Auf der Suche nach Ostern

Gedanken zwischen drinnen und draußen

Gedankenpause

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Auf der Suche nach Ostern

Gedanken zwischen drinnen und draußen

 

 

Bibeltext über die Liebe.

»Hallo!«

Zögernd betrat ich den großen Raum. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss.

»Hallo - niemand da?«

Langsam bewegte ich mich vorwärts. Alles still. Nur wenige Lichtstrahlen drangen durch die farbigen, schmutzigen Scheiben der kleinen Fenster.

»Ist da jemand?«

Ganz hinten löste sich eine hagere Gestalt aus dem schattigen Gemäuer. Eine alte Frau bewegte sich mit schlurfenden Schritten auf mich zu.

»Entschuldigen Sie bitte,« trug ich unsicher mein Anliegen vor, »ich wollte zum Osterfest ...«

»Da sind Sie hier aber falsch«, entgegnete mir die Alte. Ihr Blick wandte sich zur Tür.

»Das Osterfest findet doch schon lange draußen statt.«, bemerkte sie.

»Draußen?«

»Ja, gehen Sie nur zu, Sie wer­den es nicht verfehlen.«

Etwas Trauriges lag in ihrer Stimme, und sie wollte sich gerade abwenden, doch die Hilflosigkeit, die sie wohl in mei­nen Gesten wahrnahm, hielt sie zurück. Ich konnte mich mit ihrer Antwort nicht zufriedengeben.

»Ich komme von draußen«, purzelte es mir über die Lippen, »da draußen sind Leu­te, viele Leu­te, aber kein Osterfest.«

Erstaunt blickte sie mich an.

»Junger Mann! Haben sie nicht bemerkt, dass all diese Leu­te Ostern feiern?«

»Nun, erst war ich in den Läden und Geschäften – dort haben sie eingekauft. Dann war ich mit dem Auto unterwegs – alle waren sie mit dem Auto unterwegs. Ich habe mir Zoos, Freizeitparks und Ausflugsziele angesehen – sie waren da. Ich war in Restaurants, Cafés, Kinos und Theater – voll. Aber nirgends, nirgendwo feierten sie Ostern.«

Ein tiefer Schatten legte sich über das Gesicht der Alten, ihre grauen Augen schienen ins aschfahle zu wechseln. Behutsam legte sie ihre knochigen Finger auf mei­nen Arm. Ihr faltenumspielter Mund öffnete sich kaum, als sie mir zu hauchte:

»Mein lie­ber Junge, das ist Ostern.«

Schweigend sahen wir uns an. Mindestens eine halbe Ewigkeit – Bruchteile von Sekunden.

»Aber wo«, fragte ich endlich, »wo bleibt der Ostergedanke? Wo ist die Idee einer besseren, menschlicheren Welt geblieben? Wo ist die Zeit füreinander? Wo ist die Liebe, die nur gibt, aber nichts verlangt? Wo sind Hoffnung und Glaube?«

Das dünne Haar wog hin und her. Sie schüttelte den Kopf.

»Ach dieses Osterfest! Ist schwer zu finden. – Ja, sehr schwer.«

Langsam ließ sie sich auf einer kleinen Holzbank nieder. Ihr Buckel verkrümmte sich. Alle Last der Jahre schien auf sie zu drücken. Doch ihr Kopf war leicht erhoben und ihre Augen blickten in eine andere Welt. Ohne den Blick von ihr zu wenden, setze ich mich neben sie.

»Die Leu­te«, sprach sie, »sie sind ja so genügsam. Sie finden was sie brauchen im Laden, auf der Autobahn, im Restaurant und im Kino. Dabei sind sie dem Osterfest so nahe. So nahe sind sie ihm.«

Etwas Orakelhaftes, et­was Geheimnisvolles legte sich um diese Person, und ich wagte kaum, zu atmen. Nur nicht stören, dachte ich. Ich wollte hören, was sie noch zu sagen hatte. Sie fuhr fort:

»Es sind Draußen-Menschen. Sie finden alles draußen und fliehen vor sich selbst. Es sind Nebeneinander-Menschen. Sie brauchen jemanden neben sich und um sich herum, doch dabei finden sie keine Zeit füreinander. Sie ertragen es nicht, allein zu sein, doch weil sie es sind, müssen sie den Gedanken daran ständig verdrängen. Sie suchen die bessere Welt, die Hoffnung und die Liebe. Aber sie suchen draußen, keiner kommt herein.«

Leicht drehte sie ihren Kopf, und ihr Gesicht wirkte im fahlen Licht der milchigen Scheiben sehr schön, beinahe jugendlich. Sie suchte meine Augen, verharrte und sprach, als wäre sie mir Mutter, Schwester und Geliebte zugleich:

»Wenn Du das wahre Osterfest suchst, suche es in Dir. Du hast es! Jeder hat es, aber es ist für Draußen-Menschen nicht zu finden.«

Sie hielt inne, streichelte für einen kurzen Moment mei­nen Arm, erhob sich mühsam, lief schlurfend durch den Raum und verschwand durch eine Maueröffnung, die wohl in einen Nebenraum führte.

Ich stand da und langsam wurde mir bewusst, wie still es hier war. Kein Lärm, kein Telefon, keine Autos, keine endlos ratternden Kopierer und Drucker. Der große leere Raum bot mei­nen Sinnen kaum Ablenkung. Jeder Gedanke, der sich löste, wurde von den kahlen Wänden reflektiert und traf mein Innerstes.

Da fing ich an zu verstehen, was es ist. Nun will ich begreifen, was es heißt, um es zu feiern.

Die kleine Tür des Nebenraums tat sich auf. Von der Schwelle winkte mit zögernder Hand eine uralte Hoffnung herüber. Frisch und jung sah sie aus. Der Weg von draußen nach drinnen wurde sichtbar.

 

 

– Hinweis –

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