Evangelium nach Lukas
Lk 10,23-24.25-37
Text hören:
Sprecher: R. Makohl | Musik: ©Bluevalley, J.S. Bach
Das Verzeichnis der Hörbuch-Videos mit den Lesungen des Evangeliums finden Sie hier:
↦ Video-Hörbuch
Euangelium
S. Lucas.
C. X.
VND Jheſus wandte ſich zu ſeinen Jüngern / vnd ſprach in ſonderheit / Selig ſind die augen / die da ſehen / das jr ſehet. 24Denn ich ſage euch / viel Propheten vnd Könige wolten ſehen / das jr ſehet / vnd habens nicht geſehen / vnd hören das jr höret / vnd habens nicht gehöret.
Sihe / da ſtund ein Schrifftgelerter auff / verſucht Jheſus / vnd ſprach / Meiſter / Was mus ich thun / das ich das ewige Leben ererbe? 26Er aber ſprach zu jm / Wie ſtehet im Geſetz geſchrieben? Wie lieſeſtu? 27Er antwortet / vnd ſprach / Du ſolt Gott deinen HERRN lieben / von gantzem hertzen / von gantzer ſeele / von allen krefften / vnd von gantzem gemüte / Vnd deinen Neheſten / als dich ſelbs. 28Er aber ſprach zu jm / Du haſt recht geantwortet / Thue das / ſo wirſtu leben.
29ER aber wolt ſich ſelbs rechtfertigen / vnd ſprach zu Jheſu / Wer iſt denn mein Neheſter? 30Da antwortet Jheſus / vnd ſprach / Es war ein Menſch / der gieng von Jeruſalem hin ab gen Jericho / vnd fiel vnter die Mörder / Die zogen jn aus / vnd ſchlugen jn / vnd giengen dauon / vnd lieſſen jn halb tod liegen. 31Es begab ſich aber on gefehr / das ein Prieſter dieſelbige ſtraſſe hin ab zoch / vnd da er jn ſahe / gieng er fur vber. 32Desſelbigen gleichen auch ein Leuit / da er kam bey die Stet / vnd ſahe jn / gieng er fur vber.
33EIn Samariter aber reiſet / vnd kam da hin / vnd da er jn ſahe / jamerte jn ſein / 34gieng zu jm / verband jm ſeine Wunden / vnd gos drein Ole vnd Wein / vnd hub jn auff ſein Thier vnd füret jn in die Herberge / vnd pfleget ſein. 35Des andern tages reiſet er / vnd zoch eraus zween Groſſchen / vnd gab ſie dem Wirte / vnd ſprach zu jm / Pflege ſein / Vnd ſo du was mehr wirſt darthun / wil ich dirs bezalen / wenn ich widerkome. 36Welcher dünckt dich / der vnter dieſen dreien der a Neheſt ſey geweſen / dem / der vnter die Mörder gefallen war? 37Er ſprach / Der die barmhertzigkeit an jm that. Da ſprach Jheſus zu jm / So gehe hin / vnd thu des gleichen.
a
(Neheſt)
Der Neheſt iſt nicht allein der wol thut / ſondern auch der wolthat bedarff / Denn wir ſind alle vnternander Neheſten.
✽
Der Vorrang der Jünger
und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter
Die Perikope enthält zwei inhaltlich getrennte Textstücke: Der Text Lk 10,23-24 erzählt die Geschichte, in der Jesus den Jüngern klar macht, welche große Gnade sie deshalb erfahren haben, weil er, Jesus, unter ihnen ist.
Der Text Lk 10,25-37 erzählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Das Gleichnis beantwortet die Frage, wer denn der Nächste sei, wenn man den Nächsten doch laut Gottes Gebot lieben solle wie sich selbst.
Oft ist es so, dass uns Menschen, wenn uns großes Glück widerfährt, dies gar nicht recht bewusst ist.
In einer oft unruhigen Welt genießen wir das Privileg, in Frieden und Wohlstand zu leben. Wir wachen ohne Angst vor Krieg auf, unsere Kinder gehen sicher zur Schule. Nahrung, sauberes Wasser und ein Dach über dem Kopf sind für uns selbstverständlich - Luxus für viele andere. Medizinische Versorgung steht uns zur Verfügung, wir genießen Meinungsfreiheit und können unser Leben selbst gestalten. Diese Segnungen sind keine Selbstverständlichkeit.
Die Jünger genossen ein anderes Privileg. Ihnen war das Privileg gegönnt, dass Jesus unter ihnen und mit ihnen lebte, dass sie ihn unmittelbar sehen und und seine Reden direkt hören konnten. Das war für alle Generationen vor ihnen nicht möglich.
Zwar sehnten sich Propheten und Könige danach, endlich den Messias begrüßen zu dürfen, doch es passierte zu ihren Lebzeiten nicht.
War das den Jüngern klar? Offensichtlich nicht. Jesus sah sich veranlasst, dies in einer kleinen Rede an sie zu betonen.
Aus diesem Privileg heraus begründete sich für die Jünger nicht nur Dankbarkeit, sondern vielmehr die Verantwortung dafür, aus ihrem Glück heraus zu handeln, andere daran teilhaben zu lassen.
So, wie wir erkennen müssen, welches Glück uns widerfährt, wie dankbar wir dafür sein sollten - denn es ist zum allergrößten Teil nicht unser Verdienst! -, doch vor allem: Welche Verantwortung daraus erwächst gegenüber jenen, die nicht solches Glück erleben.
Jesus betont mit seinen Worten die einzigartige Stellung seiner Jünger als Augenzeugen seines Wirkens. Sie erleben unmittelbar die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen in Jesus Christus.
Die Verse deuten an, dass mit Jesus die von den Propheten und Königen ersehnte Heilszeit angebrochen ist. Die Jünger sind privilegierte Zeugen dieses entscheidenden Moments der Heilsgeschichte.
Diese Verse betonen also die einzigartige Bedeutung Jesu in der Heilsgeschichte und die besondere Gnade, ihn als Messias erkennen zu dürfen - eine Gnade, die auch heutigen Gläubigen durch den Glauben zuteilwird.
Die biblischen Gebote sprechen davon, den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Dies ist der wesentliche Inhalt des Doppelgebots der Liebe ( Markusevangelium 12,29-31) und der Goldenen Regel ( Matthäusevangelium 7,12). Nun stellte sich schon zur Zeit Jesu immer wieder die Frage, wer den der Nächste sei. Welche Menschen sind in den Geboten gemeint?
Bis heute wird diese Frage gestellt, nicht selten, um gesellschaftspolitisches und politisches Handeln zu begründen, nicht selten, um parteipolitische Programme zu rechtfertigen.
Die Frage bewegt also keineswegs nur Christen hinter verschlossenen Kirchentüren. Die Antworten darauf besitzen eine hohe politische und gesellschaftspolitische Relevanz, weil sie über die Frage nach moralischen Werten hinaus Denken, Meinungsbildung und Handeln bis hin zu Gesetzgebung bestimmt.
Jesus antwortet auf die Frage danach mit diesem Gleichnis.
Aus evangelischer Sicht lassen aus dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter in Lukas 10,25-37 insbesondere diese Botschaften herauslesen.
Die zentrale Botschaft ist die radikale und bedingungslose Nächstenliebe, die Jesus einfordert. Der »Nächste« ist nicht nur das Familienmitglied, der Nachbar, der Mitbürger in derselben Stadt oder im selben Staat, ist nicht nur der Glaubensbruder in der Gemeinde oder der Kirche, sondern jeder Mensch, dem man begegnet und der Hilfe benötigt - unabhängig von Herkunft, Religion oder Status.
Luther erklärte es einst so: »Unser Nächster ist jeder Mensch, besonders der, der unsere Hilfe braucht.«
Der Samariter, der dem Verletzten hilft, gehört einer von den Juden verachteten Glaubensgruppe an. Jesus bricht hier bewusst mit den damals gängigen Vorurteilen und zeigt, dass die Nächstenliebe keine Grenzen kennt.
Die Vertreter der staatlichen und religiösen Elite (Priester, Levit) gehen achtlos an dem Hilfsbedürftigen vorbei. Jesus kritisiert hier eine rein äußerliche, werkgerechtliche Frömmigkeit und fordert stattdessen die praktische Umsetzung der Nächstenliebe ein.
Das Gleichnis zeigt, dass die Barmherzigkeit der Kern des christlichen Glaubens und Handelns sein muss. Nicht Herkunft oder Status machen den wahren Christen aus, sondern die Bereitschaft zur selbstlosen Hilfe.
Obwohl im jüdischen Kontext erzählt, hat die Geschichte eine über Kulturen und Religionen hinausgehende Gültigkeit. Sie appelliert an die Menschlichkeit und Solidarität aller Menschen.
Das Gleichnis betont, dass der Nächste nicht einfach derjenige ist, der räumlich nahe ist oder zu unserer sozialen, nationalen oder religiösen Gruppe gehört, sondern insbesondere derjenige, der in Not ist und unsere Hilfe benötigt. Es ermutigt uns, Vorurteile zu überwinden und unsere Hilfe und Liebe bedingungslos zu denen auszudehnen, die in Not sind, unabhängig von ihren Unterschieden oder Hintergründen.
Insgesamt fordert das Gleichnis eine radikale Neuausrichtung des Denkens und Handelns - weg von Vorurteilen, Egoismen und religiöser Enge hin zu einer grenzenlosen Nächstenliebe aus Barmherzigkeit.
Anmerkung:
In den Jahren vor 1979 umfasste die Evangelienperikope zusätzlich vor den Versen 25 bis 37 die Verse 23 und 24 mit der Geschichte über die bevorzugte Stellung der Jünger durch die Gegenwart Jesu, also den Text Lk 10,23-37.
Perikope | Typ | Tag |
---|---|---|
1531 - 1898 | ||
Lk 10,23-24.25-37 |
Evangelium |
|
1899 - 1978 | ||
Lk 10,23-24.25-37 |
Evangelium |
|
Lutherische Kirchen 1958-1978 |
||
Lk 10,[23-24.]25-37 |
Reihe I |
|
1979 - 2018 | ||
Lk 10,25-37 |
Evangelium + |
|
seit 2019 | ||
Lk 10,25-37 |
Evangelium + |
Das Video zeigt aus der Lutherbibel von 1545 die Erzählung vom Vorrang der Jünger und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, vorgelesen von Reiner Makohl.