Die Namen der Sonntage

Septuagesimä, Sexagesimä, Quinquagesimä und Quadragesimä

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Begriffserklärungen

Die Bedeutung der Sonntagsnamen

 

Septuagesimä, Sexagesimä, Quinquagesimä und Quadragesimä

 

 

Grafik: Die Namen der Sonntage Sep­tua­ge­si­mä, Se­xa­ge­si­mä, Quin­qua­ge­si­mä und Qua­dra­ge­si­mä.

Bis heute sind in der Vor­pas­si­ons­zeit und in der Pas­si­ons­zeit die al­ten la­tei­ni­schen Na­men der Sonn­ta­ge ge­bräuch­lich. Das was be­deu­ten Sie?

©by Reiner Makohl | lizenziert für www.stilkunst.de

 

 

Einleitung

In den Kalendern tauchen in der Zeit nach Epi­pha­ni­as die la­tei­ni­schen Sonn­tags­na­men Sep­tu­a­ge­si­mä, Se­xa­ge­si­mä, Quin­qua­ge­si­mä und Qua­dra­ge­si­mä auf. Was be­deu­ten die­se Na­men?

Seit dem Mittelalter gibt es dazu recht un­ter­schied­li­che Er­klä­run­gen, von de­nen man­che doch sehr weit vom Ur­sprung der Na­mens­ge­bung ent­fernt schei­nen. Auch in den mo­der­nen In­ter­pre­ta­ti­o­nen tau­chen Er­klä­run­gen auf, die durch­aus selbst ih­re Un­stim­mig­kei­ten er­ken­nen, aber be­müht sind, sie mit re­li­gi­ö­sen Be­grün­dun­gen zu glät­ten. So wer­den bei­spiels­wei­se rech­ne­ri­sche Ab­wei­chun­gen ger­ne mit ab­sicht­li­chen Run­dun­gen er­klärt, was sicher kaum halt­bar ist.

Viele Inter­pre­ta­ti­o­nen der Na­men be­frie­di­gen nicht. Es wird oft über­se­hen, dass es letzt­end­lich um Na­men in ei­nem Ka­len­der geht, al­so dort, wo Zah­len ins Spiel kom­men, um Ka­len­der­arith­me­tik im Zu­sam­men­hang mit der chro­no­lo­gi­schen Ab­bil­dung der bib­li­schen Er­eig­nis­se vom Fas­ten, Lei­den, Ster­ben und Auf­er­ste­hen Je­su im Ka­len­der­jahr.

Für uns ist es heu­te schwie­rig, la­tei­ni­sche Na­men nach­zu­voll­zie­hen, wo wir doch im kirch­li­chen Um­feld fast kei­ne la­tei­ni­schen Aus­drü­cke, For­meln, Be­kennt­nis­se oder Glau­bens­sät­ze mehr nut­zen. Ein Sonn­tags­na­me wie Sep­tu­a­ge­si­mä dürf­te heu­te auch prak­ti­zie­ren­den Chris­ten kaum et­was sa­gen. Die Na­men schei­nen auf for­mel­le Be­zeich­nun­gen re­du­ziert, ähn­lich den Zah­len, die da­zu die­nen, Ta­ge im Mo­nat zu kenn­zeich­nen. Es sind oft nur noch »La­bels«, Auf­kle­ber oh­ne in­halt­li­che Be­deu­tung.

Heute heißen diese Sonn­ta­ge da­her recht schlicht »3. Sonn­tag vor der Pas­si­ons­zeit«, »2. Sonn­tag vor der Pas­si­ons­zeit«, »Sonn­tag vor der Pas­si­ons­zeit« und »1. Sonn­tag der Pas­si­ons­zeit«, wenn auch die al­ten Be­zeich­nungen nach wie vor gel­ten, hier und da in Ge­brauch sind und in Le­se­ord­nun­gen und kirch­li­chen Ka­len­dern ab­ge­druckt wer­den.

 

A. Der Ursprung der Namensgebung

Die Namensgebung wurzelt in ei­ner ge­wis­sen the­o­lo­gisch-re­li­gi­ö­sen Nu­me­ro­lo­gie: Zah­len be­kom­men Be­deu­tung, ins­be­son­de­re im ri­tu­el­len und heils­ge­schicht­li­chen Sinn. Doch wel­chen Sinn ha­ben die Zah­len 70, 60, 50 und 40, die sich in den la­tei­ni­schen Na­men die­ser Sonn­ta­ge ver­ber­gen?

Diese Zahlen beschreiben ganz schlicht Zeit­span­nen, also 70 Tage, 60 Tage, 50 Tage und 40 Tage, die je­weils ab dem be­stimm­ten Sonn­tag zäh­len.

Die Sonntage stellen für die je­wei­li­ge li­tur­gi­sche Zeit­span­ne den Be­ginn, ei­ne öff­nen­de Klam­mer dar, die End­punk­te schlie­ßen die Klam­mer und so die Zeit­span­ne ab.

Um den jeweils letzten Tag zu er­mit­teln, der die Zeit­span­ne im Ka­len­der ab­schließt, ge­nügt es, ab dem je­wei­li­gen Sonn­tag die ge­nann­te Zahl an Ta­gen ab­zu­zäh­len. [→1] Das Ergebnis ist je­weils ein wich­ti­ger li­tur­gi­scher und zu­gleich heils­ge­schicht­lich be­deut­sa­mer Tag im Ka­len­der.

 

B. Die Zeit von Gründonnerstag bis zum Ende der Osterwoche

Die Zeit zwi­schen den Sonn­ta­gen Sep­tu­a­ge­si­mä und Qua­dra­ge­si­mä spie­gelt mit ih­ren Sonn­tags­na­men die ge­sam­te Zeit­span­ne zwi­schen → Grün­don­ners­tag und → Qua­si­mo­do­ge­ni­ti und rich­tet so den Blick auf das → Tri­du­um Sacrum, das Tri­du­um Pa­scha­le und die Os­ter­ok­tav.

 

C. Die Sonntage und ihre Namen

 

1. Septuagesimä

Der Sonntag Sep­tu­a­ge­si­mä (lat.: sep­tua­ge­si­ma: Sieb­zigs­ter) ist - so­fern im Ka­len­der vor­han­den! [→2] - der drit­te Sonn­tag vor der Pas­si­ons­zeit.

Der Name bedeutet: der sieb­zigs­te [Tag]. Der Sonn­tag liegt 63 Ta­ge vor Os­tern. Er zeigt nicht auf Os­ter­sonn­tag, son­dern auf das En­de der Os­ter­wo­che, auf den Tag vor dem Sonn­tag → Qua­si­mo­do­ge­ni­ti, den sieb­zig­sten Tag ab Sep­tu­a­ge­si­mä.

Die mittelalterliche Be­zeich­nung »Do­mi­ni­ca sep­tu­a­ge­si­me« ist ein fes­ter Na­me für die­sen Sonn­tag. Über­setzt wür­de er et­wa lau­ten: »Sonn­tag, wel­cher der 70. [Tag vor Qua­si­mo­do­ge­ni­ti] ist«.

Der Name bezeichnet somit die sieb­zig­tä­gi­ge Zeit zwi­schen dem Sams­tag vor Sep­tu­a­ge­si­mä, an dem letzt­mals vor Os­tern das drei­fa­che Hal­le­lu­ja im Got­tes­dienst ge­sun­gen wer­den durf­te, und dem Sonn­tag Qua­si­mo­do­ge­ni­ti, an dem es erst­mals nach Os­tern wie­der sein Platz im Got­tes­dienst hatte.

 

1.1. Die Bedeutung als Fastenzeit

Heute kennen wir als vor­ös­ter­li­che Fas­ten­zeit die Zeit von Ascher­mitt­woch bis Kar­sams­tag. Das war in der Kir­chen­ge­schich­te kei­nes­wegs im­mer so.

In der alten Kirche gab es eine Zeit [→3], in der die Fas­ten­zeit mit dem Sonn­tag Sep­tu­a­ge­si­mä be­gann. Dies be­grün­de­te sich so:

Wegen der Verehrung des Him­mel­fahrts­ta­ges, im­mer ein Don­ners­tag, wur­de der fünf­te Wo­chen­tag, al­so der Don­ners­tag, fei­er­lich be­gan­gen. An die­sem Tag wur­de wie an Sonn­ta­gen (Ver­eh­rung des Auf­er­ste­hungs­ta­ges) in Fas­ten­zei­ten nicht ge­fas­tet. [→4]

In die­ser Fas­ten­zeit wa­ren al­so Sonn­ta­ge und Don­ners­ta­ge nicht zu zäh­len. Ei­ne Fas­ten­wo­che um­fass­te fünf Fas­ten­ta­ge.

Anders als in späteren Zei­ten en­de­te die Fas­ten­zeit am Sams­tag vor Palm­sonn­tag, nicht am Kar­sams­tag. Mit dem Palm­sonn­tag be­gann die hei­li­ge Wo­che, die dann als ge­son­der­ter Ab­schnitt mit wei­te­ren Fas­ten­ta­gen als Trau­er­fas­ten und Os­ter­fas­ten ge­rech­net wur­de.

Werden nun rück­wärts nach die­ser Re­gel ab dem Sams­tag vor Palm­sonn­tag, dem letz­ten Fas­ten­tag, 40 Tage ge­zählt, oh­ne Sonn­ta­ge und oh­ne Don­ners­ta­ge zu zäh­len (das sind ge­nau acht Wo­chen), be­ginnt das Fas­ten am Mon­tag nach Sep­tu­a­ge­si­mä. Die 40-tä­gi­ge Fas­ten­zeit wird ein­ge­schlos­sen durch die Sonn­ta­ge Sep­tu­a­ge­si­mä und Pal­ma­rum.

Jacobus de Voragine schreibt in seiner Le­gen­da Au­rea nach der Er­klä­rung, dass an Don­ners­ta­gen nicht ge­fas­tet wur­de: »Zum Aus­gleich füg­ten die hei­li­gen Vä­ter ei­ne Wo­che zur Fas­ten­zeit hin­zu und nann­ten sie Sep­tua­ge­si­ma.« [→4].

Doch die­se Er­klärung ist nicht hin­rei­chend. Der Na­me Sep­tua­ge­si­mä ist si­cher nicht aus der 40-tägigen Fas­ten­zeit ab­zu­lei­ten.

 

Anmerkungen:

 

 
Dass es in der Woche nach Septuagesimä ir­gend­wann im Lau­fe der Ge­schich­te Fas­ten­ta­ge gab, ist si­cher rich­tig. So wa­ren der Mitt­woch und der Frei­tag so­wie­so ver­pflich­ten­de Fas­ten­ta­ge in fast al­len Wo­chen des Jah­res, auch in je­ner Wo­che.

Und → Erwin Mühlhaupt (Bd. 2, S.155) weist darauf hin, dass sich Lu­thers Be­zeich­nun­gen »Gold­fas­ten oder Not­fas­ten« bzw. »Gold­fas­ten oder Fron­fas­ten« (Lu­thers Wo­chen­pre­dig­ten 1530/1532, zu Mt 6,16-18, → WA 32,428-436) auf die Qua­tem­ber­ta­ge des Jah­res be­zie­hen, wo­bei er das ers­te Qua­tem­ber­fas­ten am Mitt­woch, Frei­tag und Sams­tag nach Sep­tu­a­ge­si­mä im Ka­len­der ver­or­tet. Dies scheint nicht haltbar zu sein.

Das Fronfasten meint das »Qua­tem­ber­fas­ten« (ver­kürzt aus lat.: Quat­tu­or tem­po­rum, vier [Jah­res-] Zei­ten). Es wur­de Mitt­wochs, Frei­tags und Sams­tags zum Be­ginn der vier Jah­res­zei­ten be­gan­gen.

Siehe → Legenda Aurea Seite 503ff., Ar­ti­kel Qua­tem­ber­fas­ten. »Das erste der­ar­ti­ge Fas­ten fin­det im März statt, d. h. in der ers­ten Fas­ten­wo­che,...«. (S. 503 10)

In den An­mer­kun­gen da­zu ist zu le­sen (S. 502), dass die Sy­no­de von 1078 un­ter Papst Gre­gor VII. (1073–1085) die Ter­mi­ne für das Qua­tem­ber­fas­ten fest­ge­legt hat­te. Dann kann seit je­ner Zeit das Qua­tem­ber­fas­ten im Früh­ling nicht in der Wo­che nach Sep­tu­a­ge­si­mä ge­le­gen ha­ben. Sep­tu­a­ge­si­mä liegt zwi­schen dem 18. Ja­nu­ar und dem 21. Fe­bru­ar ei­nes Jah­res, jedoch nie im März.

Das macht ei­ne Er­klä­rung der Sep­tu­a­ge­si­mä-Wo­che als Fas­ten­wo­che noch schwie­ri­ger. Lu­thers Gold- oder Fron­fas­ten (Qua­tem­ber­fas­ten) wäre da­mals Teil des Qua­dra­ge­si­ma ma­jor, der gro­ßen, vier­zig­tä­gi­gen Fas­ten­zeit vor Os­tern gewesen.

 

 

1.2. Die Bedeutung in der mittelalterlichen Taufpraxis

Die Zeitspanne Sep­tua­ge­si­ma, vom Sonn­tag Sep­tu­a­ge­si­mä bis zum Sams­tag vor dem »Wei­ßen Sonn­tag« (lat.: Do­mi­ni­ca Al­ba, das ist der Sonn­tag Qua­si­mo­do­ge­ni­ti, der Sonn­tag nach Os­tern), war eine Zeit der Vor­be­rei­tung für die christ­li­che Tau­fe und die Ein­füh­rung der Täuf­lin­ge (Ka­te­chu­me­nen) in die Ge­mein­de.

In der frühen Kirche wurden Tau­fen fast aus­schließ­lich in der Oster­nacht voll­zo­gen. Da­bei ging es um die Tau­fe er­wach­se­ner Men­schen. Die neu­ge­tauf­ten Chris­ten tru­gen wäh­rend der ge­sam­ten Os­ter­wo­che (das ist die Wo­che nach Os­tern) wei­ße Ge­wän­der, um ihre neue Rein­heit und Zu­ge­hö­ri­gkeit zu Chris­tus zu sym­bo­li­sie­ren.

Der Samstag vor dem »Wei­ßen Sonn­tag« war der letz­te Tag die­ser Vor­be­rei­tungs­zeit und der Ein­füh­rung der Neu­ge­tauf­ten in die christ­li­che Ge­mein­de.

Am »Weißen Sonntag« legten die Neu­ge­tauf­ten ihre wei­ßen Ge­wän­der ab und wa­ren von die­sem Tag an Teil der christ­li­chen Ge­mein­schaft.

Heute lässt sich die Ge­gen­wart des alt­kirch­li­chen Na­mens Sep­tu­a­ge­si­mä für die­sen Sonn­tag im Ka­len­der nicht mehr mit der Tauf­pra­xis be­grün­den. Die kirch­li­che Pra­xis der Tau­fe und der Vor­be­rei­tung für die Ein­füh­rung in die Chris­ten­ge­mein­de hat sich mit der nun üb­li­chen Kinds­tau­fe kom­plett ge­än­dert.

 

1.3. Die Bedeutung als Versinnbildlichung

Bereits im Mittelalter kam die nu­me­ro­lo­gisch be­grün­de­te Er­klä­rung auf, die Zeit­span­ne Sep­tua­ge­si­ma stel­le die 70 Jah­re dar, in de­nen die Kin­der Is­ra­els in der Ba­by­lo­ni­schen Ge­fan­gen­schaft wa­ren. [→5]

In dieser Zeit wurde auf Lob­ge­sän­ge ver­zich­tet (gemäß → Psalm 137,4: »Wie sol­len wir den Lob­ge­sang des Herrn sin­gen im frem­den Land?«).

Bis Karsamstag wurde daher in den Mes­sen kein »Hal­le­lu­ja« mehr ge­sun­gen. [→6]

Am Karsamstag durfte ein ein­fa­ches Hal­le­lu­ja ge­sun­gen wer­den, was die Freu­de über die im 60. Jahr vom ba­by­lo­ni­schen Kö­nig er­teil­te Er­laub­nis zur Rück­kehr der De­por­tier­ten nach Je­ru­sa­lem ver­sinn­bild­li­chen soll­te. [→7]

Am Samstag vor Quasimodogeniti durf­te ein dop­pel­tes Hal­le­lu­ja ge­sun­gen wer­den, was die Freu­de der Rück­keh­ren­den auf ih­rem Weg nach Je­ru­sa­lem ver­sinn­bild­li­chen soll­te. [→8]

Doch erst am Sonntag Qua­si­mo­do­ge­ni­ti er­klang wie­der das drei­fa­che »Hal­le­lu­ja, Hal­le­lu­ja, Hal­le­lu­ja« in den Kir­chen. [→9] Die 70-tä­gi­ge Zeit­span­ne, wel­che die 70-jäh­ri­ge Ver­ir­rung in der Ver­ban­nung sym­bo­li­siert, war vor­über.

Bis heute wird der Zeit­span­ne Sep­tua­ge­si­ma die­se Be­deu­tung zu­ge­mes­sen, um den Sonn­tags­na­men zu er­klä­ren. Ob­wohl die kirch­li­che Pra­xis das kaum stützt: Das drei­fa­che Hal­le­lu­ja wird längst in der Os­ter­wo­che vor Qua­si­mo­do­ge­ni­ti ge­sun­gen. [→10]

Die Osterwoche the­ma­ti­siert die Rück­kehr der Ju­den aus der Ba­by­lo­ni­schen Ge­fan­gen­schaft nicht.

 

 

 

2. Sexagesimä

Der Sonntag Se­xa­ge­si­mä (lat. sexagesima: sech­zig) ist der zwei­te Sonn­tag vor der Pas­sions­zeit.

Der Name bedeutet: [die Zeit] der sech­zig [Ta­ge]. Er liegt 56 Ta­ge vor Os­tern. Er zeigt nicht auf Os­ter­sonn­tag, son­dern auf die Mit­te der Os­ter­wo­che, auf den Mitt­woch nach Os­ter­sonn­tag, den sech­zig­sten Tag ab Se­xa­ge­si­mä.

Der Name nennt die Zahl der Tage ab diesem Sonn­tag bis zum Ende des (mit­tel­al­ter­li­chen) → Tri­du­um Pa­scha­le  bzw. bis zum letzten der vier heiligen Tage, Ostersonntag bis Mittwoch der Osterwoche, die im Mittelalter eine besondere Verehrung erfuhren. [→11]

Die mittelalterliche Be­zeich­nung »Do­mi­ni­ca se­xa­ge­si­me« ist ein fes­ter Na­me für die­sen Sonn­tag. Über­setzt wür­de er et­wa lau­ten: »Sonn­tag, wel­cher der 60. [Tag vor dem Ende heiligen vier Tage] ist«.

Schon im Mittelalter tat man sich schwer, den Namen des Sonntags Se­xa­ge­si­mä zu erklären. Erklärungen verweisen auf Fastenzeiten, auf biblische Zahlensymbolik und auf eschatologisches Heilsgeschehen.

 

2.1. Die Bedeutung als Fastenwoche

Einst sollen Papst Militades (Melchiades; Papst von 311 bis 314) und vom heiligen Silvester (Papst von 314 bis 335) verfügt haben, dass an Samstagen zweimal zu essen sei, um die Gefahr von Mangelernährung durch das Freitagsfasten zu vermeiden. [→12]

Da diese Regel auch in der großen, vorösterlichen Fastenzeit (der Quadragesima major) galt, wurde an Sonntagen und folglich auch an Samstagen nicht gefastet.

Nun entfielen dadurch sechs Fastentage in den Fastenwochen. Die Päpste sollen daher zugleich verfügt haben, dass die Fastenzeit eine Woche früher beginne. Gefastet wurde nun vom Sonntag Se­xa­ge­si­mä bis zum Karsamstag, faktisch vom Montag nach Sexagesima bis Karfreitag, weil an Sonntagen und Samstagen nach päpstlicher Verfügung nicht gefastet wurde. So ergeben sich genau 40 Fastentage im Kalender.

Doch diese Darstellung genügt nicht, um den Namen Se­xa­ge­si­mä für diesen Sonntag zu erklären. Es würde nur erklären, dass der 40-tägigen Fastenzeit (die Quadragesima) nun am Tag nach Se­xa­ge­si­mä begann.

 

2.2. Die Bedeutung aus Zahlensymbolik heraus

Jacobus de Voragine schreibt in seiner Legenda Aurea: Sexagesima heißt sechs mal zehn: »Unter 6 sollen wir die sechs Werke der Barmherzigkeit, unter 10 die zehn Gebote verstehen.« [→13]

Die sechs Werke der Barmherzigkeit sind in Mt 25,31-46 genannt: 1. Hunger stillen, 2. Durst stillen, 3. Fremde beherbergen, 4. Nackte bekleiden, 5. Kranke besuchen und 6. Gefangene besuchen.

Jedes dieser sechs Werke begründet sich in den zehn Geboten und wird aus ihnen heraus vollbracht. 6 x 10 = 60.

Theologisch wurde jene Zeit als eine Zeit der Verwitwung der Kirche gesehen, denn der Bräutigam war entrückt (Himmelfahrt). Zurück blieben zum Trost zwei Flügel, die kirchliches Handeln tragen können: die sechs Werke der Barmherzigkeit und die zehn Gebote.

Auch diese Erläuterungen erklären den Namen Se­xa­ge­si­mä nicht hinreichend. Weder am Sonntag Se­xa­ge­si­mä noch in folgenden Wochen geht es um die Verwitwung der Kirche durch die Entrückung des Bräutigams.

Den einzigen schwachen Hinweis bietet der Introitus zu diesem Tag: »Exsurge, quare obdormis, Domine« (»Wach auf! Warum schläfst du, Herr?«, → Psalm 44,24).

Doch dieser Introitus steht in Folge des Introitus zum vorhergehenden Sonntag Sep­tu­a­ge­si­mä: »Circumdederunt me« (»Es umringten mich«, → Psalm 18,5). Die dort bedrängte Kirche ruft nun den Herrn, aufzustehen und nicht zu schlafen, damit er sie errette. Dies hat nichts mit Entrückung, Himmelfahrt und Verwitwung der Kirche zu tun.

 

2.3. Die Bedeutung aus dem Geheimnis der Erlösung

Jacobus de Voragine schreibt in seiner Legenda Aurea: »Unter 10 ist der Mensch zu verstehen. [...] Unter der Zahl 6 versteht man die sechs Geheimnisse, durch die der Mensch, das zehnte Wesen, erlöst wurde: Fleischwerdung, Geburt, Passion, Höllenfahrt, Auferstehung, Himmelfahrt.« [→14]

Weiter schreibt er: »So dehnt sich Sexagesima bis zum 4. Wochentag (Mittwoch) nach Ostern aus, an dem man Venite benedict patris mei („Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters,“ → Mt 25,34) singt, denn die sich in den Werken der Barmherzigkeit üben, werden hören „Kommt, ihr Gesegneten“, wie Christus selbst bezeugt, denn dann wird man der Braut die Tür öffnen, und sie wird die Umarmung des Bräutigams genießen.«

Aber auch diese Erläuterungen erklären den Namen Se­xa­ge­si­mä inhaltlich nicht hinreichend.

Übrig bleibt eindeutig nur die Bedeutung von Sexagesima als 60-tägige Zeitspanne, wie es auch von Jacobus de Voragine mehrfach angeführt wurde. Der Sinn dahinter bleibt ebenso vieldeutig wie rätselhaft.

 

 

 

3. Quinquagesimä

Der Sonntag Quin­qua­ge­si­mä (lat. quinquagesima: fünfzig) ist der letz­te Sonn­tag vor der Pas­si­ons­zeit. Heu­te wird er fast nur noch un­ter den Na­men »Sonn­tag vor der Pas­si­ons­zeit« oder »Es­to­mi­hi« ge­führt. Doch seit dem Mit­tel­al­ter ist auch die la­tei­ni­sche Be­zeich­nung Quin­qua­ge­si­mä ge­bräuch­lich.

Der Name bedeutet: [die Zeit] der fünfzig [Tage]. Er liegt 49 Ta­ge vor Os­tern und zeigt tat­säch­lich auf Os­ter­sonn­tag, dem fünf­zig­sten Tag ab Quin­qua­ge­si­mä.

Der Name nennt die Zahl der Tage ab diesem Sonn­tag bis zum Ende des → Tri­du­um Sacrum und dem Be­ginn des (mit­tel­al­ter­li­chen) Tri­du­um Pa­scha­le. 

Die mittelalterliche Be­zeich­nung »Do­mi­ni­ca quin­qua­ge­si­me« ist ein fes­ter Na­me für die­sen Sonn­tag. Über­setzt wür­de er et­wa lau­ten: »Sonn­tag, wel­cher der 50. [Tag vor Ostersonntag] ist«.

 

3.1. Die Bedeutung als Fastenwoche

Auch Quinquagesima wurde mit einer zusätzlichen Fastenwoche im Kalender begründet.

So war klar, dass die Fastenzeit (Qua­dra­ge­si­ma) ab dem Sonn­tag Qua­dra­ge­si­mä nur 36 Tage um­fas­sen konn­te, wes­halb vier Ta­ge vor dem Sonn­tag Qua­dra­ge­si­mä zur Fas­ten­zeit ge­rech­net wur­den. Die Fas­ten­zeit be­gann am Ascher­mitt­woch. [→15]

Anders als das Volk fas­te­ten die Kle­ri­ker auch an den bei­den Ta­gen vor Ascher­mitt­woch. So wur­de schließ­lich ei­ne gan­ze Wo­che da­raus, die man Quin­qua­ge­si­ma nann­te. Das sei so be­reits von »Papst« Te­le­s­pho­rus (Bi­schof von Rom um 125 bis um 136) an­ge­ord­net wor­den.

Der Name Quin­qua­ge­si­ma lässt sich aus die­sen 6 Fas­ten­ta­gen vor dem Sonn­tag Qua­dra­ge­si­mä nicht er­klä­ren. Zwar sind es ab dem Sonn­tag Quin­qua­ge­si­mä 50 Ka­len­der­ta­ge bis Os­tern, doch sind es in­klu­si­ve der zu­sätz­li­chen zwei Fas­ten­ta­ge für die Kle­ri­ker nur 42 Fas­ten­ta­ge. Auch oh­ne die Ver­län­ge­rung der Fas­ten­zeit wä­ren es 50, al­so Quin­qua­ge­si­ma, Ka­len­der­ta­ge.

Es ist keine Ver­bin­dung zwi­schen dem Na­men des Sonn­tags und der Fas­ten­zeit er­kenn­bar.

 

3.2. Die Bedeutung des 50. Jahrs, des Erlassjahrs

Jacobus de Voragine schreibt in seiner Legenda Aurea: »Quin­qua­ge­si­ma be­deu­tet Zeit der Ver­ge­bung, d. h. Zeit der Bu­ße, nach der alles ver­ge­ben wird, denn das 50. Jahr war das Ju­bel­jahr, das Jahr der Ver­ge­bung, weil da Schul­den er­las­sen, die Skla­ven be­freit wur­den und al­le in ih­re Be­sit­zun­gen zu­rück­kehr­ten.« [→16]

Dies ist ein sehr wichtiges Thema, dem auch heute the­o­lo­gisch Be­deu­tung zu­fal­len soll­te. Doch es ist sehr si­cher nicht die Ur­sa­che für den Na­men des Sonn­tags Quin­qua­ge­si­mä.

 

3.3. Die Versinnbildlichung mittels Zahlensymbolik

Nach Jacobus de Voragine ist die Zahl 50 mehrfach von Be­deu­tung: »Denn im 50. Jahr wurden die Skla­ven frei, am 50. Tag nach dem Tag des Op­fer­lamms wur­de das Ge­setz er­las­sen, am 50. Tag nach Os­tern wur­de der hei­li­ge Geist ver­lie­hen, da­rum ver­sinn­bild­licht die Zahl 50 die Se­lig­keit, in der sich Er­lan­gung der Frei­heit, Er­kennt­nis der Wahr­heit und Voll­en­dung der Lie­be ein­stel­len wer­den.« [→17]

Nach dem sorgenvollen Schrei »Circumdederunt me« (»Es um­ring­ten mich«, → Psalm 18,5) vom Sonn­tag Sep­tu­a­ge­si­mä, und dem Hilferuf »Exsurge, quare obdormis, Domine« (»Wach auf! Warum schläfst du, Herr?«, → Psalm 44,24) vom Sonntag Se­xa­ge­si­mä folgt nun als In­tro­i­tus zu die­sem Sonn­tag kon­se­quen­ter­wei­se die Bitte »Esto mihi in deum protectorem« (»Sei mir ein schüt­zen­der Gott«, → Psalm 31,3).

Die wohl bedeutsamste Er­klä­rung liefert Jacobus de Voragine am Ende sei­nes Ka­pitels über Quin­qua­ge­si­ma: »Quin­qua­ge­si­ma en­det [...] an Os­tern, weil die Bu­ße uns zu ei­nem neu­en Le­ben auf­er­ste­hen läßt.« [→18]

 

 

 

4. Quadragesimä

Der Sonntag Qua­dra­ge­si­mä (lat. qua­dra­ge­si­ma: vier­zig) ge­hört be­reits zur Pas­si­ons­zeit und wird heu­te fast nur noch un­ter den Na­men »Ers­ter Sonn­tag der Pas­si­ons­zeit« oder »In­vo­ka­vit« ge­führt. Doch seit dem Mit­tel­al­ter ist auch die Be­zeich­nung Qua­dra­ge­si­mä ge­bräuch­lich.

Der Name bedeutet: [die Zeit] der vier­zig [Ta­ge]. Er nennt da­mit die Zahl der Ta­ge ab die­sem Sonn­tag bis Grün­don­ner­stag, bis zum Be­ginn des (mit­tel­al­ter­li­chen) Tri­du­um Sac­rum und der Pas­si­on Chris­ti.

Die mittelalterliche Be­zeich­nung »Do­mi­ni­ca qua­dra­ge­si­me« ist ein fes­ter Na­me für die­sen Sonn­tag. Über­setzt wür­de er et­wa lau­ten: »Sonn­tag, wel­cher der 40. [Tag vor dem Be­ginn der Pas­si­on Chris­ti] ist«.

Der doppeldeutige Name

Obwohl der Sonntag Qua­dra­ge­si­mä (In­vo­ka­vit) der ers­te Sonn­tag in der Fas­ten­zeit ist, hat der Na­me pri­mär nichts mit der vier­zig­tä­gi­gen Fas­ten­zeit zu tun. [→19]

Vom Namen des Sonn­tags zu un­ter­schei­den ist die na­mens­glei­che »Qua­dra­ge­si­ma«, die 40 Ta­ge um­fas­sen­de Fas­ten­zeit.

Heute wird jedoch der Name fast aus­schließ­lich mit der Fas­ten­zeit be­grün­det, ob­wohl al­le Er­klä­run­gen im­mer er­läu­tern müs­sen, wa­rum die 40-tä­gi­ge Fas­ten­zeit gar nicht an die­sem Sonn­tag be­ginnt.

Teilweise führt das zu pa­ra­do­xen Er­klä­run­gen. So schreibt Ja­co­bus de Voragine in der Le­gen­da Au­rea zu­nächst: »Qua­dra­ge­si­ma, die Fas­ten­zeit, be­ginnt am Sonn­tag, an dem man In­vo­ca­vit me (Er rief mich an [...]) singt«, [→20] was ein­deu­tig falsch ist.

Jacobus de Voragine kor­ri­giert das auch kurz da­rauf, in dem er aus­führt, dass Qua­dra­ge­si­ma 42 Ta­ge um­fas­se, und oh­ne Sonn­ta­ge nur 36 Fas­ten­ta­ge blie­ben, wes­halb die vier Ta­ge vor dem Sonn­tag, an dem man In­vo­ca­vit me singt, zur Fas­ten­zeit hin­zu­zu­rech­nen sei­en. Man be­ach­te, wie er be­müht ist, zu ver­mei­den das Wort Qua­dra­ge­si­ma in der Be­deu­tung 40-tä­gi­ge Fas­ten­zeit als Sonn­tags­na­men zu ver­wen­den.

Tatsächlich wurde der Sonn­tag auch als »Do­mi­ni­ca pri­ma Qua­dra­ge­si­me« be­zeich­net (»ers­ter Sonn­tag in der Fas­ten­zeit«), was ihn zwar als Sonn­tag der Fas­ten­zeit aus­zeich­ne­te, aber kaum sein ei­gent­li­cher Na­me war. Die fol­gen­den Sonn­ta­ge (Re­mi­nis­ze­re, Oku­li, etc.) wur­den ent­spre­chend »Do­mi­ni­ca se­cun­da Qua­dra­ge­si­me« (zwei­ter Sonn­tag der Fas­ten­zeit), »Do­mi­ni­ca ter­tia Qua­dra­ge­si­me« usw. ge­nannt.

Was folgt nun daraus?

Einmal haben wir mit Qua­dra­ge­si­mä (Do­mi­ni­ca Qua­dra­ge­si­mä) den Na­men ei­nes Sonn­tags, der ei­ne 40-tä­gi­ge Zeit­span­ne ein­lei­tet, die de­fi­ni­tiv an die­sem Sonn­tag be­ginnt, ent­spre­chend den Zeit­span­nen Quin­qua­ge­si­ma, Se­xa­ge­si­ma und Sep­tu­a­ge­si­ma. Die Zeit­span­ne en­det am Grün­don­ners­tag.

Dann haben wir mit Qua­dra­ge­si­mä ei­nen ver­kürz­ten Na­men, der in der vol­len Schreib­wei­se Do­mi­ni­ca pri­ma Qua­dra­ge­si­mä hei­ßen müss­te, ers­ter Sonn­tag in der 40-tä­gi­gen Fas­ten­zeit. Die Fas­ten­zeit be­ginnt am Ascher­mitt­woch (»Qua­dra­ge­si­ma in­trans«, »Start der Fas­ten­zeit«) und en­det am Kar­sams­tag (»Sab­ba­tum pa­scha­le«, Sams­tag vor Os­tern), wo­bei bei der Zäh­lung der Ta­ge die Sonn­ta­ge nicht mit­ge­zählt wer­den.

 

 

D. Zusammenfassung der Ergebnisse

1. Die Gegenwart fehlerhafter Erklärungen

Die Sonntagsnamen Sep­tu­a­ge­si­mä, Se­xa­ge­si­mä, Quin­qua­ge­si­mä und Qua­dra­ge­si­mä sind nur schwer­lich er­klär­bar.

Viele alte Erklärungen, wie sie sich in der Le­gen­da Au­rea fin­den, wir­ken auf­ge­setzt und nach­träg­lich kon­stru­iert, weil die Fra­gen nach dem Sinn der Zah­len­wer­te sich immer stell­ten und nach li­tur­gi­schen Ant­wor­ten dräng­ten. Sie ver­de­cken aller­dings nicht zuletzt durch die Au­to­ri­tät ih­rer Au­to­ren letzt­end­lich den wah­ren Sinn, der sich hin­ter den Na­men ver­birgt.

Alle Erklärungen, die von »Rundungen« oder »symbolischen Zah­len­wer­ten« aus­ge­hen, sind halt­los, weil simp­les Ab­zäh­len von Ta­gen im Ka­len­der sehr schnell nach­weist, dass es für be­stimm­te Er­klä­rungs­an­sä­tze mit den run­den Zah­len 70, 60, 50 oder 40 gar nicht klappt. [→21]

Es gibt außer Mutmaßungen weder logische noch ver­nünf­ti­ge Grün­de, sol­che Ab­wei­chun­gen in kon­zep­ti­o­nel­len Be­rech­nun­gen als Run­dun­gen oder nu­me­ro­lo­gi­sche Sym­bo­lik zu deu­ten. Dies un­ter­stellt zu­dem den al­ten Vä­tern der Kir­chen­ord­nun­gen, dass sie es mit Ka­len­der­arith­me­tik nicht so ge­nau nah­men. Doch die Ge­stalt der kirch­li­chen Ka­len­der be­legt et­was an­de­res.

 

Die Erklärung im evangelischen Perikopenbuch

Für uns evangelische Christen ist das Pe­ri­ko­pen­buch ei­ne wich­ti­ge Quel­le, die das evan­ge­li­sche Kir­chen­jahr er­klärt und füllt. Doch auch die Aus­füh­run­gen im ak­tu­el­len Pe­ri­ko­pen­buch 2018 sind si­cher nicht halt­bar. Dort heißt es:

»Im 6. Jahrhundert wurde der vier­zig­tä­gi­gen Fas­ten­zeit (lat. qua­dra­ge­si­ma) ei­ne ›Vor­fas­ten­zeit‹ voran­ge­stellt. Sie be­gann mit dem heu­ti­gen Sonn­tag, der et­wa 70 Ta­ge vor Os­tern liegt, da­her stammt der la­tei­ni­sche Na­me ›Sep­tua­ge­si­mä‹ (der Sieb­zigs­te). Der nach­fol­gen­de Sonn­tag heißt dem­ent­spre­chend ›Se­xa­ge­si­mä‹ (der Sech­zigs­te).«

(→Perikopenbuch 2018, Sonntag Septuagesimä, Er­läu­te­rungs­blatt zwi­schen den Sei­ten 134 und 135 im Ab­schnitt der Er­klä­run­gen zum »Kon­text«).

Die Formulierung »der etwa 70 Tage vor Ostern liegt« ge­nügt kei­nes­wegs, um den Na­men zu er­klä­ren und be­zeugt eher Un­klar­heit statt Klar­heit. Die wei­te­re For­mu­lie­rung, »Der nach­fol­gen­de Sonn­tag heißt dem­ent­spre­chend ...«, kann eben­falls weder zur Er­klä­rung des Na­mens Sep­tua­ge­si­mä noch des Na­mens Se­xa­ge­si­mä bei­tra­gen.

 

2. Die Zeiträume und das Osterfest

Etliche moderne Erklärungen ge­hen fälsch­li­er­wei­se da­von aus, dass alle ge­nann­ten Zeit­räu­me an Os­ter­sonn­tag en­den. Doch dies trifft nur für den Zeit­raum Quin­qua­ge­si­ma zu, der am Sonn­tag Quin­qua­ge­si­mä be­ginnt.

Der klare Widerspruch der tat­säch­li­chen Ab­stän­de der Sonn­ta­ge Sep­tu­a­ge­si­mä und Se­xa­ge­si­mä zu der mit dem Na­men ge­nann­ten Zahl 70 bzw. 60 wird dann mit ab­sicht­li­cher Run­dung oder über­ge­ord­ne­ter Zah­len­sym­bo­lik be­grün­det.

Schon die im Mittelalter entstandene Legenda Aurea erklärt un­miss­ver­ständ­lich, dass ...

  • ... Septuagesima den Zeitraum vom Sonntag Sep­tu­a­ge­si­mä bis zum Samstag vor Qua­si­mo­do­ge­ni­ti be­zeich­net,
  • ... Sexagesima den Zeitraum vom Sonntag Se­xa­ge­si­mä bis zum Mitt­woch nach Os­tern um­fasst,
  • ... Quinquagesima den Zeitraum vom Sonntag Quin­qua­ge­si­mä bis zum Os­ter­sonn­tag meint.

Qua­dra­ge­si­mä nimmt durch den dop­pel­deu­ti­gen Na­men ei­ne Son­der­rol­le ein. Qua­dra­ge­si­mä als Sonn­tags­na­me ge­hört wie folgt in die­se Rei­he der Na­mens­ge­bun­gen:

  • Quadragesima meint den Zeitraum vom Sonntag Qua­dra­ge­si­mä bis Grün­don­ners­tag.

Mit dem Sonntagsnamen Qua­dra­ge­si­mä ist nicht die 40-tägige Fas­ten­zeit ge­meint.

 

3. Die 40-tägige Fastenzeit

Vom Namen des Sonntags Qudragesimä zu unterschei­den ist die na­mens­glei­che »Qua­dra­ge­si­ma ma­jor«, die »gro­ße vier­zig­tä­gi­ge« (Fas­ten­zeit). Das la­tei­ni­sche Wort »Qua­dra­ge­si­ma« meint »der Vier­zigs­te (Tag)«, aber auch, »die Vier­zig« und ist in die­ser Be­deu­tung im re­li­gi­ö­sen Ge­brauch die üb­li­che Ver­kür­zung aus dem län­ge­ren Aus­druck »die vier­zig Ta­ge des Fas­tens (vor Os­tern)«.

Ist die Fastenzeit gemeint, müssen Ta­ges­be­zeich­nun­gen ge­son­dert aus­ge­zeich­net wer­den. So wird der Sonn­tag in Ur­kun­den auch do­mi­ni­ca pri­ma qua­dra­ge­si­me oder do­mi­ni­ca ini­tii qua­dra­ge­si­me oder »do­mi­ni­ca I. qua­dra­ge­si­me« genannt, was jeweils erster Sonn­tag Fas­ten­zeit be­deutet.

Diese Fastenzeit begann nie am Sonntag Qua­dra­ge­si­mä, son­dern un­ter der Re­gel, dass an Sonn­ta­gen nicht ge­fas­tet wer­den darf und Kar­sams­tag der letz­te Fas­ten­tag ist, am Ascher­mitt­woch.

Nach altkirchlichen Regeln, wo zusätzlich an Don­ners­ta­gen nicht ge­fas­tet wer­den durf­te und der Sams­tag vor Pal­ma­rum der letz­te Fas­ten­tag war, be­gann die Fas­ten­zeit so­gar an Sep­tu­a­ge­si­mä. Sie war den­noch die Qua­dra­ge­si­ma ma­jor, weil sie im­mer 4o Fas­ten­ta­ge um­fass­te, egal, wann sie be­gann.

Auch die Fastenzeit der al­ten Kir­che vor Weih­nach­ten (40 Ka­len­der­ta­ge ab dem 14. No­vem­ber inkl. fas­ten­frei­er Ta­ge) hieß Qua­dra­ge­si­ma (Qua­dra­ge­si­ma Mar­ti­ni [→22]).

In dieser Zeit­span­ne steht Qua­dra­ge­si­ma nicht für die An­zahl der Fas­ten­ta­ge, son­dern für die Sum­me der Ka­len­der­ta­ge. Der Be­griff Qua­dra­ge­si­ma nimmt un­ter­schied­li­che Be­deu­tun­gen an.

 

4. Mögliche Bedeutungen im Kirchenjahr

Faktisch sehen wir vier in­ei­n­an­der­ge­schach­tel­te Klam­mern im Kir­chen­jahr. Nach der Epi­pha­nias­zeit folgt die für die Chris­ten be­deut­sams­te Zeit, die von Buße (Vor­pas­sions­zeit, Pas­sions­zeit), escha­to­lo­gi­scher Er­war­tung (Palm­sonn­tag), buß­fer­ti­ger Trau­er (Kar­wo­che), Lei­den (Pas­sion; Kar­frei­tag), stil­ler Trau­er (Gra­bes­ru­he; Kar­sams­tag), Freu­de (Os­tern) und christ­li­chem Auf­bruch (nach­ös­ter­li­che Freu­den­zeit) ge­prägt ist.

Die vier Sonntage richten unseren Blick in die Zukunft:

  • Sep­tu­a­ge­si­mä führt uns zunächst in die stille, über­wie­gend freud­lo­se Zeit der Buße, verweist uns aber zu­gleich auf das glück­li­che Ende. Alle Buße, Trauer und alles Leid mün­det in der Freu­de über die Auf­er­ste­hung und fei­ert in der nach­ös­ter­l­ichen Freu­den­zeit.
    Diese 70 Tage sind die große Klammer, der vollständige Plot über die Rüst­zeit, die Zeiten der Buße, der Passion Christi, der Trau­er, der Auf­er­ste­hung, der Begegnungen mit dem Auf­er­stan­de­nen und der Freu­de da­rüber.
  • Se­xa­ge­si­mä ist als Wegmarke ein Hinweis, wie schnell wir uns dem Leiden, dem Sterben und der Auferstehung nähern. Doch am Ende steht die Freude über alles. Die 60 Tage schließen die Feiern der heiligen Zeit mit ein und enden nach dem Triduum paschale bzw. der vier heiligen Ostertage.
  • Quin­qua­ge­si­mä tröstet mit dem Blick auf den Os­ter­sonn­tag­mor­gen und die Auf­er­ste­hung des Herrn, der in 50 Ta­gen ge­dacht wird.
  • Qua­dra­ge­si­mä führt uns tief in die Zeit der Buße und der Trau­er, in der alle Hoff­nun­gen auf das Kommen des Messias noch einmal auf­flam­men (Ein­zug in Je­ru­sa­lem, letz­tes Abend­mahl und Ein­set­zungs­wor­te). Die Zeit en­det am Grün­don­ners­tag, un­mit­tel­bar mit oder vor dem Tri­du­um Sacrum, den hei­li­gen drei Ta­gen.
    Dann, in 40 Tagen, gedenken wir der Passion Christi.

So, wie wir zunächst mit den vier Sonn­ta­gen schritt­wei­se in die Zei­ten hi­n­ein­ge­führt wur­den, so wer­den wir mit den je­wei­li­gen En­den der Zeit­span­nen wie­der Schritt für Schritt nach außen hin hi­n­aus­ge­führt.

 

E. Die Bedeutung der Sonntage für die christliche Lebenspraxis

Ähnlich den vier Sonntagen im Advent, in denen wir uns schrittweise, also wo­chen­wei­se dem Tag der Geburt des Herrn im Kalender nähern, so ha­ben auch die vier Sonntage Sep­tu­a­ge­si­mä, Se­xa­ge­si­mä, Quin­qua­ge­si­mä und Qua­dra­ge­si­mä die primäre Funktion unser Be­wusst­sein suk­zes­si­ve, schritt­wei­se, Woche für Woche auf die wich­tigs­ten Er­eig­nis­se des Christentums zu lenken, auf Opfertod und Auf­er­ste­hung Jesu.

Karfreitag und Ostersonntag sind die bei­den höchsten Feiertage der Chris­ten­heit. Sich ihnen spirituell und mental anzunähern, um sich ihrer gro­ßen Bedeutung für das eigene Sein bewusst zu werden, ist mehr noch als in der Ad­vents­zeit mit Blick auf die Geburt des Herrn sicher wohl zu emp­feh­len­de Praxis.

Diese Annäherung wird fortgesetzt in den auf Qua­dra­ge­si­mä (In­vo­ka­vit) fol­gen­den fünf Sonn­ta­gen, doch be­steht der Un­ter­schied darin, dass wir uns in diesen Wo­chen der Pas­sions­zeit in­ner­halb der vier Klam­mern be­fin­den.

In der Lebenspraxis geht es dann weniger um den nach vo­rne ge­rich­te­ten, trös­ten­den Blick als vielmehr darum, den Moment zu nutzen. Es geht darum, Buße und Vorbereitung (katholisch: Fasten) konkret zu gestalten. Es geht darum den Glauben zu vertiefen, das Vertrauen in die Macht Gottes zu stärken, die Erkenntnis des eigenen Seins im Angesicht der Schöp­fung zu fassen.

Dennoch sind wir uns dessen bewusst, wovon die vier Sonntage kündeten: Für evangelische Christen stehen nicht das dramatische Lei­den im Vordergrund, nicht die Selbstkasteiung, nicht um devote Unterwerfung, sondern das Happy End für jene, die daran glauben.

Und darum geht es: ICH glaube!

 

 

 

Anmerkungen:

 

 
[1] So ist es in der → Legenda Aurea erklärt für die Zeitspannen Septuagesima (Seite 481), Sexagesima (Seite 487) und Quinquagesima (Seite 497).

 
[2] Seit dem Kirchenjahr 2018/2019 ist die Sonntagsabfolge in den Zeiträumen nach Epiphanias und Vorpassion geändert. Während es früher in der Vorpassionszeit drei feste Sonntage gab, gibt es nun bis zu fünf Sonntage, die jedoch auch entfallen können. Das bedeutet: Der 3. Sonntag vor der Passionszeit (Sep­tu­a­ge­si­mä) kann entfallen, nämlich dann, wenn Ostern vor dem 7. April liegt (Schaltjahr: 6. April).

 
[3] Eine genauere zeitliche und örtliche Angabe ist derzeit nicht möglich. Die vorliegenden Quellen berichten ohne zeitliche und regionale Verortung nur vom kirchlichen Gebrauch. So → Grotefend im Glossar: »Septuagesima, Sonntag Circumdederunt, 9. Sonntag vor Ostern, und die mit ihm begonnene Fastenzeit der älteren Kirche.«

 
[4] Siehe → Legenda Aurea, Seite 481: »Weil die heiligen Väter verfügt haben, daß wegen der Verehrung des Himmelfahrtstages, an dem unsere Natur in den Himmel aufstieg und über die Chöre der Engel erhoben wurde, jeweils der fünfte Wochentag (Donnerstag) feierlich begangen und dann kein Fasten eingehalten werden solle, denn in der alten Kirche war der Donnerstag gleich festlich wie der erste Wochentag (Sonntag). [...] Zum Ausgleich fügten die heiligen Väter eine Woche zur Fastenzeit hinzu und nannten sie Septuagesima.« Aus dieser Notiz lässt sich ableiten, dass ohne jene fastenfreie Donnerstage die Fastenzeit der Zeitraum von Se­xa­ge­si­mä bis Palmarum war oder gewesen wäre.

 
[5] Siehe → Legenda Aurea Seite 483: »Septuagesima stellt nämlich die 70 Jahre dar, in denen die Kinder Israels in der Babylonischen Gefangenschaft waren.«

 
[6] Siehe → Gro­te­fend, Glossar »Allelujah claudere«: »Allelujah claudere, dimittere, sepelire, alleluja niderlegung bezeichnet den Sonntag Septuagesime oder den Sonnabend vorher, denn von diesem Tage, an welchem es zuletzt ertönte, wurde bis zum Osterfeste nach einer Bestimmung des Papstes Alexander II. von 1073 das Allelujah beim Gottesdienste nicht mehr angestimmt. [...] Zu gleicher Zeit waren auch alle öffentlichen Festlichkeiten (meyde, hochgezite) und auch die Hochzeiten verboten.«

 
[7] Siehe → Legenda Aurea Seite 483: »Als ihnen Ky­ros dann später im 60. Jahr die Rückkehr erlaubte, begannen sie sich wieder zu freuen, und so singen auch wir am Karsamstag Alleluja, gleichsam im 60. Jahr, um ihre Freude nachzuahmen.«

 
[8] Siehe → Legenda Aurea Seite 483: »Aber am Samstag, mit dem Septuagesima endet, singen wir zwei Alleluja, um die volle Freude darzustellen, mit der sie in ihre Heimat kamen.«

 
[9] Der Sonn­tag Qua­si­mo­do­ge­ni­ti wurde daher in Ur­kun­den auch als Sonn­tag »alleluja, alleluja, alleluja« be­zeich­net. Siehe → Grotefend, Glossar: »Dominica misse domini allelujah, allelujah, allelujah, 1. Sonntag nach Ostern, wo das Circumdederunt gelegte allelujah bei der Messe wieder aufgenommen wurde [...]. «

 
[10] Messbücher weisen nach, dass bereits in der Woche nach Ostersonntag das dreifache Halleluja in Messeingängen genutzt wurde und wird. Beispielhaft sei hier erwähnt aus dem Zisterzienser Missale (Ordo 1963), der follow link  Introitus zum Freitag in der Osterwoche: »Eduxit eos Dominus in spe, alleluja: et inimicos eorum operuit mare, alleluja, alleluja, alleluja. (Ganz sicher führte sie heraus der Herr, alleluja; doch ihre Feinde hat das Meer verschlungen, alleluja, alleluja, alleluja.)«.

 
[11] Siehe → Gro­te­fend, Glossar »Ostern«: »Eine besondere Verehrung genossen die vier ersten Tage der Osterwoche, vom Sonntag bis Mittwoch, die osterfeiertage oder vier hillige dage to paschen.«

 
[12] Siehe → Legenda Aurea Seite 487: »Weil Papst Melchiades und der heilige Silvester verfügten, man solle am Samstag zweimal essen, damit die Natur nicht wegen der Enthaltsamkeit geschwächt wird, die die Menschen am sechsten Wochentag (Freitag), wo man jederzeit fasten muß, auf sich genommen hatten. Zum Ersatz für die Samstage dieser Zeit fügten sie eine Woche zu Quadragesima hinzu und nannten sie Sexagesima.«

 
[13] Siehe → Legenda Aurea Seite 487.

 
[14] Siehe → Legenda Aurea Seite 487, 489, 491.

 
[15] Siehe → Legenda Aurea Seite 493.

 
[16] Siehe → Legenda Aurea Seite 493. Jacobus de Voragine bezieht auf das jüdische Erlassjahr, das Jubeljahr, das Halljahr. Siehe → 3Mos 25,8-31.

 
[17] Siehe → Legenda Aurea Seiten 493-495.

 
[18] Siehe → Legenda Aurea Seiten 495.

 
[19] → Gro­te­fend, Glossar »Dominica quadragesime«: »Dominica quadragesime. Alleinstehend der erste Fastensonntag Invocavit. Indess wird unter quadragesima auch die ganze 40-tägige Fastenzeit verstanden und demnach die Sonntage gezählt dom. prima, secunda etc. quadrag.«

 
[20] Siehe → Legenda Aurea Seiten 497.

 
[21] So findet sich beispielsweise auf follow link katholisch.de im Artikel »70 statt 40 Tage: Warum manche Christen "vor-fasten"« der Text über Septuagesima und die Vorfastenzeit der katholischen Kirche bis zur Liturgiereform von 1969: »Exakt 70 Tage sind es nicht. Wer nachrechnet, wird feststellen, dass dafür eine ganze Woche fehlt. Vermutlich wurde ursprünglich die Osteroktav mitgerechnet: also die Zeit ab Ostersonntag, in der das Fest gewissermaßen auf acht Tage "gestreckt" wird. Nach anderer Auffassung handelt es sich bei der 70 lediglich um eine aufgerundete Zahl, die symbolischen Charakter hat. Von einer Aufrundung zeugt auch der Name des zweiten Sonntags der Vorfastenzeit: "Sexagesima" ("der sechzigste"), der eigentlich 56 Tage vor Ostern liegt.«

 
[22] Siehe → Gro­te­fend, Glossar »Quadragesima Martini«: »Quadragesima Martini oder parva, die Adventszeit vom 14. Nov. ab bis Weihnachten [...] Die quadr. Mart, war nur der älteren Kirche eigen.«

Sabrina

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