vorgelesen von Reiner Makohl
Die Ankündigung der Geburt Jesu, der Besuch der Maria bei Elisabeth und Marias Lobgesang
Der Text Lukas 1,26-28.39-56 besteht aus zwei Teilstücken, die hier gesondert betrachtet werden.
Das erste Stück, Lukas 1,26-38, berichtet vom Besuch des Engels Gabriel bei Maria und seiner Botschaft, dass Maria schwanger werden und einen Sohn gebären wird.
Im zweiten Stück, Lukas 1,39-56, wird die Geschichte erzählt, in der Maria zu ihrer Freundin Elisabeth nach Jerusalem reist, die bereits mit Johannes im sechsten Monat schwanger ist. Beide Frauen erleben eine Zeit der Freude miteinander.
Der Text Lukas 1,26-38 beschreibt die Verkündigung der Geburt Jesu an Maria durch den Engel Gabriel. Diese Passage ist in der evangelischen Lehre tief bedeutsam, da sie das Mysterium der Menschwerdung Gottes im Zentrum des christlichen Glaubens behandelt.
In der Betrachtung von Lukas 1,26-38 verbinden die theologischen Perspektiven von Rudolf Bultmann und Jürgen Moltmann wichtige, komplementäre Dimensionen zur Deutung der Jungfrauengeburt und ihrer Bedeutung in der evangelischen Verkündigung.
Rudolf Bultmann interpretiert die Jungfrauengeburt nicht als historische Begebenheit, sondern als ein mythologisches Element der biblischen Erzählung, das tiefere Wahrheiten symbolisiert.
In seinem Ansatz der »Entmythologisierung« betont Bultmann, dass die Jungfrauengeburt weniger als biologisches Ereignis, sondern als ein theologisches Symbol verstanden werden sollte. Sie drückt aus, dass die Herkunft und Sendung Jesu vollständig von Gott selbst abhängen und nicht aus menschlicher Verursachung stammen. Jesus wird so als Gottes besonderes Handeln in der Welt verstanden, das nicht von menschlichen Maßstäben eingeschränkt oder erklärt werden kann.
Für Bultmann geht es also um das Wunder der göttlichen Initiative, die nicht an die naturwissenschaftliche Erklärung gebunden ist, sondern als Ausdruck des Glaubens an Gottes Eingreifen verstanden wird.
Jürgen Moltmann hingegen sieht die Jungfrauengeburt in einem schöpfungstheologischen und eschatologischen Zusammenhang. Für Moltmann symbolisiert die Jungfrauengeburt eine „Neuschöpfung“, durch die Gott eine neue Zukunft in die Welt bringt. Dieser „neue Anfang“ stellt den Beginn der Erlösung dar, die in Jesus Christus als dem verheißenden Retter und Messias erfüllt wird. Moltmann betont, dass die Jungfrauengeburt ein Zeichen der Hoffnung ist: Sie zeigt, dass das Heil und Gottes Reich allein durch Gottes Gnade und nicht durch menschliche Leistung oder naturgemäße Abläufe verwirklicht werden. So wird die Inkarnation zu einem radikalen Zeichen göttlicher Nähe, die durch das Wirken des Heiligen Geistes geschieht und die bestehende Schöpfung transformiert.
Durch die Kombination der beiden Perspektiven ergibt sich ein tiefes Verständnis der Jungfrauengeburt als theologisches Symbol und als Zeichen für die neue Schöpfung.
Bultmanns Deutung lädt uns ein, die Jungfrauengeburt als Ausdruck des Glaubens an Gottes souveräne Initiative zu sehen, frei von der Notwendigkeit historischer Erklärung.
Gleichzeitig vertieft Moltmann diese Symbolik durch die Betonung der Jungfrauengeburt als Beginn der Erneuerung der Welt.
Gemeinsam betonen Bultmann und Moltmann, dass die Jungfrauengeburt in Lukas 1,26-38 weniger eine biologische Besonderheit darstellt, sondern ein lebendiges Bild der göttlichen Verheißung ist: Gott bricht in die Welt ein, schafft eine neue Realität und bietet der Menschheit Hoffnung auf ein Heil, das nicht von der Welt, sondern allein von Gott kommt.
In dieser Weise wird die Jungfrauengeburt in der Verkündigung zu einem Zeugnis des Glaubens, das die Nähe Gottes und die Verwandlungskraft seines Wirkens in der Welt vermittelt, ohne an historische oder naturwissenschaftliche Bedingungen gebunden zu sein.
Der Text Lukas 1,39-56 enthält zwei ineinander geschachtelte Erzählungen. Zunächst wird in den Versen 39 bis 45 und 56 über den Besuch der Maria bei Elisabeth berichtet. Dabei steht die Freude der Elisabeth im Vordergrund. Dazwischen eingebettet ist das sogenannte »Magnifikat«, der Lobgesang der Maria (Verse 46b bis 55).
Anmerkung: Das lateinische Verb magnificare bedeutet rühmen, erheben. In der lateinischen Bibel beginnt der Lobgesang (Vers 46) mit den Worten »et ait Maria magnificat anima mea Dominum«. Übersetzt heißt das: Und Maria sprach (et ait Maria): Meine Seele (anima mea) rühmt (magnificat) den Herrn (Dominum). Nach diesem Wort wird bis heute der gesamte Lobgesang »Magnifikat« genannt.
Der Text 1,39-56 wird in der evangelischen Tradition als tiefgründige Verkündigung von Gottes Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Treue verstanden, die durch den Glauben und die Demut der Gläubigen sichtbar wird.
Grafik: Die junge Maria besucht die betagte, schwangere Elisabeth. Sie fühlen das Kind im Mutterleib, das vor Freude hüpft.
Die Grafik basiert auf einem KI-generierten Bild.
©by Reiner Makohl | lizenziert für www.stilkunst.de
Maria, nachdem sie von der Ankündigung des Engels erfahren hatte, dass sie den Messias gebären wird, eilte zu ihrer Verwandten Elisabeth, die in ihrem hohen Alter ebenfalls nach göttlicher Ankündigung schwanger geworden war.
Diese Reise zeigt Marias Glauben an die göttlichen Fügungen im Leben und ihr Staunen darüber. Das Treffen der beiden Frauen ist als eine Begegnung voller Freude und geprägt von geistlicher Erkenntnis geschildert.
Als Maria eintrifft und Elisabeth grüßt, hüpft das ungeborene Kind (Johannes, der später »der Täufer« genannt werden wird) in Elisabeths Leib vor Freude. Elisabeth wird vom Heiligen Geist erfüllt und erkennt sofort die besondere Berufung Marias und die göttliche Natur des Kindes, das sie trägt.
Elisabeths Ausruf, dass Maria gesegnet sei unter den Frauen und dass die Frucht ihres Leibes gesegnet sei, hebt die einzigartige Rolle Marias in Gottes Heilsplan hervor.
Elisabeth lobt Maria auch für ihren Glauben, indem sie sagt, dass Maria gesegnet ist, weil sie geglaubt hat, dass Gottes Wort an sie erfüllt werden wird.
Vers 56 schließt die Erzählung vom Besuch Marias bei Elisabeth ab: Maria bleibt etwa drei Monate bei Elisabeth, was auf ihre Unterstützung und enge Beziehung hinweist. Danach kehrt sie nach Hause zurück.
Grafik: Betende Frau
Die Grafik basiert auf einem KI-generierten Bild.
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Bis heute wird in vielen Glaubensgemeinschaften und an vielen Orten auf dieser Welt täglich das Magnifikat gebetet.
Maria beginnt ihren Lobgesang mit einem Ausdruck tiefster Freude und Dankbarkeit gegenüber Gott. Sie preist Gott, der auf ihre Niedrigkeit geschaut und sie mit großer Ehre bedacht hat.
Dieser Teil des Magnifikats betont die Demut Marias und die Größe Gottes, der sich der Demütigen annimmt und sie erhöht.
Maria spricht von Gottes beständiger Barmherzigkeit, die sich auf alle erstreckt, die ihn fürchten.
Dies unterstreicht die Treue Gottes und seine Bereitschaft, denen gnädig zu sein, die Ehrfurcht vor ihm haben.
Maria beschreibt, wie Gott die Machtverhältnisse der Welt umkehrt. Er zerstreut die Hochmütigen, stürzt die Mächtigen und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen werden mit guten Dingen gesättigt, während die Reichen leer ausgehen.
Diese Umkehrung spiegelt das Reich Gottes wider, in dem Gerechtigkeit und Barmherzigkeit herrschen und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unterschiede überwunden werden.
Maria verweist darauf, dass Gott sich an sein Versprechen an Israel erinnert und seine Barmherzigkeit zeigt. Er erfüllt die Verheißungen, die er den Vorvätern gegeben hat, insbesondere Abraham und seinen Nachkommen.
Dies betont die Kontinuität der göttlichen Heilsgeschichte und die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen in Jesus Christus.
In der evangelischen Theologie wird dieser Text als Ausdruck von Gottes Gnade und Treue gesehen. Mehrere Aspekte sind besonders hervorzuheben:
Maria wird als Beispiel für Gottes Gnade betrachtet. Obwohl sie eine einfache, demütige junge Frau ist, wird sie für eine großartige Aufgabe ausgewählt. Dies zeigt, dass Gott oft die Geringen und Unbedeutenden auswählt, um seine Pläne zu verwirklichen.
Marias Glaube und Gehorsam werden betont. Sie akzeptiert Gottes Plan mit Demut und Vertrauen, was sie zu einem Vorbild für alle Gläubigen macht. Ihr Magnifikat ist ein kraftvolles Zeugnis ihres Glaubens und ihrer Hingabe.
Das Magnifikat spricht von der Umkehrung sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeiten. Dies reflektiert das evangelische Verständnis, dass das Reich Gottes Gerechtigkeit bringt und die bestehenden Machtstrukturen herausfordert.
Die Verheißungen, die Gott den Vorvätern gegeben hat, werden in Jesus erfüllt. Dies zeigt die Kontinuität zwischen dem Alten und dem Neuen Testament und betont, dass Gottes Plan durch die Geschichte hindurch wirksam ist.
Die Ankündigung der Geburt Jesu
Der Text aus dem Lukasevangelium, in dem berichtet wird, wie der Engel Gabriel der Maria ihre bevorstehende Schwangerschaft und die Geburt Jesu ankündigt, ist wohl eine der bekanntesten und zugleich geheimnisvollsten Erzählungen des Evangeliums.
Dieser Text aus Lukas 1,26-38 birgt eine Botschaft, die für uns im Glauben heute tiefgründig und wichtig ist. Was bedeutet diese »Jungfrauengeburt« für uns? Wieso hält die Bibel an diesem scheinbar unerklärlichen Wunder fest?
Lassen Sie uns diesen Text durch zwei zentrale Überlegungen zweier evangelischer Theologen deuten.
1. Der evangelische Theologe Rudolf Bultmann sah die Jungfrauengeburt als symbolische Erzählung, die nicht wörtlich als biologische Tatsache verstanden werden muss. Für ihn steht sie für Gottes Initiative. Das Wunderbare daran ist nicht eine naturwissenschaftliche Besonderheit, sondern dass Gott sich entscheidet, auf diese Welt zu kommen, dass Er den ersten Schritt geht, dass das Heil nicht aus menschlichem Handeln hervorgeht, sondern von Gott allein. Die Geburt Jesu ist ein Zeichen, dass Gottes Gnade uns ohne Vorbedingungen erreicht.
Diese Perspektive bringt uns zu einem tiefen Kern des Glaubens: Wir sind nicht die Macher unseres Heils. Unser Heil ist ein Geschenk, das uns überreicht wird. Wir müssen es nicht verdienen, sondern dürfen es im Glauben annehmen. Diese Botschaft schenkt uns Freiheit und Gelassenheit, gerade in einer Welt, die so oft von Leistungsdruck und Selbstoptimierung geprägt ist.
2. Ein weiterer Gedanke, den uns der evangelische Theologe Jürgen Moltmann mit auf den Weg gibt, ist die Jungfrauengeburt als Symbol einer neuen Schöpfung und eines neuen Anfangs zu sehen. Mit Jesus beginnt etwas vollkommen Neues in dieser Welt. Die Menschwerdung Christi, die in der Jungfrauengeburt symbolisiert wird, ist der Beginn einer Verwandlung, einer neuen Hoffnung. Gott beginnt, die Welt zu erneuern, und Er tut dies inmitten menschlicher Schwachheit, in der Bescheidenheit einer jungen Frau aus Nazareth.
Hier finden wir Trost und Hoffnung: Auch wir sind oft schwach und klein in den Herausforderungen des Lebens. Doch wenn Gott sich Maria zuwendet und in die Welt kommt, zeigt Er uns, dass auch das Schwache und Kleine eine Heimat für Gottes Wirken sein kann. Unser Glaube darf aus dieser Geschichte Mut schöpfen – Mut zur Hoffnung und zur Annahme dessen, was Gott in uns bewirken kann.
Die Geschichte von der Ankündigung der Geburt Jesu sollte uns Mut machen, auf Gottes souveräne Initiative zu vertrauen. Darauf zu vertrauen, dass Gott in unserer Welt und in unserem Leben gegenwärtig ist und wirkt – unabhängig von unserem Vermögen oder unserer Stärke.
Die Geschichte von Maria erinnert uns daran, dass Gott uns begegnet, wenn wir bereit sind, uns auf sein Handeln und seinen Plan mit uns einzulassen.
Perikope | Typ | Tag |
---|---|---|
1531 - 1898 | ||
Lk 1,26-38 | Evangelium | |
Lk 1,39-56 | Evangelium | |
1899 - 1978 | ||
Lk 1,26-38 | Evangelium | |
Lk 1,39-56 | Evangelium | |
Lutherische Kirchen 1958-1978 | ||
Lk 1,26-38 | Reihe I | |
1979 - 2018 | ||
Lk 1,26-38 | Evangelium | |
Lk 1,39-47[.48-55].56 | Evangelium | |
Lk 1,[39-45.]46-55[.56] | Evangelium + | |
seit 2019 | ||
Lk 1,26-38 | Evangelium + | Tag der Ankündigung der Geburt Jesu (Mariä Verkündigung) |
Lk 1,26-38[.39-56] | Evangelium + | |
Lk 1,[26-38.]39-56 | Reihe I | |
Lk 1,39-48[.49-55].56 | Evangelium + |
Frakturschrift ist nicht leicht zu lesen. Die Videos zeigen ausgewählte Texte aus der Lutherbibel von 1545, vorgelesen von Reiner Makohl.
Die Lutherbibel von 1545 ist mit ihrem Frakturzeichensatz nicht leicht zu lesen. Wir bieten Videos, in denen ausgewählte Perikopen aus den Sonn- und Feiertagsreihen vorgelesen werden.
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©2024 by Reiner D. Makohl | www.stilkunst.de
Bibeltexte: Dr. Martin Luther, Biblia, Wittenberg 1545
Zeichensätze der Frakturschriften, Typografie & Layout,
Video: Reiner D. Makohl
Sprecher: Reiner D. Makohl
Musik: ©Bluevalley, J.S.Bach, Präludium in C-Dur, Gitarre
In der evangelischen Tradition hat Maria, die Mutter Jesu, eine wichtige, aber unterschiedliche Bedeutung im Vergleich zur katholischen und orthodoxen Kirche.