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Muss man nicht lesen, kann man aber!

Die Todesstrafe als Abschreckung für Gewalttäter?

5. August 2011

Beerfelder Galgen - ©by Lordronin de.wikipedia.org

H eute, beim Frühstück – genauer: beim Zeitungslesen! – wurde ich an eine schwierige Zeit während meines Studiums erinnert. Die Aufgabe bestand damals darin, in einer Seminararbeit das Thema »Todesstrafe« zu behandeln. Ich machte mich voller Enthusiasmus an eine scheinbar leichte Aufgabe, hatte doch die Bundesrepublik Deutschland die Todesstrafe längst abgeschafft. Boten mir nicht die Väter des Grundgesetzes alle Argumente, die ich im Disput, im Für und Wider der Todesstrafe brauchte? – Weit gefehlt!

Genau zu dieser Zeit wurde ein in Deutschland stationierter US-amerikanischer Soldat des Mordes angeklagt, verhaftet und in die U.S.A. überführt. Die deutsche Staatsanwaltschaft erklärte sich nicht für zuständig und verwies mich an die US-amerikanischen Militär- und Staatsbehörden. Ich war plötzlich mit einer Situation konfrontiert, in der die Todesstrafe real existierte. Leider waren meine Möglichkeiten damals sehr begrenzt. Reisen ging gar nicht. Briefe schreiben und eventuell mal telefonieren – ein mühsames Geschäft so ganz ohne Internet, E-Mail und SMS! Fast unvorstellbar.

Die beiden Kernfragen, in denen sich in meiner Arbeit schließlich alles zuspitze, lauteten: Ist die Todesstrafe ein probates Mittel, um präventiv zu wirken, um also Straftaten zu verhindern? Und: Ist die Todesstrafe als Bestrafung für eine Tat überhaupt geeignet und sinnvoll und damit in einem Strafgesetz anwendbar?

Das Problem für mich war: Die Disputanten aus den Lagern der Befürworter und der Gegner konnten sich in diesen beiden Fragestellungen nicht annähern. Die Fronten waren verhärtet. Sie wurden von Meinungen geprägt, die alles aufboten, was irgendwie geeignet schien, Argumente zu untermauern: von der praktischen Seite der Todesstrafe seit Anbeginn der Menschheit bis in die Gegenwart, über theoretische Annahmen, beispielsweise moralischer, soziologischer, gesellschaftlicher, religionswissenschaftlicher und rechtswissenschaftlicher Art, bis hin zu persönlichem Empfinden von Aufklärung, Humanismus, Rache und »Auge und Auge«, usw. Es wurde komplex!

Was mir damals fehlte, war die Chance, Täter zu profilieren und zu befragen, die beispielsweise wegen vorsätzlichen Mordes verurteilt wurden und die Todesstrafe erwarteten. Wie war ihre Sicht der Dinge? Hatte die drohende Todesstrafe ihr Denken vor der Tat beeinflusst? Empfinden sie die Todesstrafe als »Bestrafung« für ihr Vergehen? Was mir fehlte, war die Chance, die Richter und die Henker zu befragen. Was war ihre Sicht der Dinge mit einer geübten Strafpraxis?

Blendet man einmal die ethischen, kulturell und gesellschaftlich abhängigen Aspekte einer geübten Praxis der Todesstrafe aus und schaut nur auf die nüchterne Handlung als solche, dann ist das Fatale an der Todesstrafe, dass sich der Richter mit dem Täter auf eine Stufe begibt. Die Urteilsverkündigung ist in der reinen Sache eine Tötungsabsicht, also gleichwertig mit Mordabsicht. Sehr schwierig!

Nirgends wird das so klar und einfach ausgedrückt, wie im alttestamentlichen Text: »… so sollst du geben Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn …« (Ex 21,23-25). Dieses Bibelzitat wird auch gerne von Befürwortern der Todesstrafe zitiert, manchmal fälschlich mit einem Hinweis auf göttlichen Willen oder christliche Lehre. Dabei geht es vordergründig darum, dem Täter Gleiches mit Gleichem heimzuzahlen, es geht um Rache. Es geht nicht um Abschreckung, nicht um Strafe. Nebenbei: In der christlichen Lehre ist dieser Grundsatz längst überholt (Neues Testament, Joh. 8,7, »Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein«),

Ein Urteil »Im Namen des Volkes« bezieht das Volk mit ein. Noch schwieriger! Der Vollzug steht in dieser Sichtweise auf einer Stufe mit geplantem Mord. Nicht umsonst hatten Henker zu allen Zeiten einen besonderen gesellschaftlichen Stand.

Dies sind Punkte, die jede Diskussion auflösen muss. In der Regel geschieht das durch ein übergeordnetes Rechtssystem. Und da ist der Haken an der Sache: Gerade diese Rechtsfragen stehen ja zur Diskussion und können nicht platt mit »Auge um Auge« nach alttestamentlichem Muster beantwortet werden, erst recht nicht mit Rache. Rache ist kein Aspekt in einem strafrechtlichen System. Und was ist mit Abschreckung?

A ch ja, die Zeitung! Worum ging es eigentlich? Nun, es könnte sein, dass in Kürze britische Abgeordnete dazu gezwungen sind, über die Wiedereinführung der Todesstrafe in England abzustimmen. 1999 wurde die Todesstrafe in England abgeschafft, nun begehren die Bürger auf und fordern die Rückkehr zum »capital punishment« (Todesstrafe). Ich kann es den Bürgern nicht verdenken, wenn sie persönliches Empfinden in den Vordergrund rücken. Den Abgeordneten kann ich allerdings nur empfehlen, sehr gut nachzudenken, um gerüstet zu sein gegen Befürworter, die keine Annäherung im Disput erlauben.

Interessant ist ein Zitat des letzten britschen Henkers, Albert Pierrepoint, der mehr als 400 Menschen hingerichtet haben soll: »Hinrichtungen lösen gar nichts. Sie sind nur ein veraltetes Relikt für einen primitiven Wunsch nach Rache. […] Ich kann nicht sagen, dass die Todesstrafe als Abschreckung für irgendeinen […] gedient hätte.« – Ein hartes Urteil, aber es basiert auf einem umfangreichen Erfahrungsschatz. Die Frage ist nur, ob es den Gegnern der Todesstrafe dienlich sein wird.

Ich bin ganz froh, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Todesstrafe per Grundgesetz abgeschafft ist. Aus Überzeugung! Nach tiefgreifenden Studium des Themas und der Sachlagen. Und weil in Deutschland die Urteile »Im Namen des Volkes« verkündet werden. Ich verstehe aber als Bürger des Landes Hessen ganz und gar nicht, dass die Verfassung des Landes Hessen noch immer die Todesstrafe vorsieht (Artikel 21).

Zum Glück steht das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland über der Hessischen Verfassung. Das darf aber kein Grund sein, untätig zu bleiben! Denn das macht die ganze Diskussion im Für und Wider unnötig zäh und schwierig. Die Bayern haben es 1998 geschafft, einen ähnlichen Passus aus ihrer Verfassung loszuwerden. Schaffen wir Hessen das auch? Fragt sich

Sabrina

Kategorien: Politik | Hope for the Future

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