Denken und Handeln), eine Seele (das individuelle »Ich«) und das Leben an sich (das Luther Odem nennt).
Die Interpretation des Wortes Seele | ||||||||||||||||
Spott
ſpott
Spot
ſpot | Spott, der Spott, ſpott
Spot, ſpot
Das Wort kommt vor in den Schreibweisen Spott und Spot, wobei die zweite Form (nur ein »t«) häufiger erscheint.
Hohn in Worten, Gebärden und Verhalten
Jch aber bin ein Wurm vnd kein Menſch / Ein ſpot der Leute vnd verachtung des Volcks.
Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute, die Verachtung des Volks.
Die Stoltzen haben jren ſpott an mir
a) Die Stolzen haben ihren Spott an mir. b) Die Stolzen treiben ihren Spott mit mir.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||||||||||
Hoffertige | Hoffärtige, der Substantivierung zu: hoffertig, hoffärtig (Adjektiv)
(abwertend) anmaßend stolz, verletzend überheblich, dünkelhaft, aufgeblasen, hochnäsig, selbstherrlich, selbstgefällig, snobistisch, arrogant, blasiert
die Hoffertigen: die Hochnäsigen, die Selbstgefälligen, die Überheblichen
Hoffertige
Erhebe dich du Richter der Welt / Vergilt den Hoffertigen was ſie verdienen.
Erhebe dich, du Richter der Welt! Vergelte den Hoffärtigen, was sie verdienen.
Denn Gott widerſtehet den Hoffertigen / Aber den Demütigen gibt er gnade.
Denn Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen schenkt er Gnade.
SK Version 25.09.2024 ● | ||||||||||||||||
Erläuterungen siehe Das große Stilkunst.de–Wörterbuch zur Lutherbibel von 1545 | |||||||||||||||||
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Den Seitenaufbau, die verwendeten Schriften, die Schreibregeln der Frakturschrift und Luthers Intentionen, mit der Typografie Lesehilfen bereitzustellen, erläutert dem interessierten Leser unser Artikel »Satz und Typografie der Lutherbibel von 1545«.