vorgelesen von Reiner Makohl
Der Text Johannes 12,12-19 beschreibt den Einzug Jesu in Jerusalem. Diese Erzählung kommt in allen vier Evangelien vor. So ist sie auch zu finden in Mt 21,1-11, in Mk 11,1-10 und in Lk 19,29-38.
In diesem Abschnitt sehen wir, wie Jesus triumphal in Jerusalem einzieht, begleitet von einer Menge, die ihn als König begrüßt. Die Menschen legen Palmzweige auf den Weg und rufen »Hosianna!«, was »Hilf doch!« oder »Hilf bitte!« bedeutet, und sie ehren Jesus als den, der kommt im Namen des Herrn.
Dieser Einzug erfüllt eine prophetische Vorhersage aus dem Alten Testament ( Sacharja 9,9).
Der feierliche Einzug eines Herrschers oder einer wichtigen Person in eine Stadt war in der römischen Welt ein Mittel politischer Propaganda, weltlicher Machtdemonstration und Ehrung der Person. Der Einzug folgte festgelegten Ritualen. Zu Pferde oder auf einem Streitwagen traf der Erwartete vor dem Stadttor ein. Dort wurde er von städtischen Regenten und von Vertretern der Oberschicht feierlich empfangen. Unter Jubelrufen geleiteten Bürger die kleine Prozession in die Stadt. Auf dem Weg wurden Teppiche, Stoffe, Kleidungsstücke oder auch Zweige vor dem Geehrten ausgebreitet.
Sacharja 9,9 greift dieses Wissen um die sehr alten Ehrungsrituale auf und erklärt, dass der Messias auf einem Esel in Jerusalem einziehen wird.
Damit ist schon in dieser alttestamentlichen Prophezeiung betont, dass der Messias kein weltlicher Herrscher ist, kein weltlicher Kaiser, König oder Heerführer, der seine Machtansprüche mit bewaffneten Garden, Soldaten und Armeen durchsetzt. Dennoch erschallten Jubelrufe, dennoch wurde der Weg Jesu in die Stadt mit Palmenzweigen ausgekleidet.
Die Israeliten waren voller Hoffnung auf die Befreiung von der römischen Herrschaft. Sie erhofften sich insbesondere einen politischen Befreier. Einige radikale Gruppierungen erwarteten sogar einen starken Anführer, der mit brutaler Gewalt und mit dem Schwert das Königreich Israel befreie.
Andere erwarteten einen Messias, der Wunder vollbringen konnte. Einen Messias, der nicht nur nach außen wirkte, sondern auch unter den Israeliten für Gerechtigkeit, Frieden und Glück sorgte. Einen Messias, der Elend und Armut besiegte und dem Gott zur Seite stand bei allem, was er tat. Doch bisher waren bei niemanden Zeichen auszumachen, die einen Messias erkennen ließen, wenn sich auch immer wieder einzelne Menschen selbst dazu erklärten.
Johannes erzählt, warum die Menschen Jesus so freudig begrüßten. Jene, die dabei waren als Jesus seinen Freund Lazarus von den Toten auferweckte, liefen dem Tross voraus, der von Jesus angeführt wurde. Sie verbreiteten in der Stadt die Geschichte von diesem Wunder und von dem Mann, mit dem Gott sein muss, wenn er solche Taten vollbringen kann. Sie sind es, diese schier unglaublichen Taten, die den Menschen als Zeichen dafür dienten, dass er, Jesus, der lang ersehnte Messias sein müsse.
Etliche von denen, die davon hörten, liefen hinaus vor die Stadtmauer und erwiesen Jesus jene große Ehre, die dem erwarteten Messias zustand. Sie sahen in Jesus den Befreier und Retter Israels, von dem sie eine Wende für ihr eigenes Schicksal in einem glücklichen und gerechten Leben erhofften. Und sie bereiteten ihm einen Empfang, wie er für einen König angemessen war.
Ihre Begeisterung zeigt, dass viele Menschen Jesus als den Messias erkannt hatten, obwohl ihre Vorstellungen von seinem Königreich vielleicht nicht den spirituellen Realitäten entsprachen, die Jesus verkündete.
Die Pharisäer sahen in Jesus eine Bedrohung für ihre Autorität und waren besorgt über die öffentliche Unterstützung, die er erhielt und die sich in diesem Triumphzug offen zeigte.
Sie fürchteten, dass Jesus ihre eigene Macht und Stellung und ihre Auslegungen von Recht und Gerechtigkeit, von Religion und Glaube, von gesellschaftlichen Normen und Werten, gefährde.
Die Pharisäer trieben ihre Sorge darüber plakativ und propagandistisch auf die Spitze, indem Sie behaupteten, dass die ganze Welt Jesus folge. Tatsächlich war das falsch. Doch sie schürten Ängste, um ihr Handeln zu rechtfertigen.
Vor dem Tor versammelte sich damals wohl nur eine kleine Schar von Anhängern und Sympathisanten, daneben vielleicht etliche neugierige Menschen. Aber keineswegs die gesamte Stadtbevölkerung, noch weniger »alle Welt«.
Es war eben eine kleine Demo für Frieden und Gerechtigkeit.
Mit dem Einzug in Jerusalem beginnt die Leidenswoche Jesu. Sein triumphaler Einzug in die Stadt und sein entwürdigendes Leiden und Sterben in derselben Stadt nur wenige Tage danach verdeutlichen die unterschiedlichen Reaktionen der Menschen auf seine Person und auf seine Botschaften.
So sind Anerkennung, Glaube und Hoffnung einerseits wie auch Ablehnung, Verleugnung und Verurteilung andererseits stets gleichzeitig in der Bevölkerung, in der Gesellschaft, präsent. Auch heute.
Und es gibt immer auch eine stille, schweigende Menge. Auch damals gab es das alles schon.
Nun könnten wir darüber nachdenken, wie wir damals vielleicht reagiert hätten. Interessanter ist aber, wie wir heute auf Jesus, auf seine Person und auf seine Lehren und Botschaften reagieren.
Begrüßen wir jubelnd einen Messias? Oder verurteilen wir Jesus, dessen Lehren die gesellschaftspolitischen Meinungen speziell einiger politischer Parteien stören?
Klagen wir lauthals über einen, der die Macht von Menschen gefährdet, die danach streben, andere alleinig zu ihrem Eigennutz zu beherrschen? Hören wir auf Populisten und Propaganda, die uns Angst machen wollen, dass alle Welt zusammenbricht, wenn christlich-ethische Ansichten geäußert werden? Glauben wir Verführern, die Ängste vor gesellschaftlichen Gruppen erzeugen und ständig kräftig schüren, und sie so zu Opfern von gesellschaftspolitischem Denken, Reden und Handeln machen? Sind wir bereit, in der Nachfolge von machtgierigen Verführern Menschen grundlos und schuldlos zu unseren Opfern und uns zu Tätern und Verbrechern zu machen?
Verurteilen wir also Wertschätzung, Nächstenliebe und Gleichheit? Oder sehen wir in Jesus einen, dessen Lehren und Botschaften uns stärken gegen die Einflüsse von Verführern, Lügnern, und Machtgierigen?
Wir wissen, dass wir schwach sind.
Wäre es deshalb nicht sinnvoll, »Hosianna!« zu rufen: »Hilf doch!«?
Es liegt an uns, ob wir dem Retter zujubeln oder Verführern, die Ängste schüren, Unschuldige zu Schuldigen erklären, Hass und Hetze verbreiten und Menschen nicht retten aus ihrem Leid, sondern sie trickreich in voller Absicht zu Opfern ihrer blinden Gier und ihres dämonischen Machtbegehrens machen.
Perikope | Typ | Tag |
---|---|---|
1531 - 1898 | ||
Keine Verwendung an Sonntagen, Feiertagen und Gedenktagen | ||
1899 - 1978 | Keine Verwendung an Sonntagen, Feiertagen und Gedenktagen | |
Lutherische Kirchen 1958-1978 | ||
Joh 12,12-19(20-25) | Reihe I | |
1979 - 2018 | ||
Joh 12,12-19 | Evangelium | |
seit 2019 | ||
Joh 12,12-19 | Evangelium |
Frakturschrift ist nicht leicht zu lesen. Die Videos zeigen ausgewählte Texte aus der Lutherbibel von 1545, vorgelesen von Reiner Makohl.
Die Lutherbibel von 1545 ist mit ihrem Frakturzeichensatz nicht leicht zu lesen. Wir bieten Videos, in denen ausgewählte Perikopen aus den Sonn- und Feiertagsreihen vorgelesen werden.
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©2024 by Reiner D. Makohl | www.stilkunst.de
Bibeltexte: Dr. Martin Luther, Biblia, Wittenberg 1545
Zeichensätze der Frakturschriften, Typografie & Layout,
Video: Reiner D. Makohl
Sprecher: Reiner D. Makohl
Musik: ©Bluevalley, J.S.Bach, Präludium in C-Dur, Gitarre