Der Brudermord

Gedanken über Gewalt und Got­tes Schutz

Gedankenpause

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Kain und Abel

Der Brudermord

Gedanken über Gewalt und Got­tes Schutz

 

 

LINK zum zugehörigen Bibeltext (1Mos 4):
Der Brudermord
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→Der Brudermord | Kain und Abel

Die Gewalt ist so alt wie die Mensch­heit. Be­reits im ers­ten Mord­fall der (bib­li­schen) Ge­schich­te stellt sich die Fra­ge: Wo bleibt Got­tes Schutz?

Gedanken über Got­tes Schutz in die­sem Ar­ti­kel.

 

 

 

Gewalt ist so alt wie Menschheit

Gewalt ist kein Zei­chen unserer Zeit. Es gab sie schon immer. Sie ist so alt wie die Menschheit selbst. Gleich in den ersten Geschichten der Bibel geht es um Lug und Betrug, um Gier nach Macht und geheimen Wissen, um Neid, um Mord und Totschlag.

Dagegen kommt das Paradies recht knapp weg: Kaum eine Seite ist dieser Zeit gewidmet. Kaum eine Zeile, die uns erklärt, was sie denn eigentlich sind, die so oft erwähnten »paradiesischen« Zustände. Es bleibt der Fantasie überlassen, sich davon ein Bild zu machen. Märchen und Legenden ranken sich seit Jahrhunderten um dieses Thema, die Kunst hat es vielfältig aufgegriffen, das Sich-Sehnen danach kommt nicht zur Ruhe. Womöglich genau deshalb: Die Welt ist brutal, gewaltbereit und gewalttätig.

Holzschnitt, Bild zum 1. Buch Mose, Kapitel 4, Kain und Abel

Abbildung: Bild zur Geschichte von Kain und Abel in Luthers Biblia 1545.
Der Holzschnitt zeigt mehrere Szenen gleichzeitig:
Im Vordergrund bringen die beiden Brüder ihr Opfer dar. Der aufsteigende Rauch von Abels Opfertisch, auf dem ein Lamm liegt, symbolisiert, dass dieses Opfer von Gott angenommen wurde. Von Kains Getreideopfer fließt der Rauch über den Altar zum Boden hinab.
Links im Bild erschlägt Kain seinen Bruder auf dem Feld.
Im Hintergrund rechts sehen wir Gott, der über Kain das Urteil spricht.

Der Hintergrund der Erzählung

Erzählt wird im 1. Buch Mose, Kapitel 4, die Geschichte Kains. Abel, sein Bruder, nimmt nur eine bescheidene Nebenrolle ein: die des Opfers. Völlig ohne Sprechtext. Die Kamera zeigt Abel nur kurz, wie er Opfergaben darbringt, die von Gott beachtet wer­den. Kains Opfergaben hingegen blieben von Gott unbeachtet. In der nächsten Einstellung fordert Kain seinen Bruder auf, mit ihm aufs Feld zu gehen. Kaum dort angekommen, erschlägt Kain seinen Bruder.

Den biblischen Autoren geht es sicher nicht darum, das Polizeiprotokoll eines Mordes wiederzugeben. Die Geschichte enthält für den Leser Informationen, die Rituale und Gesetze im religiösen und gesellschaftlichen Leben erklären.

Das Lamm – das wohlgefällige Opfertier

Abel war Schafhirt. Er opferte aus seiner Herde Erstlinge. Dieses Opfer gefiel Gott. Darin begründet sich das Opferritual der jüdischen Religion, in dem Schafe und Lämmer, insbesondere Erstlinge, eine besondere Rolle spielen.

Im »Agnus Dei« (»Lamm Gottes«) fand es als Symbol für die Auferstehung Jesu Christi Einzug in die christliche Religion. Als »Osterlamm«, gebacken als Brot, das in der Osterfeier zur Speiseweihe gebracht wurde, fand es Einzug in das christliche Brauchtum.

Dies alles nur, weil Abels Opfergaben Gott gefielen.

Gewalt ist Ausdruck der Geisteshaltung

Die Geschichte erklärt den Zusammenhang zwischen Fühlen, Denken und Handeln: Kain wurde zornig und senkte seinen Blick, worauf er von Gott angesprochen wurde.:

»Warum bist Du zornig und schaust so düster drein? Wenn Du recht handelst, bist dann nicht freundlich? Wenn Du aber nicht recht handelst, ist dann nicht die Verführung an der Tür, wie ein lauerndes Tier, das nach Dir verlangt? Dann sollst Du ihr nicht ihren Willen lassen, sondern herrsche über sie!«

Neid war es, der Kain zornig wer­den lies. Zorn war es, der ihn Pläne schmieden ließ. Die Verführung verlangte wie ein lauerndes Tier nach ihm, mit Taten seinen Zorn zu befriedigen. Kain missachtete das göttliche Gebot, eines der ersten, das den Menschen gegeben ist.

Es lautet (1Mos 4,7):

»Lass der Verführung nicht ihren Willen, sondern herrsche über sie!«

Oder kurz:

Beherrsche Dich!

Wir ken­nen solche Situationen doch zur Genüge: Eine Emotion wird wach und an den Türen zu unserem Herzen und zu unserem Geist klopft die Bereitschaft zur Gewalt. Sie kennt viele Formen. Sie findet Ausdruck in unserer Gestik, wie bei Kain, sie findet Ausdruck in unserer Sprache und in unseren Taten, wie bei Kain. Auch dann, wenn das ganze scheinbar harmlos ausgeht und nicht im Totschlag mündet, sind wir bereit, gewalttätig zu sein und andere zu Opfern unserer Haltung zu machen. Für unsere Opfer sind unsere Taten nie harmlos!

Die Lösung heißt nun nicht: Vermeide die Tat!, denn das ließe Wut und Zorn weiter in uns gären und ganz sicher nicht nur unsere Stimmung, sondern womöglich gar unseren Charakter verändern, sondern: Beherrsche Deine Emotionen! Beherrsche die Verführung, die nach Dir verlangt. Halte die Türen für das lauernde Tier verschlossen, damit es nicht von Dir Besitz ergreift.

Denke da­r­ü­ber nach, ob Dein Denken, Deine Meinung und Deine Ansichten andere zu Opfern wer­den lassen!

Ja, schwierig, aber machbar. Es braucht Übung. Übung in Nächstenliebe. Und genau das möchten uns die biblischen Geschichten vermitteln, auch am Beispiel des Brudermords.

Die grausame Erkenntnis

Kains Tat blieb nicht unentdeckt. Mit dramatischen Worten beschreibt Gott die Schwere der Tat – ein Mensch hat einen Menschen getötet:

»Was hast Du getan? Höre! Das Blut Deines Bruders schreit zu mir von der Erde!«

Dies ist eine der Schlüsselszenen. Diesen Satz muss man »sehen« und »hören« mit all der Macht und Gewalt, mit der er gesprochen wurde, um ihn zu begreifen!

Ein Film-Regisseur würde diesen Satz mit dramatischen Hilfsmitteln transportieren, mit allem, was ihm die moderne Filmtechnik zugesteht. Es entstünde eine geradezu monumentale, alle Sinne strapazierende Szene: Die Entrüstung Got­tes da­r­ü­ber, dass der Mensch sogar dazu fähig ist, seine eigenen Brüder, andere Menschen, zu töten, ist gewaltig und erschütternd! Sie geht jedem Leser, jedem Zuhörer, jedem Zuschauer durch Mark und Bein. Das Kino bebt! Auch damals schon, in alt-biblischen Zeiten, wenn es sich bei den Lesern und Hörern dieser Geschichte auch nur im Kopf abgespielt hatte.

Eine erschreckende Erkenntnis steht dahinter, die wir alle jeden Tag neu erfahren – nicht nur aus Zeitungen und Nachrichten, und die Fra­gen aufwirft wie: Was passiert da nur? Warum geschieht das? Was hat er nur getan?! Warum sind Menschen zu so et­was fähig?

Gerechtigkeit und die Todesstrafe

Es war kaltblütiger Mord, von langer Hand geplant und vorbereitet. Das Strafmaß jener Zeit für dieses Vergehen war eigentlich jedem Leser klar: die Todesstrafe. Doch nun passiert et­was Außergewöhnliches: Kain bekommt lebenslänglich! Aber Gefängnisse gab es nicht. Also sind Verbannung, Armut und unstetes Leben in fremden Ländern die Strafen.

Kain soll leben! Gott geht noch weiter und stellt ihm eine Art Freibrief aus: Er macht ein »Zeichen« an ihm, damit ihn niemand totschlägt als vermeintlich Flüchtigen vor der Todesstrafe.

Das ältestes Zeugnis gegen die Todesstrafe

Dies ist – aus der biblischen Menschheitsgeschichte heraus betrachtet! – das älteste Zeugnis gegen die Todesstrafe. Nicht nur, dass Gott selbst sie nicht verhängt hat, auch kein anderes Ge­richt darf Kain zu Tode bringen: Wird Kain von Menschenhand getötet, soll dies siebenfach gerächt wer­den (→1Mos 4,15).

Das überrascht! Die Strafe für Richter und Henker, die den Mörder zu ihrem Opfer machen und hinrichten, fällt sehr viel härter aus, als für den Täter selbst!

Die Geschichte lässt deutlich Got­tes Intention spüren: Es kam ihm nicht darauf an, Rache zu üben (und so selbst dem Tier zu erliegen, das an der Tür klopft!), sondern vor allem darauf, den Täter zu bestrafen.

Du sollst nicht töten

Das Urteil Got­tes über Kain und die Androhung einer Strafe für die diejenigen, die ihn töten würden, enthält zwei wesentliche Aspekte:

Erstens ist die Todesstrafe keine Strafe, also zum Bestrafen einer Tat nicht geeignet.

Zweitens ist der Vollzug einer Todesstrafe härter zu bestrafen, als die zugrundeliegende Tat selbst.

Gott verurteilt hier eindeutig die juristisch sanktionierte Tötung von Menschen durch Menschen klar, entschieden und mit erstaunlicher Härte!

Das sind in jeder Diskussion über die Todesstrafe sehr wichtige Erkenntnisse. Erstaunlich ist, dass diese Diskussionen bereits in alt-biblischen Zeiten mit derart großer Aufmerksamkeit geführt wurden. Denn sonst wäre der Brudermord in dieser Ausführlichkeit kein Thema in der Bibel ge­wor­den, schon gar nicht an einer so exponierten Stelle, gleich am Anfang der Bibel, gleich am Anfang der Menschheitsgeschichte.

Und auch im nächsten Fall von Mord oder Totschlag sieht es nicht anders aus: Es wird noch im Zusammenhang mit der Geschichte von Kain und Abel berichtet, dass auch Lamech mindestens zwei Menschen getötet hatte. Doch auch über ihn darf deswegen die Todesstrafe nicht verhängt wer­den (→1Mos 4,23-24).

Bis heute reißen die Diskussionen um die Todesstrafe nicht ab. In vielen Ländern gibt es die Todesstrafe noch, in etlichen Staaten wird sie praktiziert. Selbst in solchen, die sich den Menschenrechten verschrieben haben.

Das Recht zu leben, ist das wichtigste Menschenrecht. Die Todesstrafe steht dagegen, sie bestreitet dieses Menschenrecht, oder aber sie impliziert, dass verurteilte Täter nicht länger als Menschen zu betrachten sind.

Das Schicksal Kains

Gott jedenfalls bewahrt den Status von Kain als Menschen. Er muss zwar in Folge seiner Bestrafungen verarmt und unstet in fremden Ländern leben, aber er konnte heiraten, Kinder bekommen und sogar als Oberhaupt seiner Sippe fernab von allen anderen eine neue Siedlung gründen (→1Mos 4,16f.).

Wie es ihm dabei erging, wie er lebte und welche Mühen er auf sich nehmen musste, um sich und seine Angehörigen zu versorgen, da­r­ü­ber wird nichts berichtet. Die knappe Anmerkung, dass er nun »jenseits von Eden« lebte, jenseits des Paradieses, ist der Hinweis darauf, wie abgeschieden, wie einsam und wie karg sein Leben von da an gewesen sein muss.

Warum lässt Gott das zu?

Abel war der erste Mensch, der dieses Opfer, das Lamm, darbrachte. Interessant ist: Obwohl sein Opfer bei Gott Gefallen fand, zahlte Abel dafür mit dem Leben! Das ist ein Motiv, das wie kein anderes aufzeigt, dass Gott es zulässt, dass unschuldige Menschen leiden müssen und Opfer wer­den von Naturkatastrophen, Unfällen, Gewalttaten und Kriegen. Und zwar von Anbeginn aller Zeiten, wie diese Geschichte aus den Anfängen der Menschheit zu berichten weiß.

Doch lässt er es tatsächlich zu? Hält er sich ganz raus? Wohl nicht: Er stellt Kain zur Rede und klagt ihn an, dass er schwach war und sich entgegen den Geboten Got­tes nicht beherrscht hatte!

Was aber ist Got­tes Anteil daran, dass wir nicht zu Opfern wer­den? Und wenn doch, wer ist denn wirklich dafür verantwortlich?

Wir alle sind Teil des Ganzen. Es gibt immer ein Gegenüber, einen anderen Menschen, die Natur und den Zufall. Selbst Jesus, Petrus und Paulus erlitten gewaltsame Tode.

In der Trauerarbeit haben wir sehr oft die Fra­gen gehört: Warum lässt Gott das zu? Wo war denn Gott und sein Schutz? Warum half er denn nicht?

Aus ihrer Trauer und aus ihrem Unmut heraus zweifeln dann viele Menschen und sprechen eine Art innere Kündigung gegen Gott aus. Sie kündigen ihren Bund mit Gott.

Die Antwort, die wir geben können, ist gar nicht leicht zu verstehen, gerade nicht von Menschen, die selbst oder bei Angehörigen und Bekannten hartes Leid erfahren haben und die auf irgendeine weise Opfer wurden. Es ist aber auch für Nichtbetroffene nur schwer zu verstehen. Wir versuchen es trotzdem:

Es geht nicht darum, ob man Opfer wird, sondern darum, ob man andere zu Opfern macht! Das eine kann man oft kaum beeinflussen, das andere liegt vollständig in unserer Hand. Das ist der Unterschied.

Das jedenfalls lehren uns die Geschichten vom Tod des Abel, vom Tod Jesu, vom Tod des Petrus, vom Tod des Paulus und vieler anderer Menschen, die als Märtyrer in die Geschichte Einzug fanden. Das lehren uns aber auch die Berichte von Völkermorden aus aller Welt, aus Nazi-Deutschland, aus Krisengebieten und von Kriegen. Das lehren uns die Geschichten von alkoholisierten Autofahrern, die Unschuldige in den Tod reißen, die Geschichten von fanatischen Selbstmördern, die zufällig Anwesende morden, die Geschichten von Mördern und der regelmäßige Krimi im Fernsehen. Alle berichten immer und immer wieder dasselbe, so weh es auch tun mag:

Es geht darum, niemanden zum Opfer zu machen. Selbst wer­den kann man es jederzeit!

Gebete, Opfergaben und Got­tes Schutz

Abel starb nicht, weil ihm Got­tes Schutz fehlte, sondern seinem Bruder Kain, der diesen Schutz für sich selbst, – Got­tes Gebot, sich zu beherrschen! –, nicht annahm.

Die Nähe zu Gott schützt uns also nicht vor Leid und nicht vor dem Tod. Sie ist kein Schutzbrief für uns selbst. Sie stärkt uns aber im Leben. Sie bewahrt uns davor, anderen Leid zuzufügen. Sie hilft uns, in unserer Gesellschaft als Nächster, als Mitmensch zu überleben.

Sie beschützt uns davor, Mitmenschen zu Opfern zumachen.

Darauf kommt es an!

 

– Hinweis –

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2. Mose 20,2.13

ICH bin der HERR / dein Gott.
DV ſolt nicht tödten.

 

Sabrina

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