Abbildung: DGB-Kundgebung am 1. Mai 2009 auf dem Lübecker Markt
Foto: Autor: MrsMyer, Wikipedia, CC
Das Foto zeigt eine Streikfahne bei der DGB-Kundgebung am 1. Mai 2009 auf dem Lübecker Markt.
Die Fahne weist auf die Forderung eines Mindestlohnes von 7,50 Euro hin. Sie macht damit deutlich, dass viele Arbeitnehmer in Deutschland mit weit weniger als 7,50 Euro Stundenlohn zufrieden sein müssen.
Das ist ein völlig unverständlicher Zustand! Es bedeutet, dass diese Menschen vor Abzug aller Abgaben einen durchschnittlichen Monatslohn von weniger als 1.300 Euro brutto besitzen. Nach Abzug aller Steuern, Sozialversicherungs- und Krankenkassenbeiträge, nach Zahlung aller Fixkosten, die für ein urbanes Leben anstehen, wie Mieten, Energiekosten, Telekommunikationskosten und Transportkosten, bleibt nicht mehr viel zum Leben. Diese Menschen können noch solange sparen, sie werden sich die meisten Angebote, die in Prospekten und in der Fernsehwerbung beworben werden und an deren Wertschöpfung sie durch ihre eigene Arbeitsleistung beteiligt sind, nicht leisten können.
Selbstverständlich können Löhne nicht einfach angehoben werden. Hohe Löhne verteuern Produkte, erschweren den Wettbewerb in heiß umkämpften Märkten, schmälern Gewinne. All das ist bekannt.
Dennoch muss Arbeit so entlohnt werden, dass Arbeiter damit einen Lebensstandard erreichen, der auch unseren gesellschaftlichen Standards entspricht: Armut muss und darf nicht sein, vor allem nicht bei denen, die mit Arbeit ihr Auskommen bestreiten.
Arbeitgeber haben zwei Pflichten: Sie müssen einerseits für volle Auftragsbücher sorgen und sie müssen sich andererseits in der Verantwortung für ihre Arbeitnehmer sehen. Zu dieser Verantwortung gehört es, den Arbeiterfamilien über die Entlohnung Voraussetzungen zu schaffen, die nicht nur akzeptiertes, sondern respektiertes Miteinander ausdrücken.
Niedrige Löhne wirken sich an vielen Stellen aus: Sie senken die Kaufkraft und vermindern damit die Umsätze, also auch die Gewinne derer, die sie eigentlich durch Niedriglöhne steigern wollen.
Sie senken die Einnahmen der Sozialkassen und der Krankenkassen.
Sie bereiten Altersarmut vor durch zu wenige Rentenpunkte.
Sie belasten die Sozialkassen, weil viele Menschen trotz Arbeit mit dem Lohn dafür nicht über die Runden kommen und Beihilfen in Anspruch nehmen müssen.
Sie gefährden Gesundheit, weil es oft die einzigen Punkte sind, an denen Haushalte mit geringem Einkommen sparen können: qualitativ hochwertige Lebensmittel und häusliche Hygiene.
Sie verhindern Bildung, weil kostenintensive Bildungsangebote neben Schule und Arbeitsplatz in der Freizeit nicht wahrgenommen werden können, weder von ihnen selbst, doch schlimmer noch: auch nicht von ihren Kindern.
Sie sorgen für Vereinsamung, bevorzugt im Alter, weil Freundschaften und Beziehungen auf einem sozialen Status beruhen, den viele Niedriglohnempfänger nicht erreichen können.
Sie grenzen frühzeitig aus, weil Kinder von einkommensschwachen Haushalten nicht einmal mehr schulische Bildungsreisen mitmachen können, die von Eltern zu bezuschussen sind, und weil Gruppenzwänge auf dem Schulhof nun einmal ungeschriebene Gesetze sind, was Besitz und Marken angeht.
Wir meinen: Ein Mindestlohn, der sich an gesellschaftlichen Erfordernissen orientiert, um Mindestlebensqualität zu erreichen, ist sinnvoll. Für alle Beteiligten. Ansonsten zahlen alle dafür.
Gut verdienende Arbeitnehmer zahlen hohe Beiträge für Sozial- und Krankenkassen und hohe Steuern. Das ist nötig, um unser soziales Netz weitgehend funktionsfähig zu halten. Doch je mehr Menschen da rein plumpsen, desto stärker müssen die übrigen stützen, damit es nicht reißt.
Gering verdienende zahlen mit dem Preis der Armut, die mit zunehmendem Alter unausweichlich steigen wird und im Renten- oder Pflegefall beschämenden Höhepunkten entgegensteuert.
Und wir sind uns sicher: Auch die Wirtschaft, die vordergründig von geringen Löhnen zu profitieren scheint, zahlt letztendlich dafür. Wer soll die Produkte kaufen und die Dienstleistungen in Anspruch nehmen? Ihr Markt schrumpft und der Wettbewerb wird immer härter zu rasant steigenden Kosten in einem ständig schrumpfenden Markt auszutragen sein. Viele Unternehmen werden auf Dauer nicht mithalten können. Menschen werden arbeitslos. Der Kreis schließt sich.
Hoffen wir mal, dass das Nachdenken1 über Löhne und Arbeit als Säulen unserer Gesellschaft nicht dazu führt, dass deren Fundamente brechen. Sie bröckeln bereits.
1 Ergänzung 1: Inzwischen ging das Nachdenken weiter. Nur in wenigen Branchen konnten bisher Mindestlöhne vereinbart werden. Diskutiert wird heute (im Zusammenhang mit den Bundestagswahlen 2013 und den nachfolgenden Koalitionsverhandlungen) über einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro. Inwieweit ein solcher Mindestlohn gesetzlich verankert werden müsste, sollte oder könnte, und in welcher Höhe er festzulegen sei, ggf. nach wie vor getrennt für alte und neue Bundesländer, ist offen.
Die Arbeitgeber zeigen sich mehr und mehr diskussionsbereit. In der Breite wird wohl erkannt, dass wir in unseren gesättigten Märkten keine Konkurrenz für Billiglöhner in Asien sein können. Eine marktgerechte Inlandsnachfrage hängt unmittelbar von der Kaufkraft im Markt ab. Und die wird durch grassierende Billiglöhne überproportional zur Leistung geschwächt. Mehr Arbeit, weniger Geld kann nur dort funktionieren, wo die Lohnempfänger nicht gleichzeitig den Markt repräsentieren - wie z. Zt. noch in großen Teilen Asiens. Doch auch das wird sich ändern. Der Prozess hat längst begonnen. Auch dort steigen die Löhne. Aus gutem Grund: um Wachstum zu erzeugen.
Wachstum ist ein verzahnter Prozess. Es funktioniert nicht allein deshalb, weil Lohnkosten gesenkt werden, sondern weil der Preis auf dem Markt bezahlbar ist. Dazu gehört es natürlich, dass Kosten minimalisiert werden, um den Preis niedrig zu halten, aber auch, dass die Kaufkraft erhalten bleibt oder angemessen mitwächst. In Asien wächst sie. Und bei uns?
Ergänzung 2: Mit Wirkung vom 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein Mindestlohngesetz.
– Hinweis –
Unsere kleine Reihe »Gedankenpausen« ist eine Sammlung unterschiedlicher Texte für Zwischendurch zu Fragen und Themen aus Gesellschaft, Kirche und Religion. Es lohnt sich womöglich, da mal reinzuschauen:
Kleine Pausen für neue oder neu zu denkende Gedanken.
Hier haben wir ausgewählte Artikel zusammengestellt, die zu verschiedenen Beiträgen unserer Webseite entstanden sind.
Alles begann 1886, als die amerikanische Arbeiterbewegung zum Generalstreik am 1. Mai aufrief. Heute ist der 1. Mai gesetzlicher Feiertag in Deutschland.