vorgelesen von Reiner Makohl
Jesus, der Reiche und die Gefahr des Reichtums
Der Text Mk 10,17-22 erzählt die Geschichte, in der Jesu über den Glauben spricht, der die Auferstehung in Aussicht stellt, und über die Nachfolge, die einen gewaltigen Bruch mit dem bisherigen Leben bedeutet.
Interessant ist die einleitende Anrede des reichen Mannes, der Jesus mit »guter Meister« anspricht. Jesus weist dies von sich, denn nur der »einige« Gott (nicht der »dreieinige«), also der »alleinige« Gott sei gut. Jesus sieht sich selbst in diesem Sinne nicht als »gut«. Er unterscheidet sich selbst von Gott. Er ist nicht Gott und sieht sich nicht als diesen.
Jesus erklärte einmal mehr, wie wichtig es ist, das mosaische Gesetz zu halten, zumindest in wesentlichen Kernteilen wie die Zehn Gebote, die eben nicht dem Gebot der Nächstenliebe widersprechen. Die neuen Lehren Jesu ändern diese Gesetze nicht, sondern interpretieren und gewichten sie neu. So ist das Doppelgebot der Liebe (»Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst.«) eine neue Form der zehn Gebote, die zwar knapper formuliert, dafür aber auch weit umfassender ist und so die komplette »Gesetzlichkeit« umfasst.
Im Nachgang zu dieser Geschichte (Verse 23-27) spricht Jesus darüber, wie sehr Reichtum wahren Glauben behindern kann.
Dabei benutzt Jesus das Bild eines Nadelöhrs von einer üblichen Nähnadel: »Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.« So liest man es in fast allen gegenwärtigen Bibelübersetzungen, doch was ist das für ein merkwürdiger Vergleich?
Die neuere Forschung übernimmt diesen Text nicht mehr ungeteilt. Es könnte sich beim griechischen Wort für Kamel, κάμηλος (kámêlos; dt.: „Kamel“, „Karawane“), in den späten Quellen um einen Übertragungsfehler beim Abschreiben oder beim Schreiben nach Diktat handeln. Das griechische Wort für »Seil« bzw. »(Schiffs-)Tau« unterscheidet sich in nur einem Vokal, der auch noch phonetisch recht ähnlich klingt: »i« statt »e«: κάμιλος (kamilos). Etliche sehr alte Quellen der neutestamentlichen Texte benutzen diese Form, schreiben also (übersetzt): »Es ist leichter, dass ein Seil durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.«
So macht das Gleichnis auch wirklich begreifbaren Sinn, möchte man Jesus nicht als sarkastischen Comedian betrachten. Das Bild war jedem einleuchtend, der je versucht hatte, durch das Öhr einer Nadel einen Faden zu fädeln, der auch nur einen Tick zu dick war.
Diese Gleichnisse zeigen immer wieder auf, welchen großen Wert Jesus dem gegenwärtigen Dasein beimaß. Das Leid der Armen bedrückte ihn offensichtlich sehr. Sie auf das jüngste Gericht zu vertrösten, war durchaus wichtiger Balsam für die Seele. Doch den physischen »Trost« in der realen Gegenwart, die Linderung der Armut, konnten nur Menschen geben, die reich genug waren, um von ihrem Reichtum abgeben zu können.
Der abschließende Satz Jesu in dieser Perikope erklärt eindeutig, dass niemand das Recht oder Kompetenz besitze, reichen Menschen das Himmelreich zuzusagen. Dies ist allein Sache Gottes. Der Platz im Reich Gottes kann nicht gekauft werden.
Dies ist ein Grund, warum in den vergangenen Jahrhunderten reiche Menschen nicht selten als Mäzen, Förderer und Spender in Gemeinden und Bistümern auftraten. Im Gegenzug erhielten sie neben Ablaß sogar Altäre, kleine Kapellen und Grüfte in Kirchen oder bevorzugte Grabstätten auf dem Kirchhof. Gott ein Stück näher sein, gerade als reiche Person. Jesus ein Schnippchen schlagen wollen. Doch nicht Geld zählt, sondern Glaube, das Halten der Gebote und das Annehmen des eigenen Kreuzes – was immer das auch umfassen mag.
Der abschließende Satz in Vers 21 lautet: »Und nimm das Kreuz auf dich.« Dieses kleine Stück Text ist sehr bemerkenswert und verdient Aufmerksamkeit. Denn es öffnet ein wenig den Blick auf die Entstehung der Evangelien.
Dieser Satz kann nur nach der Kreuzigung Jesu formuliert worden sein. Sowohl dem Schreiber wie auch den Lesern und Hörern war die Kreuzigung Jesu bekannt. Diese Formulierung ist keine Redensart, kein Spruch, der zur Zeit Jesu in Palästina geläufig gewesen wäre. Er wurzelt im Bericht über Jesu Weg aus der römischen Kaserne in Jerusalem nach Golgata. Jesus hätte das verhindern können, doch er nehm sein Kreuz auf sich. Jesus hat den Satz mit Sicherheit nie gesprochen.
Womöglich ist der Spruch auch unter den schmerzenden Eindrücken der frühen Christenverfolgungen entstanden. Er besagt, man solle die Konsequenzen tragen, die sich aus der Nachfolge, aus dem Christsein ergeben. Und genau die bedeuteten in den Zeiten der Verfolgungen Gefahr für Leib und Leben.
Wenn nun aber der Autor an dieser Stelle nicht die wahre Begebenheit erzählt hat, sondern mit bestimmten Absichten und Zielen, dann ist dies auch im restlichen Text, ja im gesamten Markusevangelium wie allen anderen Evangelien zu erwarten.
Wir dürfen daher nicht einmal dort, wo Jesus in den Evangelien spricht, davon ausgehen, dass dies echte Jesus-Worte sind. In jedem Fall sind es keine wörtlichen Zitate, denn die Zeit zwischen Jesu Wirken und der Niederschrift dieser Texte betrug viele Jahre. Eine weite Spanne, voll von Vergessen und Ausschmückung, voll von Erinnerung und persönlichen Eindrücken. Manche Autoren geben nur Hörensagen wieder. Sie waren keine Augen- und Ohrenzeugen. Die späteren Abschriften erlitten nicht selten versehentliche Fehler, aber auch absichtliche und willkürliche Änderungen aus theologischen Gründen.
Das klingt ernüchternd. Ist deshalb Gottes Wort etwa nicht wahr? Nein. Aber wir müssen uns aber mühen, aus den Texten Gottes wahres Wort zu extrahieren. Es steht nicht einfach so da. Die Perikope vom reichen Mann belegt: Was da steht, ist das Wort von Menschen, die aus ihrem Glauben heraus, aus ihrem Verständnis und aus ihrer Lebensrealität versuchten, Gottes Wort zu verstehen und zu verkünden für ihre Leser, für ihre Zeit.
Perikope | Typ | Tag |
---|---|---|
1531 - 1898 | ||
Keine Verwendung an Sonntagen, Feiertagen und Gedenktagen | ||
1899 - 1978 | ||
Mk 10,17-27 | 2. Evangelium | |
Lutherische Kirchen 1958-1978 | ||
Keine Verwendung an Sonntagen, Feiertagen und Gedenktagen | ||
1979 - 2018 | ||
Mk 10,17-27 | Reihe III | |
seit 2019 | ||
Mk 10,17-27 | Evangelium + |
Frakturschrift ist nicht leicht zu lesen. Die Videos zeigen ausgewählte Texte aus der Lutherbibel von 1545, vorgelesen von Reiner Makohl.
Die Lutherbibel von 1545 ist mit ihrem Frakturzeichensatz nicht leicht zu lesen. Wir bieten Videos, in denen ausgewählte Perikopen aus den Sonn- und Feiertagsreihen vorgelesen werden.
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©2024 by Reiner D. Makohl | www.stilkunst.de
Bibeltexte: Dr. Martin Luther, Biblia, Wittenberg 1545
Zeichensätze der Frakturschriften, Typografie & Layout,
Video: Reiner D. Makohl
Sprecher: Reiner D. Makohl
Musik: ©Bluevalley, J.S.Bach, Präludium in C-Dur, Gitarre