1523
Text aus :
Dr. Johann Konrad Jrmischer: Dr. Martin Luther's katechetische deutsche Schriften, 2. Band, Erlangen, 1833
Nach der Ausgabe:
Von ordenung | gottisdienſt yn | der gemeyne. | Doctor Martin | Lutther. | Wittemberg. | M. D. rriij.
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9 | Über die freie Wahl zusätzlicher Gottesdienste am Nachmittag |
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13 | Die Messen unter der Woche sollen von Lesung und Predigt bestimmt sein |
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16 | Luther sieht die Reform der Gottesdienste nicht als abgeschlossen an |
Der Gottisdienſt, der itzt allenthalben gehet, hat ein chriſtliche, feine Ankunft *1), gleichwie auch das Predigampt. Aber gleichwie das Predigampt verderbt iſt durch die geiſtlichen Tyrannen, alſo iſt auch der Gottisdienſt verderbt durch die Heuchler.
Wie wir nu das Predigampt nicht abethun, ſondern wieder in ſein rechten Stand begehren zu brengen, ſo iſt auch nicht unſer Meinung, den Gottisdienſt aufzuheben, ſondern wieder in rechten Schwang zu bringen.
Drei große Mißbräuch ſind in den Gottisdienſt gefallen. Der erſt, daß man Gottis Wort geſchwiegen hat, und alleine geleſen und geſungen in den Kirchen; das iſt der ärgſte Mißbrauch.
Der ander, da Gottis Wort geſchwiegen geweſen iſt, ſind neben einkommen *2)ſo viel unchriſtlicher Fabeln und Lugen, beide in Legenden, Geſange und Predigen, daß greulich iſt zu ſehen.
Der dritte, daß man ſolchen Gottisdienſt, als ein Werk than hat, damit Gottis Gnade und Selikeit zurwerben *3). Da iſt der Glaub untergangen, und hat Jdermann zu Kirchen geben Stifften 1), Pfaff, Munch und Nonnen werden wollen.
Nu, dieſe Mißbräuch abzuthun, iſt aufs Erſt zu wiſſen, daß die chriſtlich Gemeine nimmer ſoll zuſammen kommen, es werde denn daſelbs Gottis Wort gepredigt und gebet', es ſei auch aufs Kurziſt; wie Pſ. 1o2, (23): Wenn die Konige und das Volk zuſammen kompt, Gott zu dienen, ſollen ſie Gottis Namen und Lob verkundigen. Und Paulus 1. Cor. 14, (31.) ſpricht: Daß in der Gemeine ſoll geweiſſagt, gelehrt und ermahnet werden. Darumb, wo nicht Gotts Wort predigt wird, iſts beſſer, daß man wider ſinge, noch leſe, noch zuſammen komme.
Alſo iſts aber zugangen unter den Chriſten, zur Zeit der Apoſtel, und ſollt auch noch ſo zugehen, daß man täglich des Morgens eine Stunde, fruhe umb vier oder funfe, zuſammen käme, und daſelbs leſen ließe, es ſeien Schuler oder Prieſter, oder wer es ſei, gleich wie man itzt noch die Lection in der Metten lieſet. Das ſollen thun einer oder zween, oder einer umb den andern, oder ein Chor umb den andern; wie das am Beſten gefället.
Darnach ſoll der Prediger, oder welchem es befohlen wird, erfur treten, und dieſelb 2) Lection ein Stuck auslegen, daß 3) die Andern alle verſtehen, lernen und ermahnet werden. Das erſt Werk heißt Paulus 1. Cor. 14, (26.) mit Zungen reden; das ander, auslegen oder weiſſagen, und mit dem Sinn oder Verſtand reden. Und wo dieß nicht geſchicht, ſo iſt die Gemeine der Lection nichts gebeſſert; wie bisher in Kloſtern und Stiften geſchehen, da ſie nur die Wände haben angeblehet *4).
Die Lection ſoll aber ſein aus dem Alten Teſtament, nämlich daß man ein Buch fur ſich nehme, und ein Kapitel oder zwei, oder ein halbes leſe, bis es aus ſei; darnach ein anders furnehmen, und ſo fortan, bis die ganze Biblia ausgeleſen werde; und wo man ſie nicht verſtehe, daß man furuber fahre, und Gott ehre; alſo, daß durch tägliche Ubunge der Schrift die Chriſten in der Schrift verſtändig, läuftig und kundig werden. Denn daher wurden vorzeiten gar feine Chriſten, Jungfrauen und Märterer, und ſollten wohl auch noch werden.
Wenn nu die Lection und Auslegung ein halb Stund oder länger gewähret hat, ſoll man drauf ingemein Gott danken, loben und bitten umb Frucht des Worts etc.
Dazu ſoll man brauchen der Pſalmen und etlicher guten Reſponſoria *5), Antiphon *6); kurz, alſo, daß es 4) Alles in einer Stund ausgerichtet werde, oder wie lange ſie wollen. Denn man muß die Seelen nicht uberſchutten, daß ſie nicht mude und uberdrußig werden; wie bisher in Kloſtern und Stiften ſie ſich mit Eſelsärbeit beladen haben.
Deſſelben gleichen an dem Abend umb ſechs oder funfe wieder alſo zuſammen. Und hie ſollt aber aus dem Alten Teſtament ein Buch nach dem andern furgenommen werden, nämlich die Propheten, gleichwie am Morgen Moſes und die Hiſtorien. Aber weil nu das Neue Teſtament auch ein Buch iſt, laß ich das Alte Teſtament dem Morgen, und das Neue dem Abend; oder wiederumb und gleich alſo leſen, auslegen, loben, ſingen und beten, wie am Morgen, auch ein Stund lang.
Denn es iſt alles zu thun umb Gottis Wort, daß das ſelb im Schwang gehe, und die Seelen immer aufrichtund erquicke, daß ſie nicht laß werden.
Will man nu ſolch Verſammlung des Tags noch einmal halten nach Eſſens, das ſtehe in freier Willkore *7).
Auch ob ſolchs tägliches Gottisdienſts vielleicht nicht die ganze Verſammlunge gewarten kunnte *8), ſollen doch die Prieſter und Schuler, und zuvor diejenigen, ſo man verhofft gute Prediger und Seelſorger aus zu werden, ſolchs thun. Und daß man ſie ermahne, ſolchs frei, nicht aus Zwang oder Unluſt, nicht umb Lohn, zeitlich nech ewig, ſondern alleine Gott zu Ehren, dem Nähiſten zu Nutz zu thun.
Des Sonntags aber ſoll ſolch Verſammlung fur die ganzen Gemeine geſchehen, uber das tägliche Verſammlen des kleinern Haufen, und daſelbs, wie bisher gewohnet, Meß und Veſper ſingen; alſo, daß man zu beider Zeit predige der ganzen Gemeine, des Morgens das gewohnlich Evangelium, des Abends die Epiſtel; oder ſtehe bei dem Prediger, ob er auch ein Buch fur ſich nehme, oder zwei, wie ihm dunkt das nutziſt ſein.
Will nu Jemand alsdann das Sakrament entpfahen, dem laß mans geben, wie man das alles wohl kann unternander, nach Gelegenheit der Zeit und Perſon, ſchicken.
Die täglichen Meſſen ſollen abſein allerdinge, denn es am Wort, und nicht an der Meſſen liegt *9): doch ob Etlich auſſer dem Sonntag begehrten das Sakrament, ſo halt man Meſſe, wie das die Andacht und Zeit gibt, denn hie kann man kein Geſetz noch Ziel ſetzen.
Das Geſänge in den Sonntagsmeſſen und Veſper laß man bleiben *10), denn ſie ſind faſt gut und aus der Schrift gezogen, doch mag mans wenigern 5) oder mehren. Aber das Geſänge und Pſalmen täglich des Morgens und Abends zu ſtellen, ſoll des Pfarrs und Predigers Ampt ſein, daß ſie auf ein iglichen Morgen ein Pſalmen, ein fein Reſponſorium *5) oder Antiphon *6)mit einer Collecten ordenen. Des Abends auch alſo, nach der Lection und Auslegung offentlich zu leſen und zu ſingen. Aber die Antiphon und Reſponſoria und Collecten, Legenden von den Heiligen und vom Kreuz laß man noch ein Zeit ſtille liegen, bis ſie gefegt werden, denn es iſt greulich viel Unflaths drinnen.
Aller Heiligen Feſt ſollten abſein *11), oder wo ein gute chriſtliche Legende wäre, auf den Sonntag, nach dem Evangelio, zum Exempel mit eingefuhrt werden.
Doch das Feſt Purificationis *12), Annunciationis Mariae *13), ließ ich bleiben; Aſſumtionis *14) und Nativitatis *15) muß man noch ein Zeitlang bleiben laſſen, wiewohl der Geſang drinnen nicht lauter iſt. Johannis Baptiſtä Feſt *16)iſt auch rein. Der Apoſtel Legend iſt keine rein, ohne St. Pauli *17), drumb mag man ſie auf die Sonntage ziehen, oder ſo es gefällt, ſonderlich feiren.
Anders mehr wird ſich mit der Zeit ſelb geben, wenn es angehet. Aber die Summa ſei die, daß es ja Alles geſchehe, daß das Wort im Schwang gehe, und nicht widerumb ein Loren *18) und Tonen *19)draus werde *20), wiebisher geweſen iſt. Es iſt alles beſſer nachgelaſſen, denn das Wort, und iſt nichts beſſer getrieben, denn das Wort; denn daß daſſelb ſollt im Schwang unter den Chriſten gehen, zeigt die ganze Schrift an, und Chriſtus auch ſelb ſagt, Luc. 1o, (39. 42.): Eins iſt von nothen, nämlich, daß Maria zu Chriſti Fußen ſitze, und hore ſein Wort täglich, das iſt das beſte Theil, das zurwählen iſt, und nimmer weggenommen wird. Es iſt ein ewig Wort, das Ander muß Alles vergehen, wie viel es auch der Martha zu ſchaffen gibt. Dazu helf uns Gott, Amen.
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Anmerkungen in der Überarbeitung von 1833:
1) Kirchen und Stifften gegeben.
2) derſelben.
3) daß es.
4) „es“ fehlt.
5) mindern.
Anmerkungen und Erläuterungen
*1) hat ein chriſtliche, feine Ankunft
»hat einen christlichen und guten Ursprung«
*2) ſind neben einkommen
»sind stattdessen hineingekommen«
*3) damit Gottis Gnade und Selikeit zurwerben
»um damit Gottes Gnade und die Seligkeit zu erwerben«
*4) da ſie nur die Wände haben angeblehet
»wo sie nur die Wände angeblökt haben«
*5) Reſponſorium / Reſponſoria
Responsorium: Wechselgesang in der Liturgie des Gottesdienstes oder der Messe (für Vorsänger und Chor oder Chor und Gemeinde).
*6) Antiphon
Antiphon: Bestandteil der Gottesdienstliturgie. Ein Vorvers, Kehrvers oder Refrain, der Verse eines Psalms oder eines Canticums (Bibelverse, die nicht aus dem Psalter stammen) einrahmt. Er wird vor und nach den Versen gesungen, gegebenenfalls auch nach mehreren Versen wiederholt.
*7) Willkore / das ſtehe in freier Willkore
»Willkür« / »das stehe im eigenen Ermessen [in freier Entscheidung]«
*8) Auch ob ſolchs tägliches Gottisdienſts vielleicht nicht die ganze Verſammlunge gewarten kunnte
»Auch dann, wenn wegen eines solchen täglichen Gottesdienstes vielleicht nicht die ganze Gemeinde erwartet werden könne«
*9) Die täglichen Meſſen ſollen abſein allerdinge, denn es am Wort, und nicht an der Meſſen liegt
»Die täglichen Messen sollen befreit sein von allen möglichen Dingen, denn es liegt am Wort, nicht an der Messe [meint: Im Vodergrund steht das Wort – Lesung und Verkündigung – nicht die Messe.]«
Die Ausnahme beschreibt Luther im folgenden Satz: Eine Gottesdienst kann dann wochentags den Charakter einer Messe erhalten, wenn jemand unter der Woche das Sakrament (das Abendmahl) begehrt (da hier von Luther die besonderen Umstände des Wunsches nicht allgemein fassbar sind).
*10) laß man bleiben
»sollen erhalten bleiben«
Der Ausdruck hat nicht die Bedeutung von »unterlassen, sein lassen, verzichten«
*11) Aller Heiligen Feſt ſollten abſein
»Die Feste aller Heiligen sollten unterlassen werden«
*12) Purificationis
Purificatio Mariae: Mariä Reinigung
Gemeint ist das Fest Purificatio Mariae, (Mariä) Lichtmess, Darstellung des Herrn, am 2. Februar
*13) Annunciationis Mariaen
Gemeint ist das Fest Mariä Verkündigung (In Annuntiatione Beatæ Mariæ Virginis), Verkündigung des Herrn, am 25. März
*14) Aſſumtionis
Gemeint ist Fest Mariä Himmelfahrt am 15. August (Assumptio Mariae; Assumptio Beatae Mariae Virginis). Luther sah die Notwendig, noch ein Weilchen an diesem Fest festzuhalten. Heute ist dieses Fest nicht mehr in den evangelischen Kirchenordnungen enthalten.
*15) Navitatis
Gemeint ist das Fest Mariä Geburt (Navitatis Mariae) am 8. September. Luther sah die Notwendig, noch ein Weilchen an diesem Fest festzuhalten. Heute ist dieses Fest nicht mehr in den evangelischen Kirchenordnungen enthalten.
*16) Johannis Baptiſtä Feſt
Gemeint ist der Tag der Geburt Johannes des Täufers am 24. Juni.
*17) Der Apoſtel Legend iſt keine rein, ohne St. Pauli
Luther lehnt die Geschichten, die die Aposteltage begründen, ab. Die Ausnahme bildet die Geschichte des Apostel Paulus. Seine Festtage (25. Januar, Tag der Berufung, und 29. Juni, Petrus und Paulus) solle erhalten bleiben. Doch da es sich bei den Aposteln um wichtige Persönlichkeiten der frühen Christen handelt, lenkt Luther ein: Man könne die Würdigung am Rande des zur Woche gehörigen Sonntagsgottesdienstes als Beispiele gelebten Glaubens begehen oder eben dort am jeweiligen Aposteltag halten, wo unweigerlich Bedarf besteht.
*18) Loren
wohl eine Substantivvariante zu »lörlen«: plärren (»wie die Nonnen den Psalter lesen, oder wie die Chorschüler jre horas lörten«, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm).
*19) Tonen
»Tönen« (in verächtlichem Sinn vom gedankenlosen Schwatzen)
*20) und nicht widerumb ein Loren und Tonen draus werde
Der Satz ist als verächtliche Anmerkung anzusehen: »und nicht wieder ein Geplärre und Geschwätz daraus werde« (das mit dem Wort, verkündet und gepredigt, nichts zu tun hat, sondern in Luthers Ohren sinnfreies Ritualgebaren sei).
Der Text stammt aus dem Sammelband von Dr. Johann Konrad Jrmischer: Dr. Martin Luther's katechetische deutsche Schriften, 2. Band, Erlangen, 1833.
Der Titel ist diesem Werk entnommen, aber bereits eine Anpassung des Originals:
Von ordenung
gottisdienſt yn
der gemeyne.
Doctor Martin
Lutther.
Wittemberg.
M. D. rriij.
Die Schreibweisen im wiedergegebenen Text entsprechen somit der Ausgabe von 1833, nicht der Ausgabe von 1523. Gesetzt wurde der Text auch 1833 noch in Frakturschrift, bestimmte lateinische Begriffe erscheinen wie im Original in Antiquaschrift.
Die Originaldrucke von 1523 lagen uns nicht vor. Wir haben daher die Darstellung (Seitenaufbau und Schrifttypen) unseren Texten der Biblia von 1545 angepasst, allerdings alle Schreibweisen der Ausgabe von Dr. Irmischer übernommen.
Die Anmerkungen, die Dr. Irmischer in seiner Ausgabe vorgenommen hatte, sind hier ebenfalls wiedergegeben.
Ergänzt haben wir eigene Anmerkungen dort, wo es uns nötig schien, dem heutigen Leser Informationen mitzugeben, die das Verständnis erleichtern.
Zusätzlich haben wir den Text, der im Originalsatz ganz sicher durch geeignete Auszeichnungen strukturiert war (z. B. Beginn eines Abschnitts), durch Abschnittsüberschriften aufgelockert, die zugleich den Schwerpunkt des Abschnitts herausstellen sollen. Sinn und Zweck ist es, dem Leser den Einstieg in die Abhandlung zu erleichtern, vor allen Dingen dann, wenn er nur bestimmte Themen ergründen und nachschlagen möchte.
Dort, wo Martin Luther Bibelstellen zitiert, hatte bereits die Ausgabe von 1833 in Klammern Versangaben hinzugefügt. Wir haben darüber hinaus Luthers Stellenangabe mit einem Link in unsere Biblia 1545 versehen, was das schnelle Zugreifen auf den genannten Querverweis ermöglicht.
Luthers Abhandlung »Von der Ordnung des Gottesdienstes in den Gemeinden« von 1923 stellt wohl das früheste Gerüst einer Kirchenordnung der Reformationszeit dar.
Luther erklärt hier, dass er viele Heiligenfeste und die meisten Marienfeste in einem evangelischen Kirchenjahr, das sich am Wort, also an der Schrift, ausrichten möge, nicht sieht.
Neben den Sonntagen, die nun die Textlesung aus der Bibel und die Auslegung biblischer Perikopen (Predigt) in den Vordergrund rücken, bleiben nur wenige Gedenktage übrig.
Legenden, die sich um Heilige ranken, können für ihn nicht Gegenstand eines Gottesdienstes sein, der darin mündet, Heilige anzubeten, als gottgleich zu ehren, und sie beispielsweise als Nothelfer anzurufen. Im Evangelischen Kirchenkalender tauchen daher die zahlreichen Heiligenfeste der katholischen Kirche nicht mehr auf.
Erst später hat sich dann doch der Gedenktag der Heiligen (1.11.) wieder etabliert. Dies im Einklang mit der Confessio Augustana (Ausgburgischen Konfession), Artikel 21 (Vom Dienst der Heiligen): »Man soll der Heiligen gedenken, um dadurch seinen eigenen Glauben zu stärken. Es ist jedoch gegen die Schrift, sie neben Jesus Christus als Vermittler und Versöhner anzurufen, weil dadurch seine Versöhnungstat durch den Kreuzestod infrage gestellt werde (1Tim 2,5, Rom 8,34, 1Joh 2,1). «
Auch die Legenden, die sich um das Leben und Sterben der Apostel ranken, und in keiner biblischen Quelle belegt sind, hält Luther in diesem Text neben andren Dingen für »unchristliche Fabeln und Lügen«. Die große Ausnahme bildet der Apostel Paulus, dessen Leben – und vor allem: dessen Glauben! – biblisch breit dargestellt ist, so in der Apostelgeschichte. Aber auch seine vielen Briefe (soweit sie ihm zugeordnet wurden), belegen sein eifriges missionarisches Werk und seine Motivation, die allein aus Glauben entspringt.
Von den Marienfesten haben schließlich nur Mariä Lichtmess (Darstellung des Herrn, 2. Februar) und Mariä Verkündigung (Ankündigung des Herrn, 25. März) überlebt, allerdings unter neuen Gesichtspunkten: Im Vordergrund steht nicht die Marienverehrung, die die evangelische Kirche nicht kennt, sondern die heilsgeschichtliche Bedeutung der Person Jesu.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein kam das Kirchenjahr in den evangelischen Kirchen mit sehr wenigen Gedenktagen aus, wenn es auch regional unterschiedlich gehandhabt wurde (hier ließ Luther den Gemeinden weitgehend freie Hand). Erst die Reform von 1978/1979 brachte wieder die Apostelfeste und weitere Gedenktage mit eigenen Proprien zur Geltung, wenn auch viele Sonderregeln immer wieder darauf verweisen, dass sie den Sonntagsproprien meist unterlegen sind.
Eine starke Änderung, einerseits ökumenisch und andererseits gesellschaftspolitisch begründet, gab es mit der Reform 2018/2019: Mit der dortigen Einführung des Martinstags (11.11.) und des Nikolaustags (6.12.) entfernt sich das Kirchenordnung zunehmend von Luthers reformatorischen Ansätzen.
Ab dem Kirchenjahr 2018/2019 sind zusätzlich hinzugekommen: Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar), der Tag der Maria Magdalena (22. Juli) und der Tag der Enthauptung Johannes des Täufers (29. August).
Bemerkenswert bleibt: Noch nie in der Geschichte der Reformation und der evangelischen Kirchen gab es so viele Gedenktage wie in der neuen Ordnung, die ab 2018/2019 gilt. Von Luthers Ansatz, den Gottesdienst von allem zu befreien, was nicht den biblischen Quellen entspringt, umgesetzt in biblischer Textlesung und Auslegung der Schrift, entfernen wir uns von Reform zu Reform in immer größeren Schritten.
Wir erkennen selbstverständlich an, dass es dafür sicher gute Gründe gab, ausgiebig diskutiert und beleuchtet, begleitet von Praktikern und Wissenschaftlern. Und womöglich entspricht im weiteren Sinne ein Gedenken an Bischof Martin von Tours (Martinstag) oder Bischof Nikolaus von Myra (Nikolaustag) auch der Confessio Augustana, doch es bleibt bemerkenswert, dass Luther die Legenden, die zu diesen Gedenktagen geführt hatten, mehr als infrage stellt. Können sie wirklich gute Beispiele gelebten Glaubens sein? Aber ja: Ökumenisch durchgeführte Martinsumzüge und Nikolausfeiern stellten evangelische Prediger und Pfarrer stets vor große Herausforderungen.
Aber werden diese Herausforderungen hinreichend gemeistert, in dem diese Heiligenfeste in das evangelische Kirchenjahr adaptiert werden? Genügen den Pfarrern wirklich der Freibrief (offizieller Gedenktag) und die Handlungsanweisung (Proprium mit Textordnung für Lesung und Predigt), um die Hürden zu überwinden, die sich aus der Heiligenverehrung (nichtbiblischer Personen) und der »unchristlichen« Legenbildung ergeben? - Wir wagen, dies in Frage zu stellen, denn beides sind Schwerpunkte des katholischen Gedenkens.
Es ist stets gut, zu hinterfragen: Was ist eigentlich »Evangelisch«? Texte, wie Luthers »Von der Ordnung des Gottesdienstes in der Gemeinde« können noch heute bei der Klärung dieser Frage durchaus behilflich sein, wenn auch nicht verbindlich.